Wie Innenminister Ulbig Kritiker mundtot machen will

Erstveröffentlicht: 
03.04.2016

In Sachsen übt ein Professor der Polizeihochschule Kritik an Innenminister Ulbig. Der will ihn per Kündigungsdrohung zum Schweigen bringen. Der Streit könnte vor dem Bundesverfassungsgericht enden.

 

"Beiß nicht in die Hand, die dich füttert." Auch Dieter Müller kennt das Sprichwort. Aber er hält sich nicht daran. Seit Jahren nicht. Im Gegenteil teilt der Professor an der Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg bei Bautzen immer wieder gegen seinen Arbeitgeber aus. Ob Landesinnenminister Markus Ulbig (CDU) und sein Beamtenapparat oder Führungskräfte der Ordnungsmacht – niemand ist vor Müllers Kritik sicher.

Der Niedersachse, der Mitte der 90er-Jahre als Aufbauhelfer in den Osten zog und "diesen Schritt nie bereute", sagt öffentlich Sätze wie: "Bei der Polizei ist Ehrlichkeit oft ein Hindernis für die Karriere." Besonders auf dem Kieker hat der Hochschullehrer den Innenminister.

Da ist er längst nicht der Einzige; Ulbig hat viele Kritiker. Sie werfen ihm vor, den Rechtsextremismus zu verharmlosen, sein Haus nach Gutsherrenart zu führen und Mitarbeiter, die ihm nicht bedingungslos folgen, kaltzustellen. Müller jedenfalls lässt kaum ein gutes Haar an der Politik des Christdemokraten.

Als Michael Neumann (SPD) im Januar sein Amt als Hamburgs Innensenator niederlegte, frohlockte der Professor auf Facebook, ein Rücktritt könne "so einfach sein". Nur: "Ich lebe in dieser Hinsicht im falschen Bundesland." Die "Bild"-Zeitung machte daraus die Schlagzeile "Sachsens Polizei-Professor schießt gegen Innenminister". Zudem zitierte sie die Einschätzung des 57-Jährigen zum Endbericht der von Ulbig eingesetzten Kommission zur Überprüfung der sächsischen Polizeireform: "Wäre es eine Bachelorarbeit, ich würde eine glatte Fünf geben."

Ulbigs Pressestelle teilte damals auf Anfrage mit: "Einzelne Äußerungen und Interpretationen Dritter werden nicht kommentiert." Hinter den Kulissen schmiedete das Ministerium aber einen Plan, Müller an die Leine zu nehmen. Am 4. Februar händigte Landespolizeipräsident Jürgen Georgie in Absprache mit Ulbig eine Abmahnung aus. Unter Androhung der fristlosen Kündigung wird ihm verboten, sich künftig auf eigene Faust zur sächsischen Polizeiarbeit und Innenpolitik zu äußern.

Müller wird vorgeworfen, dem Land Sachsen als seinem Arbeitgeber und den politischen Absichten des Ministers zu schaden: Ihm gehe es nicht um sachliche Kritik an Ulbigs Arbeit, sondern darum, dem Christdemokraten "die persönliche Eignung für dieses Amt abzusprechen".

Ein Parteifreund durchkreuzt Ulbigs Plan

Doch offenkundig hat der Minister den Bogen überspannt. Ausgerechnet die CDU-Landtagsfraktion durchkreuzt seine Pläne, Müller möglichst zum Schweigen zu bringen. Auf Initiative des innenpolitischen Sprechers Christian Hartmann hat ihn der Innenausschuss für den 12. Mai zu einer Anhörung eingeladen. "Ich schätze Professor Müller und seine Expertise sehr", sagte Hartmann auf Anfrage.

Zum Streit zwischen Ulbig und Müller wollte er sich nicht äußern. Dass Hartmann keinerlei Kenntnis davon hat, ist gleichwohl kaum vorstellbar. Verbietet Ulbig Müller den Auftritt vor dem Ausschuss, wird der Streit eskalieren. Erscheint der Professor, steht Ulbig dumm da.

Aus Sicht der Kritiker des Christdemokraten wirft der Vorgang ein bezeichnendes Bild auf Ulbigs politisches Selbstverständnis. Leipzigs Polizeichef Bernd Merbitz erlebte, wie Ulbig mit Gegnern umgeht. In seiner Zeit als Landespolizeipräsident von 2007 bis 2012 kritisierte Merbitz – eine Parallele zu Müller – Ulbigs Politik, etwa zum Stellenabbau. Der Christdemokrat degradierte ihn zum Polizeichef und schob ihn nach Leipzig ab.

Bei Müller zeigt der Warnschuss unterdessen Wirkung – zumindest vorerst: Momentan lehnt er Presseanfragen ab. Das übernimmt sein Anwalt Florian Berthold. "Natürlich ist das ein Maulkorb. Was denn sonst!"

Der Streit zwischen Müller und Ulbig hält seit Jahren an. Im Dezember 2011 war dem 57-Jährigen verboten worden, "im Namen der Hochschule zu publizieren". Die "Sächsische Zeitung" zitierte im Mai 2015 einen Rat des Professors an seine Studenten: "Vielen Ihrer Vorgesetzten wird es künftig nur um die Bilanz gehen, damit sie vor dem Innenministerium gut dastehen." Daraufhin sprach sein Arbeitgeber Müller eine Missbilligung aus, eine leichtere Art der Abmahnung. Auch sie hatte zum Ziel, den Professor die Lust an kritischen Stellungnahmen zu nehmen.

Im November 2015 schlossen die Kontrahenten vor dem Arbeitsgericht Bautzen einen Vergleich. Die Missbilligung wurde aus Müllers Personalakte gestrichen. Er erklärte sich im Gegenzug bereit, "ab sofort in Presseinterviews im Rahmen seiner Möglichkeiten die Belange des Arbeitgebers zu berücksichtigen". Die Formulierung ist wachsweich. Trotzdem beruft sich der Landespolizeipräsident in seiner Abmahnung darauf.

Wird Müller Mitglied im Hauptpersonalrat der Polizei?

Nun sehen sich die Kontrahenten wieder vor Gericht. Müller klagt gegen die Abmahnung. In dem Rechtsstreit geht es auch darum, wo die Grenzen zwischen Meinungsfreiheit und Loyalität zum Arbeitgeber liegen. Nach Auffassung des Ministeriums kann sich Müller nicht darauf berufen. Da die Äußerungen "aus Sicht eines objektiven Außenstehenden nicht ausschließlich privater Natur" seien, habe er gegen die "arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht" verstoßen. Müller wird aufgefordert, künftig Bedenken gegenüber Ulbig und dessen Spitzenbeamte "zunächst intern" zu äußern und – was immer das heißen mag – vor öffentlichen Statements "den Inhalt beziehungsweise die Berechtigung der Kritik vorab sorgfältig zu überprüfen".

Der Fall ist umso komplexer, weil die sächsische Polizeihochschule keine Universität im klassischen Sinne ist, sondern eine dem Innenministerium unterstellte Einrichtung. Ob sich Müller also auf die Wissenschaftsfreiheit berufen kann, ist fraglich. Rechtsanwalt Berthold fragt: "Kadavergehorsam oder Meinungsfreiheit – was will Sachsen?" Die Argumentation des Ministeriums sei "Unsinn": "Es besteht mit Sicherheit keine Verwechslung eines Smileys mit einem Amtswappen oder der privaten Facebook-Seite eines Professors mit amtlicher Bekanntmachung."

Ziel des Arbeitsrechts sei nicht, "mit Unterdrückung wissenschaftlicher Stellungnahmen politische Ziele zu erreichen". Berthold erwägt deshalb den Gang vor das Landes- oder gar vor das Bundesverfassungsgericht.

Sachsens Innenministerium äußert sich "aufgrund unserer arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht gegenüber Professor Dr. Müller" nicht zu dem Komplex. Hochschulrektor Harald Kogel erklärt lediglich, es gebe "keine expliziten Vorgaben" für den Umgang mit Medien – nur eine Verwaltungsvorschrift.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft sprang Müller bei. Sie schlug ihn für den Hauptpersonalrat der sächsischen Polizei vor; nach eigenen Angaben steht er auf Listenplatz eins, der als sicher gilt. Die Wahl ist im April. Schafft der Hochschullehrer den Sprung in das Gremium, wird er künftig etwa über Berufungen, Beförderungen und Gehaltserhöhungen mitentscheiden können – und ist unkündbar.