[HL] Die Integrationsarbeiter

Das Grünflächenamt ist ein Anlaufpunkt für viele Geflüchtete
Erstveröffentlicht: 
01.04.2016

Das Grünflächenamt ist ein Anlaufpunkt für viele Flüchtlinge geworden. Die Walli will das Projekt behalten, doch die Zukunft ist unsicher.

 

Das Stimmengewirr im ersten Stock ist eine Mischung aus Deutsch und Arabisch: Frauke Kässbohrer leitet den Bastelkurs mit Flüchtlingen, „so lernen sie nebenher unsere Sprache“. Die 74-Jährige bietet die fröhliche Runde bereits seit etwa fünf Wochen im Solizentrum an, dem ehemaligen Grünflächenamt neben der Walli. Auf der Kreidewand hinter ihr steht „Ich heiße . . .“, darunter die arabische Version. Die Gruppe bastelt Lesezeichen, verschönert Taschentuch-Spender und Streichholzschachteln — und lernt wie von selbst die deutschen Begriffe.

 

Unter ihnen sitzen auch Abdu und Devo, sie sind zwei von insgesamt sechs „Bufdis“ auf der Walli, wie der Zivildienst-Nachfolger Bundesfreiwilligendienst abgekürzt heißt. „Es ist spannend, wie wir hier helfen können“, sagt Devo (22). Ihre Eltern flüchteten vor 23 Jahren aus Kurdistan, Abdu (21) kam vor acht Monaten aus Syrien und spricht schon richtig gut Deutsch. Beide engagieren sich als Dolmetscher und helfen den Flüchtlingen bei vielen Alltagsfragen.

Was im ehemaligen Grünflächenamt Mitte Oktober noch als Notunterkunft für Hunderte Transitflüchtlinge Richtung Skandinavien begann, ist zu einem festen Anlaufpunkt für viele Flüchtlinge geworden.

 

„Ich komme extra aus der Unterkunft in Puttgarden hierher“, sagt Saeed Irfan auf Englisch. Als er vor sechs Monaten nach Lübeck kam, war die Walli das erste, was er kennenlernte. „Es macht so viel Spaß hier, ich kann so die Sprache viel besser lernen.“ In Puttgarden gebe es nichts. Im Irak arbeitete Irfan als Anwalt, das möchte er auch in Deutschland wieder tun.

 

Khaled Ramadan stammt ebenfalls aus dem Irak und lebt seit einem halben Jahr in der Hansestadt. „Ich bin jeden Tag hier“, sagt er. Ramadan hilft in der Küche und auch sonst überall dort, wo Hände gebraucht werden. Sollte es einmal Sprachprobleme geben, „tippen wir die Sätze in sein Handy — und es übersetzt alles ins Arabische“, sagt Gabriela Pokatis. Die 58-Jährige steht regelmäßig mit anderen Ehrenamtlern in der Küche vom „Anker“, wie das kleine Restaurant im Grünflächenamt getauft wurde.

 

Dass mehrere Parteien fordern, das nur vorübergehend von der Stadt zur Verfügung gestellte Grünflächenamt endlich zurückzugeben (die LN berichteten), ist nicht spurlos an Christoph Kleine und Jana Schneider vom Flüchtlingsforum vorübergegangen. „Es ist mittlerweile ein ganz wichtiger Bezugspunkt“, sagt Schneider. Weiterhin übernachten zehn bis 20 Flüchtlinge im Solizentrum, darüber hinaus leisten die Ehrenamtler Integrationsarbeit. „Große Sorgen machen wir uns zwar nicht“, sagt Kleine. Allerdings gebe es tatsächlich bis auf den Handschlag mit dem Bürgermeister weiterhin keinen verbindlichen Mietvertrag. So lange steht als Rückgabetermin der 30. April im Raum. Kleine: „Dieser Schwebezustand ist ärgerlich.“

 

Jana Schneider führt das Frauencafé an, „bei dem immer richtig viel los ist“. Lübeckerinnen lernen von weiblichen Flüchtlingen und umgekehrt. Als Beispiel nennt Schneider urdeutschen Marmorkuchen und das arabische Blätterteig-Gebäck Baklava, die einmal nebeneinander auf dem Tisch standen. Auch Saeed, der Anwalt aus dem Irak, spricht von dem „großen Fehler“, das Projekt beenden zu wollen. Heike Behrens bietet eine Rechtsberatung an, weil die meisten Flüchtlinge mit den vielen Bestimmungen überfordert seien. „Solch ein Angebot gibt es auf dem Volksfestplatz nicht.“ Im großen Saal, der im Herbst noch Schlafplatz für die Transitflüchtlinge war, soll es bald Sportkurse geben.

 

Und in der Werkstatt „CiclettaClub“ können alle lernen, an Fahrrädern herumzuschrauben. „Wir reparieren alles gemeinsam“, sagt Michael Müller (24). Dabei sei es völlig egal, ob ein Flüchtling, Student oder Arzt mit seinem kaputten Fahrrad vorbeikommt. „Wir sind für alle da.“ Und genau das möchte Christoph Kleine auch für das gesamte Projekt erreichen: „Wir sind ein offenes Haus.“