Ohne ernsthafte Zwischenfälle verlief gestern Abend der Aufzug aus Anlass des Legida-Jahrestags in der Innenstadt. Nahezu zeitgleich griffen rechtsgerichtete Hooligans den alternativen Stadtteil Connewitz an. Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz.
Knapp 3000 Beamte sollten dafür sorgen, dass es am Rande der Demo des islamfeindlichen Legida-Bündnisses friedlich bleibt. Wasserwerfer waren ebenso aufgefahren wie Räumpanzer. Die Reiterstaffel sicherte Straßenkreuzungen ab, Dienstfahrzeuge bildeten Stoßstange an Stoßstange eine Absperrung, um Gegendemonstranten fernzuhalten. Die Bundespolizei schickte ein verstärktes Aufgebot an die Bahnstrecken, Haltepunkte und Bahnhöfe in und um Leipzig.
Hintergrund: Linksautonome hatten angekündigt, „bereits die Anreise der Nationalisten sollte zum Desaster werden“. Was sie teilweise auch wurde: Auf die Strecke Leipzig–Dresden gab es gegen 18 Uhr einen Anschlag. Im Abschnitt zwischen Borsdorf und Engelsdorf brannte ein sogenanntes Vorsignal. Die Strecke musste zunächst gesperrt werden. An zwei weiteren Anlagen wurden brennbare Substanzen gefunden, die aber kein Feuer fingen. Nach knapp anderthalb Stunden rollten Züge wieder.
Bis zu 3400 Anhänger konnte Legida an diesem regnerischen Abend nach Erhebung der Forschergruppe „Durchgezählt“ mobilisieren, darunter offenbar etliche Pegida-Sympathisanten aus Dresden und Umgebung. Nachdem die rechtsextreme Offensive für Deutschland (OfD) ihre Kundgebung abgesagt und die Teilnahme bei Legida empfohlen hatte, rief auch die NPD erstmals zum Schulterschluss mit dem fremdenfeindlichen Bündnis auf. Einen entsprechenden Appell verbreitete der Leipziger Kreisverband am Sonntag.
Die Zahl der Gegendemonstranten dürfte dem nicht nachgestanden haben. Als sich der Legida-Tross in Bewegung setzte, ertönte aus einem Fenster in der Pfaffendorfer Straße die „Ode an die Freude“. Ein Anwohner in der Nordstraße hatte ein Schild in seine Parterrewohnung gehängt: „Ihr macht mich traurig.“ Einige Legida-Anhänger antworteten mit Drohungen. „Wir kriegen euch“, brüllten sie. Ernsthafte Zwischenfälle blieben aus. Gegen 21. 30 Uhr endete der Aufzug wieder am Startplatz vor dem Naturkundemuseum. Legida hatte zwar noch Redebeiträge in petto, doch die Anhängerschaft floh in Scharen vor dem stärker einsetzenden Regen.
Währenddessen kämpfte die Polizei an einer zweiten Front. Vermummte Hooligans griffen gegen 19.30 Uhr Geschäfte, Kneipen und wohl auch Wohnhäuser im linksalternativen Stadtteil Connewitz an. Bereits im Vorfeld der Legida-Demo hatte ein martialisch bebilderter Aufruf auf einer Facebook-Seite der Hooligan-Szene für Aufsehen gesorgt. Gegen die Antifa brauche „das Volk den Schutz aus unseren Reihen“, hieß es. Zudem waren unverhohlene Gewaltaufrufe aus der Szene der Neonazi-Kameradschaften zu vernehmen. Zum „Sturm auf Leipzig“ wurde da aufgerufen, verbunden mit der Forderung an die Polizei: „Entscheidet euch am Montag, zu wem ihr steht, ansonsten seid ihr eines Tages mit vorm Gericht!“ Nach Erkenntnissen der Polizei waren es gewaltbereite Anhänger von Lok Leipzig und dem Halleschen FC, die dann vor allem in der Wolfgang-Heinze- Straße mit Baseballschlägern und Pyrotechnik eine Spur der Verwüstung hinterließen. Auch Autos, Mülltonnen und Teile einer Hausfassade brannten, die Feuerwehr musste mindestens sechsmal ausrücken.
Gegen 20 Uhr erklärte Polizeisprecherin Maria Braunsdorf auf Anfrage, es habe massive Sachbeschädigungen gegeben, Personen seien nach ersten Kenntnissen aber nicht verletzt worden. Es werde wegen schweren Landfriedensbruch ermittelt. Rund 250 Hooligans setzte die Polizei fest, mehrere Gefangenentransporter rückten an.
Bereits vor dem Demo-Montag wurde deutlich, dass die Auseinandersetzungen zwischen Legida-Anhängern und Gegnern an Schärfe zunehmen. So ist der sächsische Grünen-Vorsitzende Jürgen Kasek im Zuge seiner Anzeige gegen Legida-Chef Lutz Bachmann mit dem Tode bedroht worden. „Der Tag beginnt gut: Anrufbeantworter abgehört: 2 Morddrohungen drauf“, twitterte Kasek am Montagmorgen. Der Rechtsanwalt hatte Bachmann wegen Volksverhetzung angezeigt. Anlass waren Facebook-Posts, bei dem Bachmann in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Rapefugees not welcome“ posierte. Kaseks Partei zeigte sich entsetzt. „Jede denkbare rote Linie wurde mit diesen Aktionen überschritten. Alle Nachrichten und Anrufe, die nicht anonym sind, werden angezeigt“, sagte Vize-Landeschefin Catharina Jäger.
Gestern Abend sollen Kasek und die Landtagsabgeordenete Juliane Nagel (Linke) nach Angaben des Netzwerks Nolegida erneut bedroht worden sein. „Jeder bekommt, was er verdient“, sei aus rechtsextremen Kreisen getwittert worden.
Schließlich muss sich die Polizei seit gestern selbst mit einer unappetitlichen Affäre herumschlagen. Zunächst nahmen Einsatzkräfte im Vorfeld der Demo mehrere bekannte Linksautonome auf der Anreise nach Leipzig fest, die Schlagwerkzeuge, Waffen und Steine bei sich hatten. Brisant: Ein dienstliches Dokument dazu wurde offenbar der NPD zugespielt, die es online stellte. „Bezüglich der Veröffentlichung polizeiinterner Dokumente haben wir strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet“, so die Polizei in einer ersten Reaktion. Der Maulwurf sei bisher unbekannt. Auf das interne System, in dem der Bericht gespeichert sei, habe innerhalb der Polizeidirektion Leipzig grundsätzlich jeder Zugriff, es werde aber protokolliert, erklärte ein Sprecher. Zugangsberechtigte gebe es aber auch darüber hinaus. „Es wurden Ermittlungen wegen Geheimnisverrats eingeleitet. Außerdem werden jetzt dienstrechtliche Konsequenzen geprüft.“
Als Legida und der Gegenprotest Anfang 2015 tausende Menschen auf die Straße brachten, entbrannte in Leipzig nicht nur die Diskussion um die politischen Inhalte. Immer wieder wurden die Teilnehmerzahlen zum Streitpunkt – nicht zuletzt als Messlatte für den mutmaßlichen Erfolg der jeweiligen Seite. Die Debatte wurde besonders hitzig geführt, als Zweifel an den offiziellen Angaben der Polizei aufkamen. Eine sachliche Grundlage lieferte die Forschungsgruppe „Durchgezählt“ von der Universität Leipzig. Mit wissenschaft-lichen Methoden registrierte sie, dass die Teilnehmerzahlen zum Teil deutlich unter den Behördenschätzungen lagen. Nun hat das Team um Dozent Stephan Poppe die Statistik für ein Jahr Legida vorgelegt.
Auf den ersten Blick wird klar: „Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes“ kann auf der Straße immer weniger Anhänger mobilisieren. Ihren Höhepunkt erreichte die Bewegung gleich zu Beginn. Am 21. Januar 2015 – zur zweiten Demo – kamen 3800 bis 5000 Menschen. Zuletzt war es den Schätzungen zufolge mit 270 bis 320 (4. Januar 2016) nicht einmal mehr ein Zehntel davon.
Im Januar und Februar 2015 brachen die Zahlen regelrecht ein. Später stabilisierten sie sich etwas, fielen – bei Schwankungen um einige hundert Teilnehmer – langfristig jedoch weiter ab. Mittlerweile habe sich ein fester Kern herauskristallisiert, berichtet Poppe von seinen Beobachtungen. Dazu gehörten etwa 300 bis 600 Menschen. „Für viele ist es auch zu einer Art Ritual geworden. Sie gehen einfach jeden Montag da hin“, so der wissenschaftliche Mitarbeiter am Uni-Institut für Soziologie. lvz
Klaus Deckelmann, 77, aus Leipzig: Ich bin in einer sehr politischen Familie aufgewachsen und habe mich schon immer politisch engagiert. Heute bin ich hier, um für die Sicherung der Grundrechte zu demonstrieren. Dafür, dass die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit gewahrt wird. Die Medien sollen die Wahrheit berichten und nicht nur die von der Regierung geforderte Meinung wiedergeben.
Petra Cain, 62, aus Leipzig: Ich bin schon von Anfang an bei den Demonstrationen von No-Legida dabei. Ich finde es sehr wichtig, dem Gedankengut von Legida meine Meinung entgegenzusetzen, denn die Ansichten von Legida entsprechen nicht meiner Realität. Man darf keine Angst davor haben, seine Meinung kundzutun. Ich sehe die Entwicklung in dieser Hinsicht sehr kritisch.
Andreas Labow, 41, aus Leipzig: Seit einem Jahr gehe ich gegen Legida auf die Straße. Zwischenzeitlich waren die Veranstaltungen von beiden Seiten sehr gewaltgeladen. Das hat mir große Sorge bereitet. Deswegen unterstütze ich die Lichterkette gegen Legida. Ich denke, dass es wichtig ist heute hier zu sein, um deutlich zu machen, dass wir friedlich demonstrieren wollen. Solche Ausschreitungen wie am 12. Dezember in Connewitz braucht niemand.
Hunderte laufen mit Kerzen durch die City
„No Legida, no Pegida“: Nach Schätzungen von Beobachtern etwa 700
Menschen haben gestern Abend mit Kerzen für ein weltoffenes Leipzig
demonstriert. Nach dem montäglichen Friedensgebet in der Nikolaikirche
zogen sie durch die Innenstadt zum Westportal der Thomaskirche. Dort bat
Versammlungsleiter Christian Wolff die Teilnehmer, eine Lichterkette
entlang des Promenadenrings zu bilden. Oberbürgermeister Burkhard Jung
(SPD, der zusammen mit Sachsens Migrationsministerin Petra Köpping (SPD)
zu den Demonstranten in der ersten Reihe des Zuges gehörte, meinte:
„Von Leipzig soll das Bild von Kerzen in alle Welt gehen, nicht das Bild
von Dunkel-Deutschland.“
300 bis 400 Teilnehmer der Aktion „Legida? Läuft nicht“ distanzierten sich währenddessen auf dem Richard-Wagner-Platz von der Initiative des früheren Thomaspfarrers. Man halte nichts von dessen Lichterkette, sagte eine Rednerin. Wolff und andere hätten einen „undifferenzierten Gewalt-Begriff“. Friedliche Demons-tranten würden von ihnen als linksradikal stigmatisiert. „Jeder muss vor seinem eigenen Gewissen verantworten, zu welcher Form des Widerstandes er greift“, rief sie.
Das Licht der Kerzen wanderte derweil weiter den östlichen Ring entlang. Zunächst schien es so, als sollte die Kette im Bereich der Höfe am Brühl enden. Kurz vor 19 Uhr gelang es dann doch noch, mit etwa 1000 Beteiligten und einigen größeren Lücken den Kreis zu schließen. An neuralgischen Punkten wie Rathaus oder Augustusplatz war das Kerzen-Aufkommen besonders groß. Der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) stand vor der Thomaskirche in der Lichterkette. „Viele Menschen in unserer Stadt haben die Nase voll davon, dass sie immer wieder Angst vor linksradikaler und rechtsradikaler Gewalt haben müssen. Ich habe mich der Aktion ,Leipzig bleibt helle‘ angeschlossen, weil hier die Betonung auf der friedlichen Auseinandersetzung liegt.“ Gewaltloser Meinungsstreit müsse wieder Usus in Leipzig werden, sagte Gemkow.
Bei der Abschlusskundgebung des leuchtenden Protestes in der Thomaskirche gab es oft viel Beifall. So für OBM Jung, der zur Integration der 5000 neuen Flüchtlinge in der Stadt sagte: „Wir schaffen das.“ Oder für die vor 20 Jahren nach Deutschland geflüchtete Irakerin Sari Kitani, die der Polizei dankte, „weil sie unsere Grundwerte, auch unser Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigt“. Ebenso für Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD), der den Leipzigern dankte: „Sie haben im vergangenen Jahr Demokratie und Anstand gegen den Hass verteidigt.“ jr
„Der Ton ist rauer geworden“
Leipzig. Ein Jahr Legida-Demonstrationen hat Leipzigs Stadtgesellschaft verändert. Dies war gestern das Fazit einer Podiumsdiskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung in TV-Studio 3 am Friedrich-List-Platz. Die Leipziger SPD-Stadträtin und Juso-Landesvorsitzende Katharina Schenk erklärte, die Bürgerschaft sei „politisierter“ geworden und berichtete von persönlichen Diffamierungen. LVZ-Chefredakteur Jan Emendörfer sagte, in Leserbriefen und Internet-Kommentaren sei der Ton „rauer“ geworden. Der Politologe Christian Demuth aus Dresden erzählte, die Landeshauptstadt sei inzwischen sogar „gespalten“ – in Pegida-Befürworter und -Gegner. „Diese Spaltung geht bis in die Freundeskreise und in die Elternhäuser“, so der Experte. Einige der über 60 Zuhörer vertraten die Meinung, dass es in Leipzig inzwischen ähnlich ist. Sie warfen Politikern auf Bundes- und Landesebene vor, durch Verunglimpfungen der Pegida-Demonstranten zur Radikalisierung beigetragen zu haben. Es sei nicht akzeptabel, dass sich Politiker gemeinsam mit dem schwarzen Block der Linksextremisten zeigten, die ebenfalls für die Zuspitzung verantwortlich seien, hieß es. Andere Zuhörer warfen der Politik eine „Scheindebatte“ vor. „Das Haus brennt und die Politiker unterhalten sich darüber, ob das Löschwasser heiß oder kalt sein sollte“, hieß es.
Im Zusammenhang mit unaufgeklärten Gewaltexzessen kritisierte LVZ-Chefredakteur Emendörfer die Rolle des Verfassungsschutzes: „Es ist technisch möglich, das Handy der Bundeskanzlerin abzuhören“, sagte er. „Aber offenbar ist es nicht möglich, herauszufinden, wer hinter Gewaltaufrufen im Internet steckt und wer Bilder von diesen Auswüchsen ins Netz stellt.“
Ein Zuhörer sagte, es würden zunehmend mehr Leipziger durch den Zustrom der Flüchtlinge eine Islamisierung ihres Landes befürchten. Politologe Demuth widersprach und vertrat die Auffassung, viele Flüchtlinge würden in ihre Heimatländer zurückkehren, wenn dort der Krieg beendet ist. Emendörfer empfahl den Skeptikern, ihre kulturelle Identität und ihre Werte zu pflegen und zu leben.
Eine Frau kritisierte, dass die Friedrich-Ebert-Stiftung faktisch nur Gegner von Legida und Pegida ins Podium eingeladen hatte. Sie wünsche sich mehr öffentliche Diskussionen zwischen beiden Lagern, um sich eine Meinung bilden zu können. Es sei auch nicht angebracht, dass die Ebert-Stiftung nur Personen der rechtsextremen Szene den Zutritt zu ihren Diskussionsveranstaltungen verweigere, hieß es. Dies müsse auch für linke Extremisten gelten. Gefordert wurden gleichzeitig weitere öffentliche Podiumsdiskussionen zur Flüchtlingskrise.
Auf die Bahnstrecke zwischen Leipzig und Dresden hat es gestern Abend einen Brandanschlag gegeben: Wie die Bundespolizei auf Anfrage von LVZ.de bestätigt, brannte ein sogenanntes Vorsignal auf dem Abschnitt zwischen Borsdorf und Engelsdorf. Die Strecke musste zunächst für den Zugverkehr gesperrt werden. An zwei weiteren Anlagen wurden brennbare Substanzen gefunden, die aber kein Feuer fingen.
Zu den Tätern gab es zunächst keine heiße Spur. „Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass es einen Zusammenhang mit dem Demonstrationsgeschehen in Leipzig gibt“, sagte Sprecherin Yvonne Manger, Sprecherin der Bundespolizei. Der Anschlag wurde gegen 18 Uhr verübt. Kurz vor 19.30 Uhr wurde die Strecke wieder freigegeben. lvz