»Kotti-Verfahren« – Ausspähaktion gegen Linke

Im August 2013 wurde das linke Hausprojekt in der Rigaer Straße 94 im Zusammenhang mit den Ermittlungen durchsucht
Erstveröffentlicht: 
14.04.2016

»Kotti-Verfahren« vor Berliner Amtsgericht: LKA forschte nach militanter Spontandemo Privatleben von Verdächtigen aus

 

Am vergangenen Freitag begann vor dem Amtsgericht in Berlin-Moabit ein Prozess gegen zwei junge Männer: David R. und Jannis V.* müssen sich wegen Landfriedensbruchs während einer Spontandemonstration am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg verantworten. Die eigentlich recht unspektakuläre Anklage ist das Ergebnis eines um so interessanteren Ermittlungsprozesses: Beinahe drei Jahre lang durchforschte das Berliner Landeskriminalamt die Privatleben der Angeklagten, ihr Umfeld und dessen Umfeld.

Hintergrund des Verfahrens ist eine militante Aktion einiger Dutzend Aktivisten, die sich am 7. Juni 2013 am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg zu einer Spontandemonstration versammelt hatten. Anlass war die damals in vollem Gange befindliche Gezi-Park-Revolte in der Türkei. In Kreuzberg zündeten etwa 50 Vermummte Pyrotechnik, zogen Barrikadenmaterial auf die Straße und griffen Einsatzfahrzeuge der Polizei mit Steinen und Brandsätzen an. Flugblätter, die während des Angriffs hinterlassen wurden, bekunden »Solidarität mit den Aufständischen« in der Türkei, »damit auch am Bosporus zu sehen ist, dass sie nicht alleine sind«.


Umfangreiche Spitzelei

Festgenommen worden waren die beiden Angeklagten am selben Abend in der vom Kottbusser Tor wegführenden Reichenberger Straße – obwohl unklar ist, ob sich in dieser überhaupt Demonstrationsteilnehmer in diese Richtung entfernt hatten. Gegen die zwei jungen Männer hatte sich, so gestand Polizeipräsident Klaus Kandt schon am 10. Juni 2013 vor dem Abgeordnetenhaus, »der Verdacht nicht erhärtet«. Für einen Haftbefehl reichte es dementsprechend auch nicht.

Doch das Landeskriminalamt sah eine Chance zur Durchleuchtung des politischen und sonstigen Umfelds der Festgenommenen, die schnell wieder auf freien Fuß gesetzt werden mussten. Als Ermittlungsdelikt wurde »versuchter Mord« angesetzt, weil angeblich eine Beamtin von einer »vermutlich mit Brandbeschleuniger gefüllten« Flasche im Vorbeiflug »benetzt« worden sei, während sich irgendwo neben ihr ein »Brandherd auf dem Gehweg« befunden habe. Dieses Konstrukt diente in den folgenden Jahren als Begründung für eine großangelegte Ausspähaktion gegen vermeintliche Mitglieder der »linksextremen Szene«, denen mit allem zu Leibe gerückt wurde, was man im LKA zu bieten hatte.

Es entstand ein Ermittlungseifer, den man bei rechten Straftaten so kaum je beobachten kann. DNA-Entnahmen, Funkzellenauswertungen, Hausdurchsuchungen – fast drei Jahre lang beschäftigte die Polizei eine Sonderkommission mit der Spontandemonstration. Aufnahmen von Überwachungskameras aus Spielkasinos, öffentlichen Verkehrsmitteln und Tankstellen aus dem gesamten Bezirk wurden gesichtet, akribisch durchsuchten Beamte im Umfeld des Tatorts Mülltonnen und Büsche nach Weggeworfenem, von Pflastersteinen wurden Wischproben entnommen.

Gleichzeitig überboten sich die lokalen Leitmedien in der Skandalisierung und Dramatisierung des Vorfalls. Die B. Z. hetzte gegen »brutale Chaoten«, Tagesspiegel und Morgenpost betätigten sich ohne jede kritische Distanz als Sprachrohre von Innensenator Henkel und seiner Behörden.

 

Ziel war nicht der Prozess

Am ersten von zwei Prozesstagen erwiesen sich die Erfolge dieser Nachforschungen auf den ersten Blick als gering: Polizeizeugen, die sich an kaum etwas erinnern können und einander widersprechen, ein Staatsanwalt, dem selbst schon klar ist, dass er hier nichts zu gewinnen hat – und ein von »versuchtem Mord« auf »Landfriedensbruch« zusammengeschrumpfter Tatvorwurf. Auf den zweiten Blick wird aber klar: Um einen Prozess ging es hier ohnehin nicht. Die umfangreichen Datenordner zu Telefonüberwachungen, Observationen und DNA-Entnahmen wurden der Verteidigung nicht ausgehändigt, in den Prozess fließen die Ergebnisse dieser systematischen Verletzung von Persönlichkeitsrechten nicht ein. Das LKA, das alle diese Daten gesammelt hat, glänzt durch Abwesenheit.

Deutlich ist zu bemerken, welche Strategie die Polizei verfolgte: Wissentlich wird ein durch nichts begründetes, besonders drastisches Ermittlungsdelikt falsch angesetzt. Die Begründung, man ermittle wegen »versuchten Mordes« an einer Beamtin, reicht den zuständigen Ermittlungsrichtern, um alles abzusegnen, was man sich beim LKA wünscht. Es folgt der umfangreiche Einsatz von Geheimdienstmethoden gegen eine als »linke Szene« identifizierte Personengruppe unbestimmter Größe.

Der Prozess gegen David R. und Jannis V. wird wohl – soweit absehbar – am 3. Mai mit einem Freispruch oder einer Einstellung enden. Die Daten aber, die das LKA akkumulieren konnte, bleiben.

*Namen von der Redaktion geändert