Virtuelle Bürgerwehren in Baden-Württemberg

Erstveröffentlicht: 
13.01.2016

Nach den Silvesterübergriffen in Köln haben sich erste Bürgerwehren gebildet. In Baden-Württemberg gibt es laut Innenministerium keine Anzeichen dafür - doch im Internet tut sich einiges.

 

Am Kölner Bahnhof kesselten an Silvester Männergruppen offenbar vor allem aus dem nordafrikanisch-arabischen Raum Frauen ein, bedrängten und beklauten sie. Die Polizei griff nicht rechtzeitig ein. Nach diesen Vorfällen haben sich laut WDR-Berichten in Nordrhein-Westfalen Bürgerwehren organisiert.

Auch in Stuttgart erstatteten Frauen Anzeige nach ähnlichen Vorfällen. Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) machte am Dienstag klar, dass er Bürgerwehren ablehnt, die Menschen sollten stattdessen auf die Polizei vertrauen. Er habe auch keine Erkenntnisse, dass sich im Land Bürgerwehren gebildet haben.

Im digitalen Leben bewegt sich jedoch etwas. Auf Facebook befinden sich virtuelle Bürgerwehren für baden-württembergische Städte in den Geburtswehen. Die Initiatoren versuchen darzustellen, was sie aus welchen Gründen erreichen wollen und versuchen Unliebsames abzubügeln.

 

Von Friedrichshafen bis Herrenberg - was wollen die Bürgerwehren?

Wer sich auf entsprechenden Seiten zum Beispiel für Freiburg, Friedrichshafen, Reutlingen oder Herrenberg umsieht, findet ein Sammelsurium unterschiedlichster Ziele und Meinungen - inklusive dem Bestreben, nicht in einen Topf mit #besorgteBürger oder Pegida geworfen zu werden. Ausländerfeindliche Äußerungen in Wort und Bild tauchen genauso auf wie ihnen Paroli geboten wird. Die Bürgerwehr Freiburg postet gar, dass sie sich von ihrem Seiten-Administrator getrennt habe, "da er nicht ganz mit unseren Einstellungen konform war. Wir dulden keinen Rechtsradikalismus in unseren Reihen."

Andererseits schreiben die Initiatoren Sätze wie "Wenn die eigenen Bürger in ihrem eigenen Land vor den Gästen Angst haben müssen und die Regierung handelt nicht, dann wird es Zeit, dass die Bürger das selber in die Hand nehmen." - ohne Mob und "möglichst gewaltfrei" soll das ablaufen. Aber was genau?

 

Auf den Bürgerwehrseiten geht es einerseits darum, Zivilcourage zu fördern: Die Bürger sollen aufmerksamer durch die Straßen laufen und nicht wegschauen, wenn es brenzlig wird und jemand Hilfe braucht. Dieses "gemeinsam sind wir stark" entgleist jedoch manchmal schon auf der Diskussionsebene. Was plant zum Beispiel eine Bürgerwehr Friedrichshafen, die in ihrem ersten Post (mit kleinem Faust-Symbol) "Die Wächter der Nacht, es hat begonnen" Bezug auf einen Fantasyroman nimmt, in dem es um den Kampf zwischen Gut und Böse geht?

 

Herauszulesen sind aus den Beispielseiten Bestrebungen wie:

  • Antworten auf Fragen wie: Gibt es Polizei-Anweisungen, dass keine Berichte von Flüchtlingsstraftaten an die Presse gegeben werden sollen?
  • Diskussionen, wie man sich vor Übergriffen schützen kann
  • Kritische Auseinandersetzung mit Stellungnahmen und Postings
  • Mitmenschen zu Zivilcourage animieren
  • Die Politik "zum Handeln zwingen"
  • Gemeinsame Aktionen wie der Aufruf zu einer Demo in Reutlingen ("Lasst es uns der ganzen Welt da draußen zeigen, dass wir selbst bestimmen, wer uns anfassen darf und wer nicht!!!")

Ob sich tatsächlich Bürger einer Stadt regelmäßig zu einer Art "Streife" verabreden, um im Ernstfall helfen zu können, bleibt abzuwarten. Der Kriminologe Christian Pfeiffer wundert sich nach "solchen emotionalen Großereignissen" wie in Köln nicht über Aufrufe, um Bürgerwehren zu gründen. Seiner Aussage nach laufen sie sich jedoch oft nach wenigen Wochen von alleine tot.

Der virtuelle Gemischtwarenladen Bürgerwehr ist reich an Meinungen und auch kruden Tipps wie "Wer sich in Hamburg, Stuttgart, Köln oder irgendwo belästigt fühlt, sollte einfach die Nähe zu einem Rocker suchen. Man wird überrascht sein, wie schnell geholfen wird und wie sicher man sich fühlt." Für mangelhafte Netiquette würde es jedenfalls vielerorts einen Daumen nach unten geben.