+++ Der Tag nach den Verwüstungen in Connewitz +++ Der Tag nach den Verwüstungen in Connewitz +++

Erstveröffentlicht: 
13.01.2016
Angriff mit Ansage: Neonazis kündigten Sturm vorher an
Alle 211 festgesetzten Hooligans sind wieder auf freiem Fuß
VON FRANK DöRING

 

Nach den schweren Krawallen von Hooligans im linken Szeneviertel Connewitz sind gestern früh gegen 6 Uhr die letzten der 211 festgesetzten Tatverdächtigen aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden. Die Identitätsfeststellungen und erkennungsdienstlichen Behandlungen hätten sich bis in die Morgenstunden hingezogen, so die Behörde. Gegen alle werde wegen des Tatbestands des schweren Landfriedensbruchs ermittelt. Nach Angaben von Polizeisprecher Andreas Loepki wurden 57 Straftaten, unter anderem wegen Verstößen gegen das Versammlungs-, Waffen-, Sprengstoff- und Betäubungsmittelgesetz registriert. Fünf Beamte wurden bei dem Polizeieinsatz gegen die Schlägertrupps verletzt.

 

Während ein Großaufgebot der Polizei am Montagabend die Demos im Zusammenhang mit dem Legida-Jahrestag in der Innenstadt absicherte, wollten rechtsradikale Hooligans vermeintliche Sicherheitsdefizite ausnutzen und einen offenbar seit längerer Zeit gefassten Plan umsetzen. Es war wohl eine Attacke mit Ansage: Schon vor dem im Dezember 2015 avisierten Sternmarsch von Rechtsextremen im Leipziger Süden hatte die Brigade Halle, eine vom Verfassungsschutz beobachtete Neonazi-Kameradschaft, via Twitter getönt: „Es ist an der Zeit, Connewitz fertig zu machen!!!“ Am Montag folgten weitere Postings aus der Szene. Zum „Sturm auf Leipzig“ wurde da etwa aufgerufen. Man wolle „dem Gesindel zeigen, wem diese Stadt in Wirklichkeit gehört“. Und: „Montag alle Mann nach Leipzig! Vielleicht haben wir noch eine ganz gute Überraschung für euch!“

 

Der Ankündigung folgten Taten: Gegen 19.20 Uhr zogen mehr als 200 Vermummte durch Connewitz, hielten ein Plakat mit der Aufschrift: „Leipzig bleibt helle“ und zogen eine Schneise der Verwüstung durch die Wolfgang-Heinze-Straße. Allein hier griffen sie um die20 Geschäfte und Lokale an, zerdroschen mit Baseballschlägern Schaufenster und Inventar, zündeten Pyrotechnik und Sprengsätze, versuchten Barrikaden aufzutürmen. Offenbar durch eine Silvesterrakete kam es zu einem Wohnungsbrand im Dachgeschoss eines Hauses in der Wolfgang-Heinze-Straße/Simildenstraße. Ersten Schätzungen zufolge entstand ein Gesamtschaden von mehreren zehntausend Euro.

 

„Die Gruppierung konnte durch Einsatzkräfte kurze Zeit später fast vollständig festgesetzt werden“, berichtete Polizeisprecher Andreas Loepki. Connewitz galt an diesem Tag neben der Innenstadt ohnehin als ein Einsatzschwerpunkt. Dem Vernehmen nach allerdings nicht wegen befürchteter Angriffe von Neonazis, sondern weil die linksautonome Szene im Vorfeld der Legida-Demo zu gewaltsamen Übergriffen aufgerufen hatte und aus dieser Richtung mit Aktionen gerechnet wurde.

 

Die in Gewahrsam genommenen Randalierer seien „zu einem nicht unerheblichen Teil“ als „rechtsmotiviert“ sowie „Gewalttäter Sport“ aktenkundig, berichtete Loepki. Nach Erkenntnissen der Polizei handelte es sich um Anhänger von Lok Leipzig und dem Halleschen FC. Informationen, wonach zeitgleich auch koordinierte Neonazi-Angriffe auf Wagenplätze in Plagwitz stattgefunden haben sollen, bestätigte die Behörde gestern nicht. Man habe keine Kenntnis von konkreten Straftaten, so Loepki.

 

In der rechtsextremen Szene wurde der Angriff auf Connewitz gefeiert. „Linke heulen und jammern“, frohlockte die NPD Leipzig auf Twitter. Über den Kurznachrichtendienst machte auch die Meldung die Runde: „Frontstadt Leipzig in Nazihand. Festung Connewitz ist gefallen.“ Und eine Kameradschaft aus Dresden erklärte: „Dieser Tag hat bewiesen, antifaschistische Strukturen sind verwundbar und das Herzstück der Antifa ist gefallen.“

 

Die Linksautonomen reagierten noch in der Nacht und griffen nach Angaben der Polizei einen Gefangenentransporter an, in dem die Hooligans zur Dienststelle gebracht werden sollten. Den Angriff auf „ihr“ Viertel werde die Connewitzer Szene nicht unbeantwortet lassen, hieß es aus Polizeikreisen.

 

Bereits gestern wurde auf dem linken Szeneportal Indymedia damit begonnen, mittels der im Internet veröffentlichten Bilder von den festgesetzten Hooligans mutmaßliche Neonazi-Kader zu outen. Kurz vor Mittag wurde der erste Name veröffentlicht: Es handelt sich um einen mutmaßlichen Rechtsradikalen aus dem Muldental.

 


 

So will die Politik die Gewalt stoppen

Nach den rechtsradikalen Ausschreitungen in Connewitz warnt Leipzigs politische Elite davor, dass sich die Situation aufschaukeln könnte und sucht Rezepte dagegen.

 

Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD): „Es kommt jetzt darauf an, dass die Polizei weiter Präsenz zeigt und konsequent gegen Gewalt vorgeht. Notwendig ist auch eine Debatte über Gewalt, Respekt und Menschenwürde. Gewalt darf nicht mit Gegengewalt beantwortet werden.“

 

CDU-Kreisvorsitzender Robert Clemen: „Leipzig braucht einen Maßnahmenkatalog zur Eindämmung rechts- und linksextremistischer Straftaten. Die Stadt muss Demonstrationen mit gegensätz-licher politischer Ausrichtung zeitlich entzerren.“

 

SPD-Kreisvorsitzender Hassan Soilihi Mzé: „Wir erleben deutschlandweit geradezu eine Auflösung gesellschaftlicher Wertegerüste. Entweder der gesellschaftliche Verrohungsprozess geht so lange weiter, bis Deutschland erneut auseinanderfällt. Oder wir begreifen die aktuelle Situation als Lernprozess, an dessen Ende wir ehrlich und hart diskutieren, uns dabei aber nicht ,Volksverräter!‘ oder ,Nazis!‘ an den Kopf werfen.“

 

Sören Pellmann, Fraktionschef der Linken im Stadtrat: „Ich hoffe, dass die festgesetzten rechten Randalierer jetzt schnell ihrer gerechten Strafe zugeführt werden. Bei Jugendlichen mit anarchistischer Gesinnung ist Sozialarbeit gefragt.“

 

Christin Melcher, Vorstandssprecherin des Kreisverbandes der Grünen: „Eine weitere Eskalation ist nicht ausgeschlossen, wenn nicht alle demokratischen Parteien gemeinsam agieren. Wir brauchen einen handlungsfähigen Rechtsstaat und einen gut ausgestatteten Polizeiapparat, damit Gewalttätern schneller und deutlicher die Grenzen aufgezeigt werden. Teile der konservativen CDU sollten nicht bei Rassismus und Menschenverachtung die Augen schließen, das ermutigt rechte Hetzer und Gewalttäter.“

 

Marcus Viefeld, FDP-Kreisvorsitzender: „Linke und Rechte spielen Extremisten-Ping-Pong, als wäre die Stadt Leipzig ihr Revier, das sie verteidigen beziehungsweise erobern müssen. Die Polarisierung nutzt vor allem den extremen Rändern, die Bürger aus der Mitte der Gesellschaft bleiben dabei leider auf der Strecke. ,Keine Gewalt‘ ist ein Slogan, den wir dringend wieder entdecken müssen.“

 

Siegbert Droese, AfD-Kreisvorsitzender: „Die politische Klasse findet nur ungenügende Antworten auf die Fragen der Zeit. Sie hat ihre Unfähigkeit erkannt, kann aber nicht anders und beschimpft die Menschen, die sich nicht mehr vertreten fühlen, als Pack. Auch Leipzigs Oberbürgermeister ließ Neutralität vermissen. Wir müssen jetzt ohne ideologische Brille debattieren, nur der besten Lösung und der Wahrheit verpflichtet. Ein runder Tisch wäre vielleicht ein erster Schritt.“

Evelyn ter Vehn / Andreas Tappert

 


 

Protokolldaten sollen NPD-Maulwurf outen

Affäre um interne Dokumente: Polizei ermittelt wegen Geheimnisverrats
VON FRANK DöRING

Mit der Auswertung von Computerdaten will die Leipziger Polizei den Maulwurf in den eigenen Rei-hen aufspüren. Neben ei-nem Strafverfahren wegen Geheimnisverrats kommt auf den Beamten, der die höchst unangenehme Affäre auslöste, auch ein Disziplinarverfahren zu. Mit den Ermittlungen ist ein spezielles Kommissariat innerhalb der Kripo betraut.

 

Ausgerechnet die NPD hatte das Datenleck publik gemacht: Über ihren Twitter-account veröffentlichte die rechtsextreme Partei interne Dokumente aus der Polizei über die Kontrolle bewaffneter Linksextremer, die am Montag auf dem Weg nach Leipzig im Revierbereich Grimma gestoppt worden waren. Die veröffentlichte Bilddatei zeigt den Monitor eines Behördencomputers, auf dem das Einsatzprotokoll aufgerufen ist. Es enthält nicht nur die Klarnamen der Polizisten, sondern auch der Tatverdächtigen, die als linksmotivierte, gewaltbereite Straftäter bekannt seien. In ihrem Fahrzeug wurden unter anderem ein Teleskopschlagstock, mehrere Funkgeräte, eine Gasdruckpistole, GPS-Störsender, Reizstoffsprühgeräte und eine schusssichere Weste gefunden. Die Gegenstände seien angesichts der bevorstehenden Legida-Demonstration und zu erwartender Gegendemos zur Gefahrenabwehr einbehalten worden, heißt es in dem Einsatzbericht.

 

Auf derartige Dokumente habe grundsätzlich jeder Beamte innerhalb der Polizeidirektion Zugriff, sagte gestern Behördensprecher Andreas Loepki. Über die Auswertung der Protokolldaten lasse sich aber der infrage kommende Personenkreis erheblich einschränken. Dies werde vom Landeskriminalamt veranlasst. Sobald der Beamte ermittelt wurde, der für das Datenleck verantwortlich ist, werde mit ihm über dessen Beweggründe gesprochen. Dabei sei es allerdings keineswegs sicher, dass die Dokumente direkt an die NPD weitergegeben wurden, betonte der Sprecher. Es könne ebenso gut sein, dass die Partei über bisher unbekannte Dritte an die Dokumente gelangt ist. F. D.

 


 

Opfer: „So etwas hatte ich vorher noch nie erlebt“

Zahlreiche Zerstörungen auf der Wolfgang-Heinze-Straße
VON BFI

Leipzig. Am Tag nach den schweren Krawallen im Laufe des Demo-Montags in Leipzig bietet sich auf der Wolfgang-Heinze-Straße in Connewitz ein Bild der Verwüstung. Zwischen Kreuz und Mathildenstraße ist kaum eine Fensterscheibe heil geblieben, überall sind Gewerbetreibende mit Aufräumarbeiten beschäftigt, sägen Handwerker Bretter und Holzplatten zurecht, um damit zumindest fürs Erste die Schäden zu flicken.

 

„Ich war völlig überrascht, so etwas hatte ich vorhernoch nie erlebt“, ist der Inhaber eines Döner-Laden noch immer geschockt. Seinen Im-biss hat es besonders schwer erwischt. Die Scheiben sind komplett entglast, Werbeaufsteller und Leuchtreklame liegen in Trümmern. Im Ladeninneren explodierte ein pyrotechnischer Sprengsatz, über dem Waschbecken hängen Deckenplatten lose herab. „Das Ganze hat nur Minuten gedauert. Die Angreifer sind hier reingestürmt, haben Parolen gegen Ausländer geschrien und angefangen, die Möbel zu zerstören“, berichtet der Mann. Er habe sich zusammen mit seinen Gästen im Hinterzimmer des Lokals in Sicherheit gebracht. Es ist aber nicht nur die Zerstörung, die am Dienstag zu Buche steht. „Auch unsere Kasse wurde aufgebrochen und ausgenommen. Die Tageseinnahmen und Geld, das für Lieferanten bestimmt war, ist weg, knapp 1000 Euro.“ Insgesamt schätzt der Inhaber den Schaden auf rund 20 000 Euro.

 

Eine fünfstellige Schadenssumme ist auch im Musik-haus Korn zusammengekommen. „Die haben uns die Scheiben eingeworfen und Ware in den Fenstern beschädigt“, berichtet ein Mitarbeiter. Vor allem die zerstörten Instrumente dürften teuer werden: „Hier standen ja Klaviere und Schlagzeuge.“

 

Ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurden zahlreiche Kneipen in der Wolfgang-Heinze-Straße. „Bei uns flog eine Pyrobombe in den Vorraum. Das war nicht nur einfach ein Knaller, sondern etwas deutlich Größeres. Die Gäste, die direkt hinter der Scheibe saßen, dachten, die Wand fliege weg“, schildert ein Gastronom. Auch die Fensterscheiben an der Front dieses Lokals sind vollständig zerstört.

 


 

Massivster Überfall seit Progromen 1938

VON MATTHIAS PUPPE

Leipzig. Der Historiker Sascha Lange (44) hat über oppositionelle Jugendbewegungen während der NS-Zeit geforscht. In seinem Buch überdie sogenannten Leipziger Meuten beschreibt er deren Widerstand gegen die Hitlerjugend. Am Montag wurde auch Lange von der eskalierenden rechten Gewalt im Szeneviertel Connewitz überrascht.

 

In Connewitz hat am Montagabend der rechtsradikale Mob gewütet. Das gab es in dieser Form lange nicht.


Überfälle durch Neonazis auf nicht-rechte Jugendliche, WGs und Kulturhäuser gab es zu Beginn der 1990er-Jahre in Leipzig leider wöchentlich. Das selbsterklärte Ziel war die Schaffung einer „national befreiten Zone“. Ich erinnere mich an einen Überfall auf die Stockartstraße am 27. Oktober 1990 durch 100 Rechtsradikale, bei dem Fenster zerstört und Brandsätze geworfen wurden. In dem Ausmaß wie am Montag ist mir aus dieser Zeit jedoch keine Aktion bekannt. Wir müssen daher davon ausgehen, dass es der massivste Überfall von Rechtsradikalen auf Geschäfte und Wohnhäuser in Leipzig seit dem Novemberprogrom 1938 war.


Müssen wir fürchten, dass die gewalttätigen Auseinandersetzungen um Connewitz aus den Neunzigern zurückkehren?


Der rechte Überfall stellt in jedem Fall eine weitere Eskalation dar. Ich glaube aber nicht, dass jetzt wieder wöchentlich Überfälle auf nicht-rechte Jugendliche und Haus- und Kulturprojekte zu befürchten sind. Die Polizei hat es immerhin geschafft, mehr als 200 der Angreifer festzusetzen. Ein Großteil des mobilisierbaren rechten Gewalttäterklientels aus der Region ist also zumindest aktenkundig. Die Justiz muss nun zeigen, wie ernst sie die rechtsradikalen Überfälle nimmt.


Sie haben zu Jugendopposition in der NS-Diktatur geforscht. Wie sollte Leipzig auf die Gewalt von Rechts reagieren?


Indem die Verantwortlichen in Stadt und Land das Problem des Rechtsradikalismus endlich zur Kenntnis nehmen und nicht kleinreden. Gefragt sind auch die politischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte in Leipzig. Doch da helfen nicht nur Lichterketten. Und letztlich stellt sich die Frage, ob der sächsische Verfassungsschutz überhaupt noch arbeitsfähig ist, wenn er solch eine im Vorfeld umfangreich geplante Aktion nicht verhindern kann.


Interview: Matthias Puppe



 

Kommentar


Spielball von Legida
VON KLAUS STAEUBERT
Eines hat Legida in einem Jahr geschafft: Den selbsternannten Rettern des Abendlandes gelang es, die Stadtgesellschaft tief zu spalten und zu radikalisieren. Immer öfter treten Hetze und Gewalt anstelle einer politischen Auseinandersetzung. Am Ende herrscht dann bei allen Parteien Betroffenheit. So war es im vorigen Jahr nach Angriffen Linksautonomer auf Polizeiposten, Justizeinrichtungen und städtische Behörden. Und nicht anders verhält es sich mit den rechtsextremen Hooligans, die am Montag einen Straßenzug in Connewitz kurz und klein schlugen und die wirtschaftliche Existenz einfacher Gewerbetreibender bedrohten.

Konservative bezichtigen Rot-Rot-Grün dann ritualisiert, ein Wohlfühlklima für Linksextreme zu schaffen. Grüne nennen die CDU im Gegenzug „Hofbereiter für Neonazis“. Doch statt Empörungsrhetorik und gegenseitiger Schuldzuweisungen erwarten die Leipziger endlich ein Ende der Gewalt. Dass der Staat sie wirksam schützt, daran zweifeln immer mehr Bürger. Zwar konnte die Polizei die Nazi-Hools am Montag erfreulich schnell festsetzen und so Schlimmeres verhindern. Doch die Gewalttäter sind längst wieder auf freiem Fuß. Genauso wie im Dezember, als Linksradikale in der Südvorstadt wüteten und 69 Polizisten verletzten. Das lässt viele Menschen am Rechtsstaat verzweifeln.

 

Und es ist an der Zeit, dass die demokratischen Parteien im Umgang miteinander verbal abrüsten, dass sie sich gemeinsam gegen Extremisten aller Art stellen und sich nicht länger zum Spielball von Legida machen lassen.

k.staeubert@lvz.de