178.000 Personendatensätze wurden von Sachsens Polizei bisher in eFAS gespeichert - Nicht nur Fußballanhänger landen in den wachsenden Datenbanken der sächsischen Ermittler

Erstveröffentlicht: 
22.04.2016

Nicht nur die NSA sammelt gern Daten in ungeahnter Menge. Auch deutsche Ermittler nutzen die Gelegenheit, um riesige Datenberge auf Vorrat anzulegen. Das ist in Sachsen kein neues Thema, sondern gärt seit 2011. Aber dass Fußballfans in einer eigenen Datenbank erfasst werden, ist seit Anfang April wieder Diskussionsgegenstand. Aber eine neue Antwort von Innenminister Markus Ulbig zeigt: Nicht nur für Fußballfans gibt es solche Dateien.

 

Gleich zwei Landtagsabgeordnete hatten nachgefragt, wie groß die Datenbestände zu gewaltbereiten Fußballanhängern in Sachsen sind: der innenpolitische Sprecher der Grünen-Landtagsfraktion, Valentin Lippmann, und die Sprecherin für Datenschutz der Linksfraktion, Juliane Nagel.

 

Sie waren dann doch beide sehr verblüfft über das Ausmaß der Datensammelei. Von einem „bisher unvorstellbaren Ausmaß des Datensammelns in diesem Bereich“, sprach Juliane Nagel: „Laut Antworten auf verschiedene Anfragen von mir werden in Sachsen seit Jahren Daten von vermeintlich gewaltbereiten Fußballfans gesammelt. Laut Antwort auf meine Kleine Anfrage zum Thema bedient sich die sächsische Polizei dabei des ermittlungsunterstützenden Fallanalyse-Systems eFAS. Fast 600 Personendatensätze zum ‚Phänomenbereich Sport und Gewalt’ sind derzeit gespeichert. Dies betrifft Fans von Dynamo Dresden, dem FSV Zwickau, Lok Leipzig und BSG Chemie Leipzig.“

 

Was auf den ersten Blick irgendwie logisch klingt, nachdem seit einigen Jahren in den Medien über die „zunehmende Gewaltbereitschaft in den Stadien“ debattiert wurde, erweist sich bei genauerem Hinschauen oft als das Sammeln von personenbezogenen Daten, die in großen Teilen nichts mit einer ursächlichen Straftat zu tun haben.

 

„Mittels des eFAS werden willkürlich personenbezogene Daten, die auf eine ‚Einzelfallbewertung’ durch szenekundige Beamte zurückgehen, erfasst“, kommentiert Juliane Nagel. „Willkür ist hierbei Tür und Tor geöffnet. Es liegt auf der Hand, dass Menschen in der Datei landen, die sich nicht strafbar gemacht haben, sondern gegen die beispielsweise nur ein Anfangsverdacht vorliegt, oder die sich lediglich in der Nähe von strafbaren Handlungen aufgehalten haben.“

Darauf weist aus ihrer Sicht nicht zuletzt die Zahl der Betroffenen hin, die in der – ebenfalls kritikwürdigen – bundesweiten Datei „Gewalttäter Sport“ gespeichert werden.

 

„Aus Sachsen wurden darin im vergangenen Jahr 480 Personen gespeichert, auf Landesebene sind es über 100 mehr“, so die Landtagsabgeordnete. „Ich fordere die Löschung der gespeicherten Datensätze und die Auflösung der landeseigenen Fan-Datei. Die Betroffenen müssen umgehend informiert werden. Das geheime Sammeln von Daten und Merkmalen von Personen verletzt die informationelle Selbstbestimmung und darf in einem Rechtsstaat keinen Platz haben.“

 

Valentin Lippmann von den Grünen aber beließ es nicht bei der ersten Anfrage allein zu den erfassten Fällen aus dem Fußballmilieu. Denn die Antwort des Innenministers wies so ganz nebenbei darauf hin, dass im System nicht nur die Daten von Fußballanhängern gesammelt werden, sondern auch Daten aus ganz anderen Ermittlungsbereichen.

 

„Die Speicherung der Daten in eFAS erfolgt gemäß § 43 SächsPolG in Verbindung mit den Richtlinien für die Führung kriminalpolizeilicher personenbezogener Sammlungen in den Polizeidienststellen des Freistaates Sachsen nur solange, wie dies zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben erforderlich ist“, hatte Ulbig mitgeteilt.

Im zitierten Paragraphen 43 heißt es zum Beispiel: „Der Polizeivollzugsdienst kann auch personenbezogene Daten, die er im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungsverfahren oder von Personen gewonnen hat, die verdächtig sind, eine Straftat begangen zu haben, speichern, verändern und nutzen, soweit dies zur Gefahrenabwehr, insbesondere zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten erforderlich ist. Entfällt der der Speicherung zugrunde liegende Verdacht, sind die Daten zu löschen.“

 

Und den Freiraum nutzen sächsische Ermittler augenscheinlich auch weidlich aus, wie nun die Nachfrage von Lippmann ergab: Der Umfang gesammelter Personendaten bei der Polizei im sogenannten elektronischen Fallanalysesystem (eFAS) ist umfangreicher als bislang vermutet.

 

„Die knapp 600 Fußballfans in der Datensammlung waren offenbar nur die Spitze des Eisbergs“, kann Valentin Lippmann nun feststellen. „Insgesamt sind 178.098 Personendatensätze – allerdings einschließlich mehrfacher Eintragungen – zu allen Phänomenbereichen in 363 technischen Verfahren gespeichert. Ob es sich bei diesen Verfahren um einzelne Datenbanken handelt, ist unklar. Jedenfalls ist das Ausmaß dieser Datensammlungen und die Länge der Speicherung alarmierend. Offenbar sammelt die Polizei personenbezogene Daten zu Eigentums- und Bandenkriminalität, Kfz-Kriminalität, Rauschgiftkriminalität, politisch motivierter Kriminalität sowie zu Straftaten gegen des Leben und die sexuelle Integrität. Ob es sich bei den gespeicherten Personen um Straftäter, Opfer, Zeugen oder sonstige Personen handelt, wurde mir nicht mitgeteilt.“

 

Womit auch in Sachsen deutlich wird, was passiert, wenn Ermittler einfach sammeln, was ihnen unterkommt. Ulbig hatte die Nichtmitteilung damit begründet, der personelle Aufwand sei einfach nicht zu leisten: „Eine Zuordnung zu den konkreten Phänomenen und eine Aufschlüsselung der Anzahl und Rollen der 178.098 Personendatensätze auf die einzelnen der 363 Verfahren würde zur vollständigen Beantwortung der Frage die Auswertung aller in Betracht kommenden Ermittlungsverfahren erfordern. Der für eine solche Recherche insgesamt erforderliche Aufwand kann nicht abgeschätzt werden. Es wäre jedoch notwendig, mehrere Sachbearbeiter über einen mehrere Wochen währenden Zeitraum mit den Recherchen und Auswertungen zu beauftragen.“

 

Das dürfte nicht nur Lippmann bezweifeln. Denn eine Datenbank, aus der man genau diese Dinge nicht mit einfachen Suchroutinen abfragen kann, ist ihre Existenz nicht wert. Sie ist schlicht nutzlos. Überflüssig. Ein Heuhaufen. Ein reines Sammelsurium von Daten, von denen die Ermittler glauben, sie könnten in den nächsten zwei Jahren noch einmal nutzbringend verwertet werden. Falls sich die Betreiber der Datenbank an die Löschfristen halten und tatsächlich jeder Datensatz, der älter als zwei Jahre ist, wieder entfernt wird.

 

Ulbigs Antwort wirft also, wie man sieht, wieder neue Fragen auf.

 

„Was ursprünglich als Ermittlungsunterstützung angedacht wurde, wird nun mehr und mehr zur Paralleldatei und Datensammelstelle für bestimmte Strukturermittlungen – etwa im Bereich politisch motivierte Kriminalität. Ob den Daten tatsächlich noch konkrete Strafermittlungen zugrunde liegen, ist aufgrund der extremen hohen Anzahl gespeicherter Datensätze mehr als zweifelhaft“, betont denn Lippmann auch zu Recht. „Zudem bin ich mir nicht sicher, ob mit der extensiven Nutzung dieses Analysesystems konkrete gesetzliche Vorgaben hinsichtlich der Zulässigkeit der Datenverarbeitung umgangen werden. So ist etwa eine Rasterfahndung nur nach richterlicher Anordnung zulässig.“

 

Offen bleibt auch die Frage, ob mit dem Datenberg überhaupt gearbeitet werden kann. Die miserable Aufklärungsquote in Sachsen, die erst am Donnerstag wieder Thema im Landtag wurde, spricht dagegen. Denn gerade die Phänomenbereiche, die unter einer sowieso schon schlechten Aufklärungsrate leiden, tauchen hier wieder auf. Denn neben Fußballanhängern werden hier auch Fälle aus dem Bereich Eigentums- und Bandenkriminalität, Kfz-Kriminalität, Rauschgiftkriminalität, Straftaten gegen das Leben und die sexuelle Integrität gesammelt. Dazu noch Fälle aus dem Bereich Politisch motivierte Kriminalität. Letzteres nährt natürlich noch ganz andere Vermutungen und hat aus Lippmanns Sicht in dieser Datenbank schon gar nichts zu suchen.

 

„Leider konnte mir der Innenminister nicht auf alle meine Fragen antworten“, zieht Lippmann das ziemlich frustrierende Fazit aus dem Fragekatalog. „Meine Fraktion hat deshalb eine Große Anfrage zum Thema eingereicht. Den Datenschutzbeauftragten werden wir um einen besonderen Bericht bitten. Nur so können wir Klarheit darüber bekommen, ob diese Datensammlung rechtlich zulässig ist. Sollte sie zu den Phänomenbereichen politisch motivierte Straftaten ‚rechts’ und ‚links’ existieren, verlange ich eine sofortige Löschung, soweit es sich dabei um nicht konkret begrenzte Ermittlungen handelt.“

 

Erste Anfrage von Juliane Nagel zu einer „Datenbank Sportgewalt in Sachsen“ aus dem Mai 2015. Drs. 1614

 

Anfrage von Juliane Nagel zu den gespeicherten Personendatensätzen zum „Phänomenbereich Sport und Gewalt“ aus dem März 2016. Drs. 4392

 

Anfrage von Valantin Lippmann zu den Datensätzen aus dem Phänomenbereich Fußball. Drs. 4224

 

Antwort von Innenminister Markus Ulbig (CDU) auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Valentin Lippmann „Dateien für Phänomenbereiche in eFAS“. Drs 6/4529

 

Grünen-Antrag: „Erstattung eines Berichts des Sächsischen Datenschutzbeauftragten zur datenschutzrechtlichen Bewertung der im ermittlungsunterstützenden Fallanalysesystem Sachsen (eFAS) angelegten Datensammlungen“. Drs. 4835