Leipziger OAZ soll zum Landeskriminalamt wechseln

Erstveröffentlicht: 
22.04.2016

Landespolizeipräsident und Fachkommission fordern eine neue Struktur für das Operative Abwehrzentrum in Leipzig. Aus dem Landtag und vom Innenminister gibt es Kritik an dem Vorhaben.

 

Dresden. Die Fachkommission zur Evaluierung der Polizei in Sachsen musste in den vergangenen Monaten einiges einstecken – doch noch nie ist die Kritik derart massiv gewesen wie im Fall des Operativen Abwehrzentrums (OAZ). Die Expertenrunde unter Führung von Landespolizeipräsident Jürgen Georgie schlägt in ihrem Abschlussbericht, versteckt auf Seite 78 von insgesamt 93, nichts Geringeres als das Ende des OAZ in Leipzig vor. „Die Organisation des gesamten polizeilichen Staatsschutzes ... ist mit der Zielstellung anzupassen, die Anzahl der Schnittstellen zu verringern und die zentralen Aufgaben des polizeilichen Staatsschutzes organisatorisch bei einer Dienststelle zu bündeln. Diese kann nach Auffassung der Fachkommission nur das Landeskriminalamt sein“, lautet der entscheidende Passus.

 

Zur Erinnerung: Das OAZ hat die Grundlage für die jüngsten Festnahmen von mutmaßlichen Rechtsterroristen in Freital zusammengetragen, daneben Ermittlungserfolge unter anderem in Zusammenhang mit rechtsextremen Angriffen und Brandanschlägen in Dresden, Heidenau und Meißen geliefert, zudem arbeiten die Spezialisten nach den Ausschreitungen in Leipzig mit Hochdruck an der Verfolgung von Linksautonomen. Die Aufklärungsquote bei Übergriffen auf Asylunterkünfte liegt bei knapp 40 Prozent, und selbst kritische Politiker wie die Rechtsextremismus-Expertin der Linken, Kerstin Köditz, bescheinigen der Sondereinheit um OAZ-Chef Bernd Merbitz eine sehr gute Arbeit. Die Frage ist also, wo die strukturellen Defizite, die die Fachkommission feststellen will, zu suchen sind.

 

Parteien loben das OAZ


Merbitz, selbst von 2007 bis 2012 Landespolizeipräsident von Sachsen, möchte sich zu den Gedankenspielen seines Nachfolgers Georgie nicht äußern. Doch dafür stehen die Unterstützer quasi Schlange – und kritisieren die Fachkommission teilweise heftig. Auf LVZ-Anfrage loben bis auf die Alternative für Deutschland – die AfD reagierte zwei Mal nicht auf die Anfrage – alle im Landtag vertretenen Parteien die Erfolge des erst im November 2012 installierten Abwehrzentrums der sächsischen Polizei.

 

„Die durchschnittliche Aufklärungsquote von 68 Prozent über die letzten drei Jahre zeigt, dass sich das OAZ bewährt hat. Es ist ein wichtiger Eckpfeiler im Kampf gegen die Feinde der Demokratie“, macht beispielsweise der CDU-Innenexperte Christian Hartmann klar. Enrico Stange, der innenpolitische Sprecher der Linkenfraktion, sieht das genauso: „Das OAZ nimmt bei der Verfolgung politisch motivierter Kriminalität beziehungsweise extremistischer Kriminalität eine herausgehobene Stellung ein. Die Sonderstruktur kann Ausdruck der besonderen Schwerpunktsetzung der Polizeiarbeit zur Aufklärung politisch motivierter Kriminalität im Freistaat sein.“

 

Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass Argumente wie die „erschwerte Führung personeller Ressourcen“ oder die „erhöhte Anzahl der Schnittstellen im polizeilichen Informationsaustausch“, die von der Georgie-Kommission vorgetragen werden, einen internen Machtkampf überdecken sollen. Merbitz, gerade 60 Jahre geworden, gilt als Institution – aber auch als einer, der durchaus mal aneckt oder zu unkonventionellen Lösungen neigt. Der OAZ-Chef und Leipziger Polizeipräsident hatte in den 1990er-Jahren, damals auf Initiative von Innenminister Heinz Eggert (CDU), die Soko Rex im Freistaat aufgebaut.

 

Jene Sondereinheit gegen Neonazis und deren neue Organisationsstrukturen, die ähnliche Ermittlungserfolge vorweisen konnte wie das Abwehrzentrum, die später allerdings zerpflückt worden war. Für sein Engagement gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit wurde Merbitz im Jahr 2009 vom Zentralrat der Juden mit dem Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage ausgezeichnet. Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss sprach der amtierende OAZ-Chef davon, dass die Soko Rex ab 1998 regelrecht amputiert worden sei. Erst viele Jahre später, Ende 2012, reagierte die Landesregierung und installierte das OAZ – abermals unter Führung von Merbitz, der aktuell auf rund 120 Spezialisten zurückgreifen kann.

 

Lippmann: Kompetenzgerangel


Innenminister Markus Ulbig (CDU) ist bemüht, den Angriff auf das Abwehrzentrum nicht überzubewerten und verweist auf die Hoheit des Landtags: „Letztlich ist es aber Angelegenheit des Auftraggebers, also des sächsischen Landtages, über die vorgelegten Ergebnisse der Fachkommission zu befinden und entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen.“ Zugleich stellt Ulbig allerdings unmissverständlich klar: „Das OAZ leistet ausgezeichnete Ermittlungs- und Aufklärungsarbeit im Bereich der politisch motivierten Kriminalität. Insbesondere bei Angriffen auf Asylunterkünfte beziehungsweise auf Amts- und Mandatsträger, die im vergangenen Jahr verstärkt zu verzeichnen waren, hat es sich bewährt, Kompetenzen zentral beim OAZ zu bündeln.“ Unzufriedenheit würde sich zweifellos anders lesen.

 

„Die Formulierung im Abschlussbericht der Fachkommission deutet eher auf Kompetenzgerangel hin. Das lässt sich durch klar definierte Aufgabenbereiche und ohne Neustrukturierung beheben“, spricht Valentin Lippmann, der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, das Problem an. Es geht offenbar um mehr Einfluss für das Landeskriminalamt und die oberste sächsische Polizeiführung. Deshalb stellt der CDU-Innenpolitiker Hartmann unmissverständlich klar: „Eine Neustrukturierung des OAZ steht aus meiner Sicht momentan nicht zur Debatte.“ So sieht es auch der SPD-Innenexperte Albrecht Pallas: „Dazu besteht noch Diskussionsbedarf. Die strukturellen Fragen stellen sich nicht unmittelbar, sondern eher mittelfristig.“

 

Unter den Innenexperten des Landtags steht das Fazit des Machtgerangels indes fest, ohne dass es offiziell ausgesprochen wird: Der Landespolizeipräsident wird – im Verbund mit dem LKA – zumindest auf mittlere Sicht scheitern. Erst wenn der starke Merbitz in Rente geht, wäre der Weg für die Georgie-Pläne frei. Eine Frage stellt sich aber weiterhin: Warum soll eine etablierte Sondereinheit zerpflückt und neu organisiert werden?

Andreas Debski