Besorgte und berechnende Bürger

Erstveröffentlicht: 
09.04.2016

In der Region gibt es zwei Bürgerforen, die in den vergangenen Monaten Kundgebungen und Demos organisierten. Beide gaben sich als Plattform für Kritiker unterschiedlichster Coleur - und relativ wenig Mühe, sich von stramm rechten Gruppen zu distanzieren.

 

Von Tanja Goldbecher und Thomas Schmotz

Zwickau. Spaziergänge, Sternmärsche, Kundgebungen: Der Verein "Bürgerforum für Sachsen" mobilisierte und kanalisierte in den zurückliegenden Monaten die Protestbewegung in der Region. Speziell für die Kreisstadt hat sich ein zweiter, vom Namen her leicht mit dem ersten zu verwechselnder Verein gegründet: das Bürgerforum Zwickau. Beide sehen sich als Plattform für besorgte Bürger - über Partei- und ideologische Grenzen hinweg. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit.

 

Laut dem Vizechef des Bürgerforums für Sachsen, Christian Döring, teilen sich die beiden Gruppen die Arbeit. "Wir kümmern uns um die überregionale Vernetzung", sagt Döring. Die Zwickauer Gruppe sei hingegen für die Organisation der Veranstaltungen in der Muldestadt zuständig. Döring, gelernter Heizungsmonteur, heute aber nach eigenen Angaben selbstständig in einem anderen Bereich tätig, zeigt auf seiner Facebookseite im Profilbild Vladimir Putin, veröffentlicht das Foto eines Himmels in Deutschland-Farben und bekennt sich offen als ostdeutscher Patriot.

 

Dass die beiden Bürgerforen eng zusammenarbeiten, zeigte sich beim ersten Sternmarsch in der Stadt am 20. Februar dieses Jahres. Da hatte sich die überregionale Gruppe um den Verlauf der Demonstration gekümmert, der Zwickauer Ableger organisierte die zentrale Kundgebung auf dem Hauptmarkt. Nicht erst bei dieser Demonstration wurde allerdings auch offensichtlich, welche anderen Gruppen die Plattformen der Bürgerforen gern für sich nutzen. So gaben die der Neuen Rechten zuzuordnenden Identitären schon beim ersten für Plakate und Sprechchöre offenen "Spaziergang" im Dezember die Slogans vor, die auf den Bürgerforums-Veranstaltungen seitdem skandiert werden. "Festung Europa, macht die Grenzen dicht" - "Heimat, Freiheit, Tradition, Multikulti Endstation" - "Asylanten geht nach Haus, Flüchtlinge sehen anders aus." Das hört man wortgleich auch auf rechten Demonstrationen anderswo. Der Regionalleiter der Identitären, Tony Gerber, hatte sich 2009 auf der Liste der NPD für den Zwickauer Stadtrat beworben, ohne selbst Mitglied der Partei zu sein. Heute distanziert er sich offiziell davon, rechtsextrem (gewesen) zu sein.

 

Mit dem III. Weg bewarb zudem eine rechtsextreme Kleinpartei die Zwickauer Großveranstaltung im Februar, die unter anderem als Sammelbecken alter NPD-Kader gilt und in ihrem Zehn-Punkte-Programm Forderungen wie die "konsequente Förderung von kinderreichen Familien zur Abwendung des drohenden Volkstodes" aufstellt. Die Partei wird vom Sächsischen Verfassungsschutz beobachtet. Daher ist auch bekannt, dass sie im Dezember eine neue regionale Gruppe in Chemnitz aufgebaut hat, der Zwickau zugeordnet ist.

 

Nicht beobachtet werden dagegen die Identitären - ebensowenig wie das Bürgerforum für Sachsen. "Natürlich gibt es auch Rechte unter den Teilnehmern", räumt Christian Döring ein. Bei den Veranstaltungen der Bürgerforen sei jedoch nie etwas passiert. Eigentlich ein Wunder, wenn man in der Vergangenheit die Kommentare auf Facebook-Seiten wie "Zwickau sagt Nein zum Asylmissbrauch" und "Zwickau wehrt sich" las. Einträge auf beiden Seiten warben unter anderem für die Kundgebungen der Bürgerforen. Neben Kommentaren über Asylbewerber wie "dieser elende Abschaum, raus mit dem Gesindel" wird auf den Seiten oft auch offen gegen Zwickaus Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) gehetzt.

 

Bei den zuletzt weniger gut besuchten Kundgebungen soll es laut Bürgerforum für Sachsen nicht allein um die Asylkritik gehen. Wenn Redner wie im Februar Jürgen Elsässer auftreten, klingt das jedoch anders. Elsässer, früher für die linksgerichtete Zeitung "Junge Welt" aktiv, ist heute Chefredakteur des rechtspopulistischen "Compact"-Magazins. Der Autor schmähte Asylbewerber als "Kulturbereicherer" und sagte, nach den Vorfällen in Köln und in den Zwickauer Bädern würden sich Frauen nicht mehr auf die Straße trauen, weil sie "Angst vor testosterongesteuerten Orientalen" hätten.

 

In solchen Aussagen manifestiert sich laut Christoph Giesa, Autor des Buches "Gefährliche Bürger", die Strategie der Neuen Rechten. "Sie brauchen die Angst der Leute, um eskalieren zu können", sagt der Kenner der Szene und behauptet: "Die AfD, Pegida-Ableger und ähnlich gesinnte Gruppen" würden zwar häufig nicht Hitlers Nationalsozialismus verherrlichen, seien aber dennoch "im Kern faschistisch und antidemokratisch". "Wer heute die AfD wählt oder mit Pegida demonstriert und behauptet, er sei lediglich ein besorgter Bürger, dem fehlt entweder die nötige Intelligenz oder er lügt", sagt Giesa. Er ist überzeugt, dass die intellektuelle Rechte ihre Chance wittert und bewusst Druck auf etablierte Parteien macht - indem sie die Demonstranten manipuliert und instrumentalisiert. Laut Giesa würden viele Bürger die Stimmungsmache der Rechten völlig unterschätzen. So fühlten sich auch im Februar etliche Teilnehmer des Sternmarschs hinterher zu Unrecht in die rechte Ecke gestellt und machten das in sozialen Netzwerken und gegenüber Medien deutlich.

 

Politikwissenschaftler wie Werner Patzelt und Eckhard Jesse warnen davor, Bürger, die die Asylpolitik kritisieren, pauschal zu verurteilen. "Wer Missstände zur Sprache bringt, will sie beseitigen", sagte Jesse der "Freien Presse". Seiner Meinung nach ist die demokratische Streitbarkeit in Deutschland zu wenig entfaltet. Beispiel Zwickau: Ein Austausch zwischen dem Bürgerforum und Kontrahenten fand hier zuletzt lediglich über offene Briefe im Internet statt.

 

Der Berliner Rechtsextremismus-Experte Hajo Funke sieht die Lage in Sachsen dagegen sehr kritisch. "Die sächsische Regierung hat die gefährlichen, aufschäumenden Bewegungen verharmlost", sagte er dem MDR. Seiner Meinung nach hätten sich die Politiker deutlicher für Flüchtlinge einsetzen und diese Bewegung damit eindämmen müssen.

 

Laut Maik Schätzlein, Sprecher des Bürgerforums für Sachsen, ist die Gruppe derzeit mit 30 Initiativen in Sachsen vernetzt. Die ähnlich klingende neue "Bürgeroffensive Zwickau", die in den vergangenen Wochen in Glauchau und Zwickau Demonstrationen durchgeführt hat, gehöre nicht dazu. Mitglieder des Bürgerforums für Sachsen haben zudem die Wilkauer und die Lichtentanner Sicherheitsinitiativen gegründet - keine klassischen Bürgerwehren, sondern Gruppen von Menschen, die in Reaktion auf eine Einbruchserie in der Region verdächtige Beobachtungen melden. Laut Schätzlein gibt es dafür weitere Anfragen aus kleineren Gemeinden.

 

Im Fahrwasser der Bürgerforumsanhänger segelt derweil ein weiteres Phänomen: der Youtube-Kanal "Kara Ben Nemsi TV", dessen Mitarbeiter feindselige Filme gegen Asylbewerber, Gegendemonstranten und Politiker produzieren. Drei Mitglieder treten mit Kameras bei Demonstrationen und in Stadt- und Gemeinderäten öffentlich auf. Im Reinsdorfer Rat ließ Bürgermeister Steffen Ludwig (parteilos) unlängst einen der Männer vom Sicherheitsdienst entfernen. Dieser soll unerlaubt in der Sitzung gefilmt haben. Mehrere Bürger erstatteten Anzeige gegen die Männer. Ihr Vorwurf: Ihre Rechte am eigenen Bild wurden verletzt. "Ich wurde einfach gefilmt, und die Aufnahmen sind dann auch noch im Internet gelandet", sagt eine Person, die namentlich nicht genannt werden möchte. Auf die Bitte, diese Aufnahmen zu löschen, ging Youtube nicht ein. (mit sf)

 

Im Oktober gegründet


Der Verein "Bürgerforum für Sachsen" ist im Oktober 2015 von sieben Personen gegründet worden. Genauso viele Mitglieder sind es noch heute. Vorsitzender ist der Hartensteiner Lars Höselbarth. Die Gruppe will die "staatsbürgerlichen Bildung" fördern und die Staats- und Gesellschaftsform weiterentwickeln. Sie gibt an, parteipolitisch neutral zu sein.

 

Im Vorstand des Bürgerforums Zwickau sitzen unter anderem Heiko Gumprecht und Niels Nestler. Nestler ist Zwickauer und trat auf mehreren Spaziergängen als Redner auf. Beide waren zu keinem Gespräch mit der "Freien Presse" bereit.

 

Die rechtsextreme Kleinpartei "Der III. Weg" ist in den vergangenen Wochen verstärkt im Zwickauer Raum aufgetreten. Zuletzt schickte sie Postkarten an ausgewählte Politiker, Journalisten und Vereine der Stadt, um ihnen eine Ausreise nahezulegen. Mehrere Bürger wollten Anzeige erstatten. Auf den Karten ist Klaus Armstroff in Bad Dürkheim als Ansprechpartner vermerkt. (tgo)