Die fünfte Kolonne Moskaus

Pu­tin-Freund Schle­gel (M.), AfD-Ak­ti­vis­ten Trit­sch­ler (l.), Frohn­mai­er: „Wie­der vi­ta­le, na­tio­na­le In­ter­es­sen ver­tre­ten“
Erstveröffentlicht: 
23.04.2016

AFD - 140 Millionen Freunde: Die Rechtspartei sucht die Nähe zum Machtbereich des Kreml. Jetzt verbündet sich die Jugendorganisation der Populisten offiziell mit Wladimir Putins „Junger Garde“.

 

Marcus Pretzell wartet. Der Europaabgeordnete der AfD sitzt auf dem Podium des „Yalta International Economic Forum“, das die russische Regierung in dem Kurort auf der besetzten Krim ausrichtet. Man hat Pretzell gleich links neben den Moderator platziert. Der AfD-Politiker, Chef des größten Landesverbandes NRW, ist der Ehrengast aus Europa. Seine Präsenz soll ein Signal sein: Russland ist international nicht isoliert.

 

Anderthalb Stunden lang ist Pretzell auf der Bühne nur Dekoration. Per Simultanübersetzung über Kopfhörer lauscht er den Reden einer illustren Reihe russischer Spitzenfunktionäre, mit denen wohl die wenigsten deutschen Politiker gern auf einem Podium säßen: Fünf der acht Diskutanten stehen wegen ihrer Mitwirkung an der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim auf den Sanktionslisten der EU und der USA, etwa Sergej Axjonow, Regierungschef der Krim, oder Jewgenij Buschmin, enger Vertrauter der Kremlführung.

 

Endlich gibt der Moderator Pretzell das Wort. „Wir von der Alternative für Deutschland sind nicht nur für die ukrainische Regierung eine Bedrohung, sondern auch für die Bundesregierung“, verkündet er stolz. Applaus im Saal. Gute Wirtschaftsbeziehungen mit Russland seien „im Interesse des deutschen Volkes“, die Sanktionen müssten unverzüglich weg. Großer Applaus. In Russland habe man den Eindruck, schnurrt der Moderator, dass das deutsche Volk genauso denke wie Pretzell. „Marcus, Sie haben heute 140 Millionen Freunde gewonnen.“

 

Russland hat auch viele Freunde in der AfD. Führende Funktionäre verfolgen einen klar prorussischen Kurs und suchen die Nähe zu Putins Machtbereich. Die antiliberale, amerikafeindliche und homophobe Ideologie des Kreml schreckt die Rechtspopulisten nicht ab, im Gegenteil: Für große Teile der Parteibasis erscheint Russland damit als attraktiver Partner. Umgekehrt ist eine AfD, die der EU und der Nato kritisch gegenübersteht, für Putin ein natürlicher Verbündeter. Wo anfangs nur Gespräche und Konferenzen standen, geht man jetzt auch organisatorisch zusammen: Die AfD-Parteijugend und die Jugendorganisation der Putin-Partei verbünden sich. Den prorussischen Kurs verfolgen AfD-Spitzenfunktionäre wie Alexander Gauland seit Gründung der Partei vor drei Jahren. Sie lassen sich zu Konferenzen mit Putin-Vertrauten und seinen ideologischen Einflüsterern einladen, schmieden Bündnisse zu kreml treuen osteuropäischen Nationalisten und zu den traditionell russlandfreundlichen westlichen Rechtsparteien wie Front National und FPÖ. Für Juni ist in Potsdam eine gemeinsame Konferenz der AfD mit der russischen Botschaft geplant. Auf dem Bundesparteitag Anfang Mai soll die programmatische Linie besiegelt werden: Zur Abstimmung stehen mehrere Anträge, in denen Deutschlands Austritt aus der Nato gefordert wird. Rechtsausleger Björn Höcke hat dafür soeben seine Unterstützung verkündet.

 

Noch gibt es keine Belege, dass die AfD auch finanziell am Tropf von Moskau hängt. Schatzmeister Klaus Fohrmann weist dies kategorisch zurück. Allerdings erhielt die Partei zu den jüngsten Landtagswahlen großzügige Sachspenden in Gestalt von Tausenden Werbeplakaten und Millionen Gratiszeitungen, bezahlt von anonymen Gönnern. Fohrmann muss einräumen, dass er nicht mit Sicherheit ausschließen kann, dass so über verschlungene Kanäle russisches Geld floss.

 

Gravierender als finanzielle Bindungen ist ohnehin die ideologische Druckbetankung, die Putins Verbündete bei der AfD leisten. Die wenigsten Russlandfans in der Partei sind politisch so erfahren wie Gauland. Oft sind es gerade außenpolitische Neulinge wie der Geschichtslehrer Höcke oder der Jurist Pretzell, die mal ein bisschen Weltpolitik spielen wollen – und dabei gar nicht merken, wie sehr sie Putins Regierung in die Hände spielen.

 

Das gilt besonders für die AfD-Jugend Junge Alternative (JA), die sich gern von prorussischen Kreisen umgarnen lässt. Schon 2014 empfing die JA Niedersachsen ranghohe Vertreter der russischen Botschaft zum Gespräch. Man war sich laut JA-Mitgliederpostille einig, dass die Verantwortung „für die unselige Eskalation der Lage in der Ukraine eindeutig bei der wenig vorausschauenden und überaus rumpeligen EU-Außenpolitik“ liegt.

 

JA-Chef Markus Frohnmaier führen seine Reisen immer wieder in Gegenden, in denen die Nato als Aggressor und Russland als letzte Hoffnung für eine „multipolare Welt“ gilt. So besuchte Frohnmaier Mitte Oktober 2014 Belgrad, wo er den 70. Jahrestag der Befreiung Jugoslawiens von der deutschen Besatzung beging. Die serbische Hauptstadt war anlässlich des Besuchs von Putin geschmückt mit prorussischen Plakaten: „Putin ist ein Serbe“. Hier traf Frohnmaier Rechtsausleger, Amerikakritiker und Kremlfreunde. Im Sommer 2015 war er in der umkämpften Ost ukraine zu Gast. Auf dem „Donbass-Forum“ diskutierte Frohnmaier mit dem neurechten Publizisten Manuel Ochsenreiter und Front-National-Politiker Jean-Luc Schaffhauser über „Frieden für die Ukraine“.

 

Auch bei dem jüngsten Krimtrip war Frohnmaier mit von der Partie. Die Konferenz zählte rund 1000 Teilnehmer, aber nur 70 ausländische Gäste. Zwei von ihnen waren FPÖ-Politiker. Den Aufenthalt in Jalta ließ Frohnmaier sich von den russischen Organisatoren bezahlen – „das ist üblich“. Doch der bislang wichtigste außenpolitische Kontakt für die Junge Alternative ergab sich vor wenigen Tagen. Mittwochnachmittag saßen Frohnmaier und sein Kochef Sven Tritschler in der Nachmittagssonne beim Bier am Berliner Spreeufer. Soeben hatten sie erfolgreich einen Partner getroffen: Robert Schlegel, Duma-Abgeordneter und Spitzenfunktionär der Putin-Partei „Einiges Russland“. Schlegel und die JA-Funktionäre vereinbarten eine neue Kooperation, ein Bündnis zwischen Putins Parteijugend „Junge Garde“ und dem AfD-Nachwuchs. „Auf dem ganzen europäischen Kontinent werden eurokritische und
souveränistische Bewegungen immer stärker“, sagt Frohnmaier. Es sei für die JA „selbstverständlich, diese Aktivitäten in einem neuen Jugendnetzwerk zu bündeln“. Da dürfe Russland nicht fehlen.

 

Putins Junge Garde pflegt bereits Bündnisse mit Partnern im Ausland, etwa in Kasachstan und Serbien, laut Satzung ist ihr Ziel die „Einbindung der Jugend in den Aufbauprozess der demokratischen und sozial gerechten Gesellschaft“, gefolgt von der „Vermittlung von Patriotismus und Nationalstolz“.

 

In der Praxis fallen Aktivisten der gut 150000 Köpfe starken Jungen Garde eher durch antiwestliche und homophobe Propaganda auf. Im Februar hielten sie in Moskau anlässlich des amerikanischen President’s Day eine Karikaturenausstellung über die „Verbrechen“ US-amerikanischer Präsidenten ab. Weitere „Arbeitsfelder“ der Jungen Garde sind die Diffamierung von Oppositionspolitikern als „Lesben, Schwule und Transvestiten“. Im vergangenen Jahr sammelte man Unterschriften gegen eine Online-Selbsthilfegruppe für homosexuelle Jugendliche.

 

Schlegel selbst, der schon Sprachrohr der früheren Kremljugend „Naschi“ war, reist für Putins Partei durch die Welt, in Belgrad oder Damaskus ist er ein gern gesehener Gast. Nur in Berlin, klagte Schlegel den JA-Leuten, sei es so schwierig geworden, politisch Anschluss zu finden, vor allem seit dem Tod des jungen CDU-Außen politikers Philipp Mißfelder. Der habe immer ein offenes Ohr für ihn gehabt.

 

Zum Glück für Schlegel steht nun die Junge Alternative bereit. Frohnmaier stört die ideologische Ausrichtung der Kremljugend nicht. „Trotz westlicher Vorbehalte gegen das politische System in Russland ist es unzweifelhaft, dass Präsident Putin und seine Partei den Rückhalt der Mehrheit in Russland genießen.“ Und überhaupt, sagt der 25-Jährige: „Unser Land ist nicht Kindergärtner der Welt“, sondern müsse in der Außenpolitik endlich „seine vitalen nationalen Interessen vertreten“.

 

Die enge Verbindung zwischen Moskau und der AfD läuft auch über die Russlanddeutschen. Die Partei spricht die 2,5 Millionen Spätaussiedler, von denen viele der alten Heimat weiterhin eng verbunden sind, gezielt an, hat gar ein russlanddeutsches Netzwerk gegründet. Mit Erfolg: Die Partei ist ein Magnet für diese Wähler. Besonders in Baden-Württemberg holte die Partei Rekordergebnisse bei der russland-deutschen Community. In deren Hochburg in Villingen-Schwenningen kam die AfD auf 42, in Wertheim auf 52 Prozent.

 

Für Putin dabei besonders interessant: Viele Russlanddeutsche dürfen auch noch in der alten Heimat wählen. Und im September sind Duma-Wahlen. Was liegt also näher, als diese Klientel über die Verstärker von AfD und JA anzusprechen?

 

Die deutschen Rechtspopulisten pflegen auch Kontakte zu russisch- und serbisch-orthodoxen Religionsvertretern. Man kennt sich von den Demonstrationen gegen den Bildungsplan der grün-roten Regierung oder trifft sich auf den „Märschen für das Leben“ gegen Abtreibung. „Viele Werte der Orthodoxie finden bei den Altparteien keinen Widerhall“, erklärt Frohnmaier. „Bei uns finden diese Menschen erstmals wieder eine politische Heimat.“ Parteivize Gauland hat „überhaupt keine Bedenken“ gegen das Bündnis der JA mit der Putin-Jugend. Schließlich reiste er selbst Ende 2015 nach Russland, auf Kosten der Stiftung St. Basilius der Große, hinter der ein putintreuer Oligarch steht. In St. Petersburg diskutierte Gauland mit Duma- Abgeordneten, einem persönlichen Referenten Putins – und dem neofaschistischen, antiwestlichen Ideologen und Kremlflüsterer Alexander Dugin. Ein angenehmer Gesprächspartner sei das, erinnert sich Gauland. Schade, dass er partout die zaristische Tradition wiederbeleben wolle. Gauland war auch informiert über Pretzells Reise zur Krimkonferenz, wünschte dem Parteifreund „gutes Gelingen“. Denn: „Die Krim war mal russisch, sie ist jetzt wieder russisch, und sie wird nie wieder zur Ukraine zurückkehren.“ Deutschland müsse diese Realität anerkennen.

 

Das sieht der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnyk, verständlicherweise anders. Er beschuldigt Pretzell und Frohnmaier, ohne Erlaubnis ukrainischer Behörden eingereist zu sein. „Eine illegale Einreise auf die Krim ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine gravierende Straftat“, sagt Melnyk. Pretzell reiste mit russischem Visum ein (Besuchszweck: „wissenschaftlich-technische Beziehungen“). Da auch die Bundesregierung die Annexion der Krim für völkerrechtswidrig hält, hat Melnyk beim Auswärtigen Amt eine Protestnote eingereicht mit der Bitte, „alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um eine solche Verletzung ukrainischer Gesetze in Zukunft zu unterbinden“. Den AfD-Politikern droht ein Einreiseverbot von bis zu fünf Jahren in die Ukraine.

 

Nicht allen an der AfD-Spitze ist der Kurs der Russlandliebhaber geheuer. Auf dem Parteitag in Stuttgart nächstes Wochenende dürfte die Außenpolitik zu den wichtigsten Streitpunkten zählen. „Nach meiner Einschätzung orientiert sich die AfD derzeit zu unausgewogen nach Russland“, sagt Bundesvorstand Alice Weidel. „Mir ist es wichtig, dass die Partei hier nicht auf eine zu einseitige Strategie getrieben wird.“ Auch vor dem Nato-Austritt warnt die Ökonomin: „Wir genießen seit Jahrzehnten Wohlstand und Frieden. Das haben wir unserem Westbündnis zu verdanken.“ Doch Parteichefin Frauke Petry verfolgt einen anderen Kurs. Per Rundmail bereitete sie die Basis jetzt auf die Weichenstellung gen Osten vor. Man müsse sich im EU-Parlament mit den europa-kritischen Kräften verbünden, schrieb Petry und verwies explizit auf die Fraktion von Front National und FPÖ.

 

Was diese Parteien gemeinsam haben: die Freundschaft zu Russland.