Am Mittwoch wollte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (61) unter dem Motto „Flüchtlingskrise und Recht“ eine Vortragsungreihe der Juristischen Fakultät Dresden eröffnen. Die Veranstaltung sollte der Auftakt für ein neues Dresdner Projekt, der „Refugee Law Clinic Dresden“ (RLC), werden. Ab dem kommenden Sommersemester sollen hier mit Hilfe von Vorlesungen und Übungen Studierende dazu befähigt werden, geflüchteten Menschen künftig kostenlose Rechtsberatungen in Fragen des Asyl-und Aufenthaltsrechtes anzubieten.
Die Ausbildung dauert insgesamt zwei Semester. Das Ziel der RLC ist es, Betroffene nicht nur über ihre Rechte und Pflichten zu informieren, sondern darüber hinaus auch während des behördlichen Verfahrens zu begleiten. Doch statt ein paar einführenden Worten des Bundesinnenministers empfingen die Studierenden den Minister mit Applaus und bedachten seinen Auftritt mit minutenlangem Beifall. Was war geschehen?
Zunächst wurde die Veranstaltung allem Anschein nach direkt vom Dekanat der Juristischen Fakultät organisiert und eingeladen. Tatsächlich dürfte die Organistationsgruppe der RLC damit also nicht für den hochrangigen Besuch verantwortlich und damit der Adressat des Protestes gewesen sein. Vielmehr dürfte sich die Kritik gegen de Maizière und seine Verantwortung in der immer schärfer werdenden Debatte über die deutsch-europäische Asylpolitik gerichtet haben. Erst kürzlich hattte sich de Maizière kritisch gegenüber die steigende Zahl von Asylsuchenden aus Afghanistan geäußert. Da seiner Ansicht nach das Land in den letzten Jahren viel Entwicklungshilfe bekommen habe, „könne man auch erwarten, dass die Menschen dort bleiben.“
Der 2001 in Afghanistan begonnene Krieg veränderte den seit 1989 herrschenden Konflikt in ein Schlachtfeld globaler Akteure, ohne klare Trennlinien zwischen Freund und Feind, zivil und militärisch. Das schließt auch den Wandel des ursprünglich als „Operation Enduring Freedom“ begonnenen Einsatz, der zunächst auch von der Bevölkerung begrüßt wurde, hin zu einer Form der „Aufstandsbekämpfung“, bei der lokale Gruppen je nach politischer Großwetterlage unterstützt oder bekämpft wurden, mit ein. Fast 15 Jahre nach Kriegsbeginn und ein Jahr nach dem offiziellem Truppenabzug, haben sich Strukturen lokaler Warlords und der Taliban dank dieser Strategie festigen können. Das Land ist abseits der Hauptstadt Kabul alles andere als stabil und droht erneut im Chaos zu versinken. Gründe genug für viele Menschen, sich auf die gefährliche Flucht nach Europa zu begeben.
Die heutige militärische, zivile und politische Situation ist ein Produkt dieses „War on Terror“ für die auch die deutsche Regierung eine Mitverantwortung trägt. Ob bei Anschlägen oder bei Angriffen durch internationale Truppen, für die Menschen vor Ort ist dieser Krieg Alltag geworden. Erst kürzlich starben bei einem Luftangriff auf eine Klinik von Ärzte ohne Grenzen (MFS) in Kundus mindestens 30 Menschen. Angriffe, die anschließend politisch und medial als Kollateralschäden verharmlost werden. Dieser Krieg, sowie dessen Ursachen und Auswirkungen scheinen in der Debatte über die aus Afghanistan geflohenen Menschen vergessen. Zumindest wird er in der Vorstellung des deutschen Innenministers als Aufbau- und Entwicklungshilfe beschönigt. Wenn er über Afghanistan spricht, verdreht er die Fakten und widerspricht damit sogar den Äußerungen des Auswärtigen Amtes.
Doch anstatt Fluchtursachen zu benennen und diese zu bekämpfen kritisieren, glänzt de Maizière mit „Visionen“ die auch von PEGIDA stammen könnten. Nach seinem Willen sollen Geflüchtete eine monatliche Pauschale von bis zu 10 Euro für Deutschkurse bezahlen. Auch schwer Erkrankte sollen, ginge es nach dem Willen des Ministers, künftig abgeschoben werden. Nicht neu ist auch, dass der bei der sächsischen CDU groß gewordene Politiker bei vielen als PEGIDA-Versteher gilt. Die Ähnlichkeit seiner Verlautbarungen lassen einen Abstand zu PEGIDA-Positionen oft kaum noch erkennen.
Erst am Donnerstag versprach er in einem Interview mit dem MDR für dieses Jahr „deutlich weniger Flüchtlinge“ und dürfte damit weiten Teilen der Sächsischen Bevölkerung aus dem Herzen gesprochen haben. „De Maizière legitimiert die Asylrechtsverschärfungen in Deutschland und treibt sie voran. Er ist mitverantwortlich für tausende Tote an den europäischen Außengrenzen und im Mittelmeer. Er ist keine Verhandlungspartner, sondern politischer Gegner“, so eine Teilnehmerin der Klatschproteste. Das dürfte wohl auch erklären, warum auf ein vom Minister unterbreitetes Gesprächsangebot nicht eingegangen wurde. Darüber hinaus seien Veranstaltungen wie die am Mittwoch „ungeeignet“, da dort „nie die Chance zur Kommunikation auf Augenhöhe“ bestünde. Stattdessen könnte missliebigen Personen „nach Belieben das Mikro abgedreht und die Stimme entzogen werden“, so die Aktivistin weiter.
Nach dem anhaltenden Beifall und der Weigerung der applaudierenden Studierenden, das Gesprächsangebot wahrzunehmen, zog es die Veranstaltungsleitung vor, die Diskussion ohne Beteiligung der Studierendenschaft in einem angrenzenden Saal weiterzuführen. Anschließend konnte die Veranstaltung nur noch über eine Liveübertragung verfolgt werden. Auf der linken Medienplattform indymedia linksunten tauchte noch am selben Abend ein Bericht auf, der nicht nur über den Protest informierte, sondern zugleich zu europaweiten Aktionstagen aufrief. Neben Gruppen und Netzwerken aus Griechenland, Tschechien, England und Skandinavien beteiligen sich auch Dresdner Gruppen an diesem. Dazu soll es am 6. Februar nach dem Willen der Organisatorinnen und Organisatoren zu einer großen Demonstration in Dresden kommen. Startpunkt ist um 12 Uhr der Dresdner Hauptbahnhof.
Inhalt des am Mittwoch verteilten Flugblatts:
„Die Maizière des Flüchtlingsrechts“
Deutsche Soldaten und Polizisten trügen dazu bei, Afghanistan sicherer zu machen, sagte der Minister. Es sei viel Entwicklungshilfe dorthin geflossen. „Da kann man erwarten, dass die Afghanen in ihrem Land bleiben.“ Die Welt, 08.10.2015
Die Gefahrenlage in Afghanistan kann sich ständig ändern. Auch in vermeintlich „sicheren Regionen“ kann es zu Kämpfen kommen. Im Osten des Landes ist die Terrormiliz IS aktiv, es kommt dort täglich zu Morden und Exekutionen. Auch PRO ASYL fordert, von der Idee verstärkter Abschiebungen nach Afghanistan sofort Abstand zu nehmen. Die Aufstockung der Bundeswehr-Truppen und die derzeitige Sicherheitslage zeigen, dass Abschiebungen nach Afghanistan für die Betroffenen lebensgefährliche Zustände bedeuten würden. Zudem gibt es ein Abkommen zwischen Afghanistan der Bundesregierung, wonach „schutzlose afghanische Asylsuchende“ nicht abgeschoben werden dürfen.
„Jetzt gibt es schon viele Flüchtlinge, die glauben, sie können sich selbst irgendwo hinzuweisen. Sie gehen aus Einrichtungen raus, sie bestellen sich ein Taxi, haben erstaunlicherweise das Geld, um Hunderte von Kilometern durch Deutschland zu fahren. Sie streiken, weil ihnen die Unterkunft nicht gefällt,sie machen Ärger, weil ihnen das Essen nicht gefällt, sie prügeln in Asylbewerbereinrichtungen.“ ZDF heute, 02.10.2015
Mit solchen Aussagen rührt de Maizière den rechten Bodensatz der Gesellschaft auf, der sich durch diese rassistische Hetze ermuntert fühlt, gewalttätig gegen Geflüchtete vorzugehen. Auch die vermeintlich besorgten Bürger_innen werden dadurch in ihren, als Sorgen getarnten Vorurteilen, bestätigt. Kein Zufall ist es, dass gerade de Maizières Wahlkreis Meißen und Umgebung durch Demonstrationen mit offen rassistischer Hetze, Brandanschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte sowie selbsternannte „Heimatschützer“ und „Bürgerwehren“ Schlagzeilen macht. Dies alles führt dazu, dass Menschen in Not ihr Aufenthalt unerträglich gemacht wird, womit de Maizière sein erklärtes Ziel erreicht: die Verringerung der Geflüchtetenzahlen in Deutschland.
„Eine schlechte Behandlung der Roma in manchen Balkanstaaten ist eben keine politische Verfolgung.“ Tagesspiegel, 23.11 2014
Wer existenzgefährdende Lebensbedingungen und -bedrohungen nicht als Fluchtgrund akzeptieren möchte, sollte zur Kenntnis nehmen, dass das EU Recht einen weiter gefassten Begriff der Verfolgung beinhaltet. So können auch Diskriminierungen und Ausgrenzungen in ihrem Zusammenwirken eine Verfolgung darstellen. In Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina sind Homosexuelle und Angehörige anderer Minderheiten besonders gefährdet. Hetze und rassistische Angriffe sind an der Tagesordnung. Effektiven Schutz durch Polizei und Justiz gibt es nicht. Wenn Roma keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, zu Bildung, zu medizinischer Versorgung haben, ihre Siedlungen zwangsgeräumt werden und dies alles im Zusammenwirken massive Folgen hat, dann kann dies kumulative Verfolgung darstellen. Es gibt kein sicheres Leben für Roma in diesen Ländern und auch keine Perspektive darauf. Eine einzelfallbezogene Betrachtung in einem sorgfältigen und individuellen Asylverfahren ist nötig. Die geplante Einstufung der drei Balkanstaaten verhindert jedoch genau diese einzelfallbezogene Aufklärung der Fluchtgründe.
Wir fordern eine umfassende Bleiberechtsregelung und einen Stopp der Politik, die rassistische Hetze weiter befördert!
Video von der Aktion: Thomas de Maizière - Vortrag TU-Dresden 20.01.16