Fremdenfeinde haben Tradition im Osten - Sonderfall Sachsen

Erstveröffentlicht: 
22.02.2016

Immer wieder Sachsen: Erst empfängt ein pöbelnder Mob Flüchtlinge in Clausnitz, dann brennt in Bautzen eine geplante Asylunterkunft. Fremdenhass scheint im Osten zu Hause. Aber warum?

 

Berlin. Dass Ostdeutschland ein Schwerpunkt ausländerfeindlicher Kriminalität ist, überrascht niemanden mehr. Vor allem ein Bundesland steht dabei im Vordergrund: Sachsen. Erst machen Heidenau und Freital Schlagzeilen, jetzt Clausnitz und Bautzen. Seit der Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland massiv zugenommen hat, steigt auch die Zahl der Straftaten gegen Asylunterkünfte und Ausländer dramatisch an - nicht nur in Ostdeutschland und nicht nur in Sachsen, aber dort gab es eben besonders spektakuläre Fälle.

 

2015 wurden bundesweit etwa 1000 Straftaten gegen Asylunterkünfte registriert, das sind im Schnitt fast drei an jedem einzelnen Tag. 2014 waren es nur 199. Allein in den ersten sechs Wochen dieses Jahres gab es schon 118 Straftaten, geht aus den neuesten Zahlen des Bundesinnenministeriums hervor. Im ersten Halbjahr 2015 fanden mehr als 40 Prozent der registrierten Angriffe in den ostdeutschen Bundesländern statt.

 

Warum Sachsen?


Dabei stellen die Ost-Länder weniger als 20 Prozent der gesamtdeutschen Bevölkerung. Warum aber ausgerechnet Sachsen? „Das liegt an der Regierung in Dresden, die lange Zeit und immer wieder rechtsextreme Gewalt verharmlost oder sogar geleugnet hat“, sagt der Extremismusforscher Prof. Hajo Funke der Deutschen Presse-Agentur. Heidenau mit den ausländerfeindlichen Krawallen Ende August sei ein Fanal gewesen. „Das ist außer Kontrolle geraten“, sagt Funke.

In Sachsen sei eine „Mischszene“ aktiv - Neonazis und von der ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung mobilisierte Bürger. Deren Mobilisierung habe inzwischen die rechte Alternative für Deutschland (AfD) übernommen. „Das ist so prekär, weil der braune Schatten an die Tür klopft“, sagt Funke. Gemeint ist die NPD, die sich reaktiviert habe. Aber auch die Partei Die Rechte, Neonazis, Hooligans und organisierte Kriminalität mischten mit. „Das erklärt die Gewaltwelle gerade in Sachsen.“

 

Neu ist das Thema nicht. Der frühere DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker sagte einmal: „Der Fremdenhass liegt sehr stark in der deutschen Mentalität“. Dann fügte er aber hinzu: „Bei uns in der DDR ist das überwunden.“ Der Politikwissenschaftler Jochen Staadt zitiert diese Äußerung, aber er sieht das ganz anders. „Die fremdenfeindlichen Zwischenfälle in den neuen Ländern haben eine lange Vorgeschichte in der DDR“, schreibt er in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

 

Auf DDR-Vergangenheit zurückzuführen


Dass es seit 1990 immer wieder zu Ausschreitungen im Osten gekommen ist, führt Staadt auch auf die Ausländerpolitik der DDR zurück. Gab es zunächst verschwindend wenig Menschen aus anderen Ländern - von den sowjetischen Besatzungstruppen abgesehen - stieg die Zahl in den 80er Jahren sprunghaft an - und damit der Unmut der Bevölkerung und die Zahl der Zusammenstöße.

 

Es waren vor allem Männer aus Vietnam und Mosambik, die in der DDR weitgehend ghettoisiert wurden und denen eine „parasitäre Lebensweise“ vorgeworfen wurde. Integration war in dieser Hinsicht in der DDR ein Fremdwort. Besser lief das dagegen, so schreibt Staadt, mit der Aufnahme von Altnazis in die Staatspartei SED.

 

Und auch Funke spricht von einer „Kontinuität der Diktaturen.“ Es gebe eine autoritäre Tradition, ein Fehlen demokratischer Orientierung. Die ausgebliebene Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der DDR habe auch zu Verhaltensmustern beigetragen, die immer einen Sündenbock suchten: erst Juden, dann die sogenannten Vertragsarbeiter, heute Migranten und vor allem Flüchtlinge.

 

Übergriffe in Ostdeutschland


Die Zahl der Anschläge auf bestehende oder geplante Flüchtlingsunterkünfte ist sprunghaft gestiegen. Es kommt auch immer wieder zu fremdenfeindlichen Ausschreitungen vor solchen Einrichtungen. Beispiel aus den ostdeutschen Bundesländern:


SACHSEN BAUTZEN - In der Nacht zum 21. Februar 2016 sehen bei einem vorsätzlich gelegten Feuer in einer künftigen Flüchtlingsunterkunft alkoholisierte Schaulustige mit unverhohlener Freude zu, einige behindern die Löscharbeiten.

 

CLAUSNITZ - Am 18. Februar 2016 versucht eine grölende Menge, die Ankunft der ersten Bewohner in einer neuen Einrichtung in dem Ortsteil von Rechenberg-Bienenmühle zu verhindern. Die Polizei steht in der Kritik, weil sie mit Flüchtlingen rabiat umgegangen sein soll.

 

LEIPZIG - Im Januar 2016 versucht eine Gruppe, einen selbst gebauten Sprengsatz vor einer künftigen Asylunterkunft zu zünden. Ein Unbekannter dringt in ein Flüchtlingsheim ein, verteilt ein Kraftstoffgemisch und versucht dies anzuzünden. Das Feuer erlischt.

 

JAHNSDORF - Im Dezember 2015 greift eine Gruppe von bis zu 30 Menschen einen Bus mit Flüchtlingen bei der Ankunft an einem Asylbewerberheim an.

 

FREIBERG - Im Oktober 2015 versuchen mehrere Hundert Demonstranten unter anderem mit Sitzblockaden zu verhindern, dass durchreisende Flüchtlinge von einem Zug auf Busse umsteigen.

 

BISCHOFSWERDA - Im September 2015 belagern rechte Krawallmacher die Zufahrt zu einer Notunterkunft. Flüchtlinge können nur unter Polizeischutz einziehen.

HEIDENAU - Als im August 2015 in einen ausrangierten Baumarkt Flüchtlinge einziehen sollen, gibt es heftige ausländerfeindliche Krawalle. Es fliegen Böller, Flaschen und Steine.

 

DRESDEN - Im Juli 2015 gibt es vor einer Zeltstadt für Flüchtlinge ausländerfeindliche Proteste. Im Oktober folgt ein Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft.

 

BRANDENBURG NAUEN - Im August 2015 wird ein Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft verübt.

 

WÜNSDORF-WALDSTADT - Im Mai 2015 wird auf ein geplantes Flüchtlingsheim ein Brandanschlag verübt.

 

MECKLENBURG-VORPOMMERN BOIZENBURG - Im Oktober 2015 brennt ein dreistöckiges Gebäude, in das Flüchtlinge einziehen sollen, vollständig aus.

 

TRASSENHEIDE - Im Oktober 2015 werden auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft Brandsätze geworfen, die keinen größeren Schäden anrichten.

 

SACHSEN-ANHALT BISMARK - Im Januar 2016 wird eine geplante Flüchtlingsunterkunft unter Wasser gesetzt.

 

GRÄFENHAINICHEN - Im Dezember 2015 machen Täter ein ehemaliges Bürogebäude durch einen Wasserschaden unbewohnbar.

TRÖGLITZ - Im April 2015 wird ein frisch sanierter Wohnblock angezündet, wenige Wochen bevor Flüchtlinge dort einziehen sollten.

THÜRINGEN ALTENBURG - Im Dezember 2015 werden bei einem Feuer in einer Flüchtlingsunterkunft mehrere Menschen verletzt.

 

EBELEBEN - Im September 2015 steht eine geplante Asylbewerberunterkunft in Flammen.