Berlin-Prenzlauer Berg: Der Kulturkampf um das Stillverbot fällt erst einmal aus

Erstveröffentlicht: 
20.02.2016

Von Sabine Rennefanz

Eine Mutter wehrt sich dagegen, dass ihr in einem Café das Stillen verboten wird. Und plötzlich drehen alle durch. Aus einem lokalen Konflikt wird eine gesellschaftliche Debatte.

 

Man ist nach der Aufregung in den vergangenen Tagen um Brüste, Babys und das öffentliche Stillen fast überrascht, am Freitagvormittag vor dem Café The Barn in der Schönhauser Allee keinen Flashmob protestierender Mütter anzutreffen. Drei junge Italienerinnen betreten den Laden, Babys haben sie nicht dabei, aber Rollkoffer, die allerdings in Berlin auch ein Imageproblem haben.

Eigene Regeln

„The Barn“ heißt übersetzt Scheune, was eine Untertreibung ist, alles an dem Laden ist perfekt in Szene gesetzt, die großen Fenster, der lange Tresen aus naturbelassenem Holz, die lässig drapierten Kaffeesäcke. Auf der Website, die nur in Englisch gehalten ist, bezeichnet der Betreiber Ralf Rüller sein Geschäft als eine der führenden Kaffee-Röstereien Deutschlands. Rüller hat Kaffeetrinken zu einer Religion erklärt, mit eigenen Gesetzen und Regeln.

In seinem Lokal sind Hunde und Kinderwagen nicht erlaubt, Laptops nur in Ausnahmefällen. In den Spezialkaffee darf keine kalte Milch, niemals. Auch zu Milch, die nicht aus der Biotüte kommt, hat er eine Meinung. Als eine Kundin am vergangenen Sonnabend ihr Baby in The Barn stillen wollte, wurde ihr das verboten, sagt sie, mit dem Hinweis, sie befinde sich in einem „gehobenen Laden“.

Der Betreiber wird später behaupten, er habe ihr einen Ort im hinteren Teil des Cafés zum Stillen angeboten, die Frau wird das bestreiten.

Johanna Spanke, so heißt die Frau, ging nach Hause, doch die Abfuhr in The Barn ließ sie nicht los. Sowas war ihr noch nie passiert. Sie ist 30, Kunsthistorikerin, lebt in Prenzlauer Berg. Sie hatte sich früher auch über die „Latte-Macciato-Mütter“, eines der liebsten Feindbilder Berlins, lustig gemacht, jetzt war sie selbst eine.

Sie dachte an die vielen Broschüren, die sie im Krankenhaus nach der Geburt bekommen hatte, in denen stand, wie wichtig das Stillen in den ersten sechs Monaten sei. Sollte sie sich sechs Monate lang drinnen verstecken, damit sich niemand gestört fühlt? Es verletzte sie, dass man ein Baby an der Brust als etwas Ekliges empfinden konnte.


Über 10.000 Unterstützer

Johanna Spanke setzte nun eine Petition auf, im Internet geht das heutzutage in Minutenschnelle, ohne große Voraussetzungen, adressiert gleich an ganz oben, Manuela Schwesig, Bundesfamilienministerin.

In der Petition forderte sie ein Gesetz zum Schutz des Stillens in der Öffentlichkeit. „Auch stillende Frauen haben das Recht, am öffentlichen Leben teilzunehmen, ohne diskriminiert und beschämt zu werden“, schrieb sie.

Plötzlich drehten alle durch, aus einem lokalen Konflikt um ein Café, das viele Berliner noch nie besucht haben dürften, wurde eine gesellschaftliche Debatte. Bis Freitagnachmittag unterschrieben über zehntausend Menschen die Petition von Johanna Spanke, die Diskriminierungsstelle der Bundesregierung meldete sich zu Wort, die Ersten warnten vor einem Kulturkampf.

Die einen sahen hysterische Mütter auf dem Vormarsch, die mit ihren hungrigen Bälgern die Stadt terrorisierten. Andere zeigten sich von der Erkenntnis schockiert, dass die weibliche Brust nicht nur der Werbung dient.

Dem Betreiber von The Barn ist das alles offensichtlich unangenehm. Auf die Frage, ob der Chef zu sprechen sei, wird man von einem Mitarbeiter abgewimmelt. „Wir haben schrecklich viel zu tun“, sagt der Mann auf Englisch. Er steht zwischen leeren Tischen, die einzigen Gäste sind die Italienerinnen.