Wie man eine Gefangenengewerkschaft gründet

Erstveröffentlicht: 
05.04.2016

Mitte Jänner haben wir bereits darüber berichtet, wie ein Insasse der Justizanstalt Graz Karlau die erste österreichische Gewerkschaft für Häftlinge ins Leben gerufen hat. In einem drastischen Schritt nähte sich Georg Huß, der wegen dem Anbau von Cannabis zu vier Jahren Haft verurteilt worden war, sogar den Mund zu und trat in Hungerstreik. Kurz darauf erteilte das Justizministerium den Gewerkschaftsplänen eine Absage, was die Initiatoren aber relativ unbeeindruckt ließ.

 

Anfang März wurde Georg Huß dann überraschend aus der Haft entlassen und nach Deutschland abgeschoben. Gleichzeitig verhängte der österreichische Staat ein zehnjähriges Einreiseverbot über den gebürtigen Deutschen. Dass das in Zusammenhang mit seinem gewerkschaftlichen Engagement steht, ist für Huß klar und sieht auch Oliver Rast von der deutschen Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Aktion (GG/BO) so: „Die österreichische Justiz will offensichtlich über diesen Hebel den Aufbau der Gefangenengewerkschaft blockieren", erklärt er mir im Gespräch.


Anfang April treffe ich Oliver Rast in Wien. Er ist für die Gewerkschaftsbewegung indeutschen und österreichischen Haftanstalten etwa das, was Robert Dißmann für den Deutschen Metallarbeiterverband war—ein effektiver Organisator. Zusammen mit dem Mitgefangenen Mehmet Sadik-Aykol gründete Oliver vor etwa zwei Jahren die GG/BO in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel.


Oliver ist 44 Jahre alt, stammt aus einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie und ist in einer Westberliner Hochhausregion aufgewachsen. Zuerst noch Mitglied in der Jugendorganisation der SPD, engagiert er sich Ende der 80er immer mehr in der autonomen, linksradikalen Szene Deutschlands, wo er erstmals auch mit der Gefangenenbewegung in Berührung kommt. „Damals gab es sehr agile Gefangenenkollektive der Genossinnen und Genossen von der RAF und des antimilitaristischen Widerstandes, die für mich sehr prägend waren", erzählt mir Oliver in einem Kaffeehaus in der Josefstadt—nicht ganz sein Bezirk, wie er mir verrät.Nach fast 20 Jahren linksradikalem Engagements, unter anderem für politische Gefangene, wird Oliver im Hochsommer 2007 selbst verhaftet. Ihm wird die Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg) vorgeworfen—einem klandestinen Zusammenhang, der der autonomen Linken in Deutschland entspringt. Oliver wird schließlich zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er bei einem Brandanschlag auf NATO-Kriegsgerät beteiligt gewesen sein soll. „Im Vergleich zu den 60er und 70er Jahren kein exorbitant hohes Strafmaß", wie Oliver meint.


Seine Strafe sitzt er in Berlin-Tegel ab, wo er auch den Langzeitgefangenen Mehmet Sadik-Aykol kennen lernt, der seit etwa 22 Jahren hinter Gittern sitzt. Mit ihm diskutiert er die soziale Frage, die im Gefängnis vor allem auf Grund des dort betriebenen Lohndumpings existiert. „Die Situation, die sich für mich dann in der Strafhaft dargestellt hat, war die, dass das, was ich früher an Solidaritätsaktivitäten noch selbst kennengelernt habe, dass es also wirklich politische Aktivistinnen und Aktivisten in den Strafanstalten gibt, nicht im Ansatz vorhanden war", erinnert sich Oliver. Für ihn als „politisches Subjekt" stellte sich schließlich die grundlegende Frage, wie er trotz fehlender Strukturen in der Haft politisch agieren könne. „Meine damals sehr ambitionierte Überlegung war, ob es möglich ist, das basisnahe, gewerkschaftliche Engagement, das ich außerhalb der Haftanstalt praktiziert habe, auf die widrigen Haftbedingungen zu übertragen."


 Trotz vieler Zweifel rufen Oliver Rast und Mehmet Sadik-Aykol mit einigen Mitgefangenen am 21. Mai 2014 die GG/BO ins Leben, die binnen zwei Jahren auf über 850 Mitglieder in mehr als 70 Haftanstalten anwächst. Grund dafür dürfte nicht zuletzt auch die pluralistische Auslegung der GG/BO sein. „Mein ganzer linksradikaler Plunder spielt in der GG/BO überhaupt keine Rolle. Es geht um Inhaftierte und die meisten Inhaftierten haben keine linke, geschweige denn eine linksradikale, Biographie", erklärt Oliver.


Der Gewerkschaftler wollte in Haft auch nie der revolutionäre Gefangene sein, den Teile der radikalen Linken gerne gesehen hätten. „Ein solches Verhalten hätten nicht wenige Menschen sehr gerne gesehen. Damit hatte ich durchaus zu hadern. In dieser Rolle wäre ich aber komplett isoliert gewesen", ist sich Oliver sicher.  Seit seiner Entlassung arbeitet Oliver Rast am Aufbau weiterer Strukturen—außerhalb und innerhalb der Gefängnisse. Dieses Engagement und auch sein Broterwerb führen ihn dabei immer wieder auch nach Österreich. Ende März erklärte Georg Huß in einem Interview mit Radio Helsinki: „Ich organisiere gerade eine bilaterale Gewerkschaft für Österreich und Süddeutschland." Dabei wird er auch von Oliver unterstütz, der zuletzt etwa Informationsveranstaltungen in Wien, Linz und Innsbruck organisierte. „Wir wollen versuchen, in Österreich bald in zwei, drei weiteren Haftanstalten Initiativen zu starten", verrät mir Oliver. Gab es Anfangs noch relativ große Berührungsängste von Seiten etablierter Gewerkschaften gegenüber der GG/BO, steigt zunehmend auch das Interesse von imÖGB und DGB organisierten Vertretungen für die Initiative. „Wir merken, dass das Eis mehr und mehr bricht. Für uns ist es natürlich enorm wichtig , dass es diese Kontaktstränge und Solidarisierungsversuche gibt, weil wir den Rückenwind und die Stärkung aus diesem Bereich brauchen", freut sich Oliver. Wie schwierig der Weg zu einer etablierten Gefangenengewerkschaft in Österreich noch werden wird, zeigt derzeit aber der Hungerstreik eines weiteren Aktivisten in der Justizanstalt Graz Karlau. Seit dem 10. Jänner verweigert der wegen bewaffneten Raubüberfalls zu lebenslanger Haft verurteilte Oliver Ri. die Nahrungsaufnahme, um seiner Forderung nach Gewerkschaftsfreiheit Druck zu verleihen. Inzwischen hat er schon über 25 Kilogramm an Gewicht verloren. Für VICE war Ri. telefonisch leider nicht erreichbar. Er gab aber zuletzt in der Radiosendung Von Unten ein Interview, in dem er vor allem die Arbeit hinter Gittern kritisiert, die er Zwangsarbeit nennt: „Hier drinnen lassen Großfirmen im Akkord Sacharbeit fertigen, die draußen zum Regelpreis verkauft wird. Die Häftlinge bekommen aber für die Arbeitsstunde nur einen Euro. Beamte und Private haben sich hier halbe Dörfer anfertigen lassen. Balkongeländer, Stiegen, Anhänger. Weil die Arbeit eines Häftlings hier wie in einem Straflager nichts kostet", erklärt er in der Sendung. Oliver Ri. ist ein rebellischer Gefangener, der mittlerweile wegen unterschiedlicher Delikte auf insgesamt 28 Jahre Haft zurückblicken kann. In seiner Biografie findet sich ein Ausbruch aus der Justizanstalt Graz-Karlau und gefährliche Drohungen gegen Wärter genauso wie eine ausführliche Beschwerde gegen die österreichische Republik vor der europäischen Menschenrechtskonvention. Aber darum geht es bei der GG/BO nicht. Was jemand wann, wie und wo verbrochen hat, ist nebensächlich. „Für mich ist es total wohltuend, dass inhaftierte Menschen jetzt nicht mehr nur im Polizeireport auftauchen, oder ihre Biografie als dubiose Crimestory erzählt wird", sagt Oliver Rast. „Durch das mediale Interesse an der GG/BO werden sie jetzt auch als Menschen gesehen, die sich sozialpolitisch organisieren, die sich gewerkschaftlich organisieren, die legitime, sozialreformerische Forderungen stellen und versuchen, Bündnispartnerinnen und Bündnispartner auszumachen, um das alles letztlich auch durchzusetzen." Für dieses Durchsetzen wird sich auch Oliver Ri., gemeinsam mit anderen Häftlingen, weiterhin einsetzen: „Der gewerkschaftliche Kampf geht weiter. Und auch die, die verlegt wurden, arbeiten weiter. Die haben gesehen, dass man etwas erreichen kann, auch wenn es nur ist, dass jeder regelmäßig seine Zahnpasta bekommt. Das ist schon ein immenser Erfolg", gibt sich Ri. gegenüber Radio Helsinki kämpferisch.