Leipzig. Die Wannsee-Konferenz der Nationalsozialisten im Januar 1942 bildete die grausame Grundlage für die systematische Deportation und Ermordung von Juden. Es gab aber auch Menschen, die ihren Mitbürgern beim Überleben halfen. Es ist nicht bekannt, wie viele Juden in Leipzig während des Nationalsozialismus durch couragiertes Handeln von nichtjüdischen Bürgern vor der Deportation in ein Todeslager bewahrt und damit gerettet wurden. Die Geschichte der Geretteten und ihrer Retter, den „Stillen Helden“, besteht vor allem aus einzelnen Schicksalen und nur wenige schriftliche Quellen teilen Einzelheiten mit. Im 3. Teil der LVZ-Serie geht es um Pater Aurelius Arkenau.
Am 9. und 10. Februar 1945 erhielten etwa 220 jüdisch Verfolgte, die noch im Stadtgebiet und im Landkreis Leipzig wohnten, Schreckenspost von der Gestapo. Alle sollten sich am 13. Februar um 9 Uhr in der Volksschule in der Zillerstraße melden, um am nächsten Tag „zum Arbeitseinsatz nach dem Altersghetto Theresienstadt“ fortgebracht zu werden. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich zwar die deutsche Niederlage schon deutlicher ab, doch die Nationalsozialisten setzten ihren Mordplan an den Juden hemmungslos fort. Weiterhin fuhren fast täglich Züge aus deutschen Regionen jüdische Deportationsopfer in das Theresienstädter Konzentrationslager in Nordböhmen. Die Leipziger Gestapo stellte seit Januar 1944 Sammeltransporte mit Frauen und Männer jüdischer Herkunft zusammen, die mit Nichtjuden verheiratet waren. Diesmal sollten mit jüdischen Müttern und Vätern aus sogenannten Mischehen auch die minderjährigen Kinder, in der NS-Gesetzgebung als Geltungsjuden benannt, deportiert werden.
In dieser lebensbedrohlichen Situation so kurz vor dem Kriegsende suchten erstmals gleichzeitig viele der Betroffenen, dem zugedachten Schicksal zu entkommen. Auf der Suche nach Fluchthelfern und Verstecken wurden wiederum katholische Geistliche wie Pater Aurelius Arkenau im Dominikanerkloster in Wahren um Hilfe gebeten. Mehrere der jüdisch Verfolgten, die einer christlichen Konfession angehörten, wandten sich an Kaplan Josef Gülden und Pfarrer Theo Gunkel vom Oratorium des Hl. Philipp Neri in der Liebfrauengemeinde in Lindenau. Die Mitglieder des Oratoriums setzten sich für liturgische Reformen in der katholischen Kirche, für eine stärkere Einbeziehung und Verantwortung von Laien sowie den Gebrauch der deutschen Sprache in der Messe ein. Gülden und Gunkel standen in dem Ruf, den Menschen besonders zugewandte Seelsorger und Gesprächspartner zu sein. Auch angesichts der Verfolgung der Juden schwiegen sie nicht, sondern übten offene Kritik. Am 13. November 1938, drei Tage nach dem antijüdischen Pogrom war es Gülden, der während des Sonntagsgottesdienstes von der Kanzel die furchtbaren Geschehnisse verurteilte. Nur ganz wenige Pfarrer in Leipzig handelten in gleicher Weise. Ein Jahr später spürte Gunkel den Gestapoterror am eigenen Leibe. Nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler im Bürgerbraukeller in München am 8. November 1939 wurden er sowie die Oratorianer Heinrich Kahlefeld und Philipp Dessauer festgenommen und mehrere Wochen im Polizeigefängnis inhaftiert. Ebenso wie Arkenau begriffen Gunkel und Gülden ihren Glauben als ethische Herausforderung und setzten die eigene Sicherheit für andere aufs Spiel.
Zu den Menschen, die in der Liebfrauengemeinde im Februar 1945 lebensrettende Hilfe und Solidarität praktizierten, gehörten die Schwestern Ottilie und Helene Spitzer. Sie versteckten Karoline Scherf in ihrer Wohnung in der Friedrich-August-Straße 29 (heute Engertstraße) bis zum Ende des Krieges. Ihr Mann Paul Scherf war als Ehemann einer „Jüdin“ im November 1944 von der „Organisation Todt“ zwangsverpflichtet worden und wurde seitdem in Osterode zum Bau von militärischen Anlagen eingesetzt. In einer von der Pfarrei Liebfrauen betreuten Außenstelle in Großzschocher brachten Gunkel und Gülden ein Ehepaar mit zwei Kindern unter. Und im Gemeindehaus in Lindenau wurde das Ehepaar Zorn versteckt.
Über Pater Arkenaus Kontakte zu katholischen Kreisen in Berlin konnte Meta Grobosch geholfen werden. Den letztlichen Anstoß für eine Flucht hatte ihr nichtjüdischer Mann Heinrich gegeben, denn vier Geschwister seiner Frau waren zuvor in Konzentrationslager verschleppt worden. Die Eheleute flüchteten nach Berlin, wo sie von einem Ministerialdirektor des Verkehrsministeriums versteckt wurden.
In einem bislang bekannten Fall war es wiederum ein Firmeninhaber, der die Deportation eines jüdischen Beschäftigten (Zwangsarbeiters) verhinderte. Seit Dezember 1940 arbeitete Moritz Wasserstrom in der Rauchwarenzurichterei, Rauchwarenfärberei und Rauchwarengerberei Adolf Petzold GmbH. Der Betriebsleiter Alfred Petzold setzte bei der Gestapo – möglicherweise durch Bestechung eines Mitarbeiters – den Verbleib als Arbeitskraft in der Firma durch.