So läuft die Abschiebung aus Berlin

Erstveröffentlicht: 
18.01.2016

Erstmals durfte ein Morgenpost-Reporter beobachten, wie die Bundespolizei in Berlin abgelehnte Asylbewerber in ihre Heimat abschiebt. Von Matthias Steube

 

Einst begrüßte hier Erich Honecker mit Bruderkuss Fidel Castro oder Leonid Breschnew. Heute werden im alten Generalshotel am Flughafen Schönefeld abgelehnte Asylbewerber mit einem Lunchpaket in ihre Herkunftsländer verabschiedet. Und dabei fließen oft Tränen.

Freitag früh, 7 Uhr. Rund 30 Bundespolizisten sitzen in einem Raum im zweiten Stock des alten Gebäudes und werden von ihrem Chef in die Lage eingewiesen. Lage heißt in diesem Fall: Warten auf die Ankunft von abgelehnten Asylbewerbern aus Berlin. Warten auf die Chartermaschine, die die Menschen um 14 Uhr nach Tirana, Sarajevo und Belgrad zurückfliegen soll. Wie viele es sein werden, wissen die Beamten noch nicht. Nur, dass es Familien sein werden. Und jeder der Bundespolizisten wird - als Personenbegleiter Luft wie es im Fachjargon heißt - eine Familie betreuen. Vom ersten Schritt in das Generalshotel im neoklassizistischen Stil bis zur Übergabe an die Behörden in Serbien, Albanien und Bosnien-Herzegowina. Und noch eines wissen sie: Auf dem Rückflug wird es gemischte Antipasti mit Tomatensoße geben.

Dann fahren die ersten Transportfahrzeuge der Berliner Landespolizei vor. Sie hatten die Aufgabe, die abgelehnten Asylbewerber aus Sammelunterkünften und privaten Wohnungen zu holen und nach Schönefeld zu bringen. Das gelingt nicht in allen Fällen. "Es gibt immer wieder Menschen, die sich der schriftlich angekündigten Maßnahme entziehen", sagt Oliver Schulz, stellvertretender Leiter der Bundespolizeiinspektion Flughafen Schönefeld. Deshalb wisse man nie, was der Tag bringe.

Es gehen selbst Fahrräder mit auf die Reise

Jetzt bringt er erst mal eine zehnköpfige Familie mitsamt Gepäck. Ein Bundespolizist in Zivil steigt in den Transporter zu, stellt sich vor, erklärt dem Familienvater und seiner schwangeren Frau auf Deutsch, dass er sich ab sofort um sie kümmern werde, begrüßt die Kinder. Fragt nach den Ausreisedokumenten. Die wird er später an sich nehmen und den Behörden in Tirana übergeben. Dann wird das Gepäck ausgeladen. Reisetaschen, Stoffbeutel, Tragetaschen aus Plastik. "Bei den Gruppenrückführungen per Charter gibt es keine Gepäckbegrenzung", sagt Oliver Schulz, "wir haben schon Fahrräder mit auf die Reise geschickt."

Nun geht es für die Familie, die nach Albanien zurückgeflogen wird, zum Check-In. Koffer und Taschen werden durchleuchtet, die Kinder werden von der Flughafen-Security abgetastet. "Alles läuft hier ab wie bei einem normalen Flug", sagt der stellvertretende Inspektionsleiter Schulz. Fast alles. Mitarbeiter der Ausländerbehörde prüfen zusätzlich die blauen und roten Pässe, die Dokumente der Ausländerbehörde, setzen Haken an Namen in langen Listen.

Eine Tasche mit Kupferdrähten sorgt für Aufregung

Während draußen ein Bundespolizist ein kleines Mädchen zu einer Dixi-Toilette führt, die leicht klemmende Tür öffnet und ihr zuflüstert, "wenn Du fertig bist, sagst du Bescheid", gibt es drinnen Aufregung. Die Security hat in einem Beutel der zehnköpfigen Familie jede Menge Kupferdrähte entdeckt. Der Familienvater versucht zu erklären: "Alte Drähte, hab ich gesammelt." Bundespolizei und Zoll schauen sich die Sache an. Die Beamten kommen zu dem Ergebnis: kein Diebesgut. Er darf den Beutel behalten. "Dafür bekomme ich Zuhause 30 Euro", sagt der Familienvater sichtbar erleichtert. Startgeld für ein neues Leben in der alten Heimat.

Langsam füllt sich das Abfertigungsgebäude. In der mit Marmor und Travertin gestalteten Empfangshalle stapeln sich Koffer und Taschen. Ein imposanter Kronleuchter setzt die Passkontrolle am hölzernen Empfangstresen ins rechte Licht. Ein älterer Mann reicht den Beamten seinen Pass. Auf dem Arm ein kleines Mädchen, in den Augen Tränen. Immer wieder murmelt er Worte auf Serbisch. Sein Personenbegleiter versucht ihn zu beruhigen, zeigt ihm den Weg in den Aufenthaltsraum. Belgrad steht auf einem weißen Blatt neben der Tür geschrieben. Drinnen Holzbänke ohne Lehnen, die Fenster vergittert. Die Warteräume für die Passagiere nach Tirana und Sarajevo sehen nicht anders aus. "Wir trennen die ethnischen Gruppen, um zusätzliche Spannungen in der emotional aufgeladenen Situation zu vermeiden", sagt Oliver Schulz. Alle Begleiter seien sechs Wochen lang speziell geschult, versuchten über beruhigende Gespräche, die Spannung aus der Situation herauszunehmen.

Prüfung im Auftrag der Vereinten Nationen

Dass das gelingt, davon hat sich auch der Leiter der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter überzeugen können. Klaus Lange-Lehngut war im Auftrag der Vereinten Nationen bereits drei Mal in Schönefeld. Zu Stichproben. Immer kurzfristig angemeldet. Die Prozedur sei "in Ordnung, der Umgang mit den Menschen "sensibel und zugewandt", sagt er. Und: "Mir gefällt, dass jede Familie ihren eigenen Escort bekommt, das wirkt deeskalierend." An der Rückführung an sich ändere das aber nichts.

Ihre Zahl soll nach dem Willen von Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) steigen. 1200 Abschiebungen aus Berlin will er in 2016 erreichen, hatte er am Donnerstag im Abgeordnetenhaus gesagt. Er will das aber nicht als feste Prognose sehen. Eher als grobe Orientierung. Auch Oliver Schulz, der mit seinem Beamten auch Rückführungen für Brandenburg, Bremen und andere Bundesländer durchführt, sieht noch Luft nach oben. Die derzeit zwei Charterrückführungen pro Monat seien "ausbaufähig", sagt er.

Auf der Suche nach Babywindeln

Kurz nach zehn sind 82 Menschen registriert. Noch immer ist nicht klar, wie viele am Ende fliegen werden. Im Spielzimmer, direkt neben dem Behandlungsraum des Notarztes, zeigt Claudia I. zwei Mädchen die Regale mit Büchern, Plüschtieren, Spielen. "Ihr dürft euch was aussuchen," sagt sie. Die 29-Jährige, die normalerweise im Kontrollstreifendienst am Flughafen arbeitet, ist seit eineinhalb Jahren auch als Personenbegleiterin tätig. 25 Abschiebungen hat sie schon hinter sich.

Ihre Motivation für den Job im Nebenamt? "Mir macht die Arbeit mit Menschen Spaß", sagt die Polizeiobermeisterin. "Ich kann nichts an der Entscheidung der Behörden ändern, die Menschen auch nicht, aber ich kann dazu beitragen, dass die Rückführung vernünftig läuft." Kein einfacher Job. "Vor allem wenn man die Kinder hier sieht..." und nach einer kurzen Pause: "Man darf das nicht an sich heranlassen..." Eine Kollegin eilt in den Raum, unterbricht die nachdenkliche Stille. "Haben wir Babywindeln?", fragt sie. "Müsste alles da sein", sagt Claudia I. Doch sie wird bei der Suche in den Schränken nicht fündig. Jetzt ist Improvisation im ansonsten perfekt organisierten Ablauf gefragt.

Ein Serbe bleibt zurück

Im gegenüberliegenden Flur wird es plötzlich laut. Ein Mann beklagt sich, dass er heute ganz früh von seine Familie getrennt worden sei. Ein Dolmetscher wird gerufen. Die Vertreterin der Ausländerbehörde eilt herbei. Der Flugbegleiter der Bundespolizei versucht zu beruhigen. "Sie können telefonieren." Er führt dem Mann, dem zuvor wie allen anderen am Check-In das Handy abgenommen wurde, in einen Raum. Dort kann er anrufen: die Familie, einen Anwalt, Behörden. Was sich hinter den geschlossenen Türen abspielt, ist in diesem Moment nicht klar. Gut eine Stunde später aber erklärt die Vertreterin der Ausländerbehörde dem Mann: "Fahren Sie zum Lageso an der Turmstraße und stellen einen Asyländerungsantrag." Was genau schief gelaufen ist kann sie zu diesem Zeitpunkt nicht erklären. Der Serbe wird heute der einzige sein, der das Generalshotel nicht Richtung Flugzeug verlässt.

63 Abschiebungen aus gesundheitlichen Gründen gescheitert

"Es gibt keine Rückführung um jeden Preis", sagt der stellvertretende Inspektionsleiter Oliver Schulz. "Manchmal scheitern sie aus gesundheitlichen Gründen, bei Einzelabschiebungen im Linienflug weigert sich auch manchmal der Kapitän, den Menschen an Bord zu nehmen." Genaue Zahlen kann der Polizeirat nicht nennen. Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage geht hervor, dass im Jahr 2014 bundesweit 63 Abschiebungen aus gesundheitlichen Gründen scheiterten und 74 weil der Pilot oder die Fluggesellschaft die Zustimmung verweigert.

Gegen Mittag sind 99 Menschen eingecheckt. Kinder, Bundespolizisten in Uniform wuseln durch den teils unter Denkmalschutz stehenden Bau. Einige Männer rauchen in einem durch Gitter abgesperrten Bereich vor dem Haus Zigaretten. Die letzte auf deutschem Boden. Dann fahren Gepäckwagen vor die Empfangshalle. Flughafenmitarbeiter bringen die Koffer und Taschen zum wartenden Flieger. Kurz nach 13 Uhr fährt der Flughafenbus vor. Die Familien steigen ein. Jede hat ihren Flugbegleiter an der Seite. Kinder halten ihre Teddys im Arm. Eine Frau formt Zeige- und Mittelfinger zum Victory-Zeichen und grüßt mit einem Lächeln ein letztes Mal zurück.

Kurz nach 14 Uhr rollte der Jet Richtung Startbahn. "Mal sehen, wen wir demnächst hier wiedersehen", sagt Polizeirat Oliver Schulz.