Am 12. Dezember marschierten 200 Nazis von DIE RECHTE, der Offensive für Deutschland und ThügIdA 600 Meter durch die Leipziger Südvorstadt. Neben dem Bündnis Leipzig nimmt Platz, der Initiative Für das Politische und einigen anderen Organisationen und Gruppierungen haben auch wir eine Gegenkundgebung durchgeführt. Auf der Arthur-Hoffmann-Straße zwischen den Kreuzungen Schenkendorfstraße und Körnerstraße führten wir eine Kundgebung unter dem Motto "Nieder mit dem Ba'ath-Regime in Syrien! - Gegen den Naziaufmarsch in Connewitz!" durch. Die Kundgebung befand sich in Sichtweite zum Abschlussort des Naziaufmarsches an der Arthur-Hoffmann-Straße Ecke Arndtstraße. Aufgrund des ereignissreichen Tagesverlaufs schwankte die Teilnehmer_innenzahl unserer Gegenkundgebung zwischen 10 und 150 Teilnehmer_innen.
Unsere Kundgebung begann bereits um 11 Uhr morgens und sollte antifaschistischen Aktivist_innen einen Anlaufpunkt bei den Aktivitäten gegen den Naziaufmarsch bieten. Mobilisiert hatten wir auf deutsch, englisch, kurdisch und arabisch. Weiterhin war es uns wichtig, auf die Provokation der Nazis, sich offen solidarisch mit dem syrischen Regime zu zeigen, zu reagieren. Wir werten den Aufmarsch unter dem Motto "Für Frieden und Völkerfreundschaft" als eine zynische Provokation gegen Geflüchtete insbesondere aus dem Nahen Osten. Mit denjenigen Regimes, vor denen Menschen hier hin fliehen müssen, zeigten sich die Nazis am vergangenen Samstag solidarisch. So beendete Alexander Kurth (DIE RECHTE Leipzig) seine Rede mit den Worten "Es lebe Assad!". Uns ging es am vergangenen Samstag darum, den von uns organisierten Anlaufpunkt mit antinationalen, linksradikalen und transnational-solidarischen Positionen zu verknüpfen und zu zeigen, dass wir an der Seite derjenigen stehen wollen, die sich auf der ganzen Welt gegen Patriarchat, Nationalstaat und Kapitalismus und für eine vernünftig eingerichtete Gesellschaft einsetzen. Auf der Kundgebung wurden Redebeiträge von den Gruppen Antifa Klein-Paris, Emanzipation & Antifa, von deutsch-syrischen Aktivist_innen und von The Future is Unwritten verlesen. Die Antifa Klein-Paris setzte sich mit der Frage nach antifaschistischer Organisierung auseinander, bei Emanzipation & Antifa ging es um eine Kritik des nationalistisch-autoritären Assad-Regimes und seiner rechten Freunde. Die Rede der deutsch-syrischen Aktivist_innen befasst sich mit den Problemen der vorhandenen oder nicht-vorhandenen Solidarität der deutschen Linken mit emanzipatorischen Bewegungen in Syrien und auf der ganzen Welt. Wir hielten zwei Reden zum Krieg in Syrien. Die eine befasste sich mit der Rolle regionaler und auch globaler Interventionsmächte. Die andere kritisierte die Entwicklung in Syrien als Syptom der globalen Krise von Kapitalismus und Nationalstaat. In beiden Reden wurden auch die Akteur_innen des Widerstands gegen Islamismus und arabischen Nationalismus thematisiert.
Die Polizei verhielt sich entsprechend unserer Erwartungen. Sie agierte aggressiv und provozierend gegen die Teilnehmer_innen unserer Kundgebung; so drohte sie beispielsweise damit unser thematisches Transparent für den heutigen Tag einzuziehen und ließ spontan eine Auflage erlassen, nach der das Transparent explizit unter Kopfhöhe der Tragenden zu halten sei, um eine vermeintliche Rechtsgrundlage zu haben uns schikanieren zu können. Das an dem Tag exzessiv von der Polizei versprühte Tränengas im Gebiet der Südvorstadt zog auch zu unserer Kundgebung herüber und führte auf Seiten mancher antifaschistischer Protestierender zu Reizungen der Augen und Schleimhäute. Die Teilnehmer_innenzahl blieb an diesem ereignisreichen Tag blieb letztendlich unter unseren Erwartungen. Dies mag womöglich auch an der Tatsache gelegen haben, dass wir den Anmeldeort unserer Kundgebung kurzfristig verlegen mussten aufgrund der Änderung seitens der Naziroute und diese Information nicht alle Menschen auf Straße erreichen konnte. Auch war es, entsprechend unser Einschätzung, schwierig ein migrantisches Spektrum aus dem Nahen Osten mit unserer Veranstaltung anzusprechen. Trotz einer Vielzahl an Aufrufen in Arabisch, Kurdisch und Englisch waren es letztendlich vor allem Menschen, die wir als Teil der örtlichen deutschen (radikalen) Linken und der so genannten Zivilgesellschaft mit unseren Redebeiträgen erreicht haben. Wichtig zu betonen ist dabei, dass dieser Anspruch für künftige Veranstaltungen weiter aufrecht zu erhalten ist, weil er richtig ist unmittelbar Betroffene direkt zu adressieren – es müssen für die Zukunft weiterhin adäquate Formen gesucht werden. Darüber hinaus entspricht es der Verfasstheit der bürgerlichen Gesellschaft, dass die mediale Rezeption inhaltlicher Positionen an einem solchen Tag von einer öffentlichen Debatte über vermeintlichen „Straßenterror“, Gewalt gegenüber Polizist_innen und den errichteten Barrikaden konsequent überschattet wird. Das stellte natürlich auch uns vor gewisse Herausforderungen.
Nachtrag:
Am Ende des Tages entschlossen wir uns noch dazu, eine spontane Kundgebung gegen die heutige Repression vor der Polizeiwache an der Dimitroffstraße durchzuführen. Dies wurde uns zunächst durch die Versammlungsbehörde versagt. Ohne stichhaltige Begründung sollten wir unsere Kundgebung in der Härtelstraße durchführen. Da der zuständige Sachbearbeiter der Versammlungsbehörde nicht mehr in der Lage war, seinen Computer hochzufahren und uns die Auflage schriftlich und als sofort vollziehbar markiert auszudrucken, musste er persönlich erscheinen und dies handschriftlich tun. Wir beendeten danach unsere Kundgebung.
Um 19 Uhr führten wir dann auf der anderen Seite der Polizeiwache an der Dimitroffstraße, auf dem Simsonplatz vorm Bundesverwaltungsgericht, erneut eine spontane Kundgebung gegen die Repression der Polizei durch. Wir empfingen zahlreiche Genoss_innen, die an diesem Tag eingefahren waren und versorgten diese mit Kaffee, Tee, Keksen, Kontakt zum EA, Musik und guter Laune. Es wurde eine Rede zum Thema Repression gegen Antifaschist_innen in Sachsen und die Toleranz der sächsischen Polizei gegenüber Nazis gehalten. Weiterhin gab anschließend an die Thematik unserer Kundgebung gegen den Naziaufmarsch einen Redebeitrag zum Thema Widerstand der PKK gegen Islamist_innen und reaktionäre Kräfte im Nahen Osten und dem PKK-Verbot in Deutschland. Damit wurden die Themen Repression und transnationale Solidarität zusammengeführt. Als wir um 23 Uhr unsere Kundgebung beenden wollten, revanchierte sich die Polizei, indem sie die letzten Genoss_innen, die gerade aus der Gefangenensammelstelle entlassen worden waren und andere solidarische Genoss_innen ohne jeden Grund vor der Wache kesselte und alle Personalien aufnahm. Wir verlängerten selbstverständlich unsere Kundgebung, bis die Genoss_innen wieder auf freiem Fuß waren. Der polizeiliche Einsatzleiter wollte uns dies zunächst verbieten, als wir jedoch darauf hinwiesen, dass wir dann eben erneut eine Kundgebung – dann eben gegen den neuesten Polizeikessel – anmelden würden, gaben die Cops klein bei. Gegen 23:30 waren alle Genoss_innen wieder aus dem Kessel heraus und wir konnten einen Tag beenden, der weder für die Polizei noch für die Nazis erfolgreich gelaufen ist.
Anhang:
Rede 1:
Liebe
Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, liebe
Menschen in der Südvorstadt!
Wir stehen heute nicht nur hier,
weil drei rechtsradikalen Gruppierungen eine Bühne für ihre fatale
Analyse der aktuellen Lage im Nahen und Mittleren Osten geschaffen
wird, sondern auch um uns zu distanzieren, von einer europäischen
Mainstream-Berichterstattung, die die handelnden Akteure und
Gruppierungen in ein viel zu einfaches schwarz-weiß Schema zu
verpacken versucht. Genauso wenig wie die Ursachen der Konflikte
linear und eindimensional betrachtet werden können, können die
handelnden Akteure in diffuse Kategorien wie „gut“ und „böse“
verpackt werden. Vielmehr sind es Grautöne in der historischen
Herleitung, aktuellen Handlungssträngen und politischen und
gesellschaftlichen Perspektiven, die überhaupt erst eine Grundlage
für einen Erklärungsversuch der realpolitischen Lage bieten
können.
Die arabische Welt wurde historisch westlichen
Einflussspähren unterworfen, die nach dem ersten Weltkrieg eine
geographische Grundlage schufen, wie sie mit wenigen Abweichungen
noch heute auf Landkarten betrachtet werden kann. Ein instabiles
Staatenkonstrukt, dessen Einteilung ohne die Partizipation seiner
BewohnerInnen geschaffen wurde und das seither immer währenden
Konflikten ausgesetzt ist, die ihre Abhängigkeit an ihre westlichen
Kolonialmächte garantiert. Der radikale Islam ist ein Produkt dieser
Entwicklung, auch wenn sicherlich interessant zu erwähnen ist, dass
bereits das Deutsche Reich an einer Stärkung radikalislamischer
Strömungen interessiert war, als Bollwerk gegen den Einfluss
Englands und Frankreichs in der Region.
So dürfte klar sein,
dass jede einzelne der Interventionsmächte seine Eigeninteressen
verfolgt und damit eine Trennung zwischen humanitären Interventionen
und militärischen Unterstützungen eines Regime-Wechsels nicht klar
zu differenzieren sind. Keiner der nationalstaatlichen Akteure
verfolgt ein neutrales, humanitäres Interesse, das sich an den
Interessen der Bevölkerung orientiert.
Die in westlichen
Publikationen genannten wesentlichen zwei Interessenvertretungen,
sind zum einen die schiitische Achse bestehend aus syrischer
Regierung und dem Iran unterstützt von Russland und China und dem
sunnitischen Block der aus Teilen durch die syrischen Opposition
repräsentiert wird, den Staaten der arabischen Halbinsel, hier sind
im besonderen zu nennen: Saudi-Arabien und Katar, die Türkei, die
Autonome Region Kurdistan-Irak (KRG). Dieser Block ist mit der NATO
verbündet, die Türkei ist gar selbst NATO-Mitglied. Die einzelnen
Parteien sind weniger am Machterhalt bzw. dem Sturz Assads als Person
oder der politischen Ausrichtung seiner Partei interessiert, sondern
haben vor allem, auch widersprüchliche, Eigeninteressen.
Nicht
zu missachten ist hierbei, dass hinter diesen Akteuren als Staaten
andere Akteure stehen und unterstützt werden. Der Iran unterstützt
das syrische Regime, Saudi-Arabien unterstützt
Al-Qaida-Gruppierungen in Syrien und Katar und die Türkei
unterstützen die Freie Syrische Armee und Gruppierungen der
Muslimbruderschaft. Fast schon ironisch ist hierbei, dass die
Unterstützung auch vor dem Hintergrund passiert, um die Akteure vom
eigenen Staatsgebiet, vor allem Saudi-Arabiens und des Iran
fernzuhalten.
Die Widersprüchlichkeit der Position einzelner
Nationalstaaten lässt sich besonders gut am Beispiel von
Saudi-Arabien erklären. Das Land ist eines der sechs letzten
absoluten Monarchien weltweit und vom Wahabismus geprägt wie kein
anderes Land. Saudi-Arabien versteht sich als Gottesstaat und sieht
keine Gewaltenteilung vor. Interessant ist hierbei, dass obwohl
Saudi-Arabien das Ziel eines islamischen Gottesstaates in gewisser
Weise verwirklicht, Verfechter scheinbar ähnlicher Ziele wie der IS
nicht in Gänze von Saudi-Arabien unterstützt werden. Während
andere wichtige Golfstaaten wie Katar vor allem die
Muslimbruderschaft unterstützen, mit dem Ziel die demokratischen
Komponenten der arabischen Revolution zu neutralisieren und die
Aufstände in eine religiöse Richtung zu lenken und zuletzt für den
Kampf um die Hegemonie gegen den Iran zu nutzen, sieht die saudische
Regierung ihr eigenes Regierungssystem mit dem Erstarken der
Muslimbruderschaft in Gefahr und setzt deshalb eher auf die
Unterstützung salafistischer Kräfte. Denn in einem Punkt sind sich
Katar und Saudi-Arabien wiederum einig, die Unterstützung dient
außenpolitischen Zwecken, während im Inland weder eine
Organisierung der Muslimbruderschaft noch der Salafisten geduldet
würde. So sind es vor allem Allianzen pragmatischer Natur gegen den
Iran und ein Erstarken der „schiitischen Achse“. So ist
Saudi-Arabien Top-Geldgeber von Al-Qaida und setzt auf der anderen
Seite innerhalb der Landesgrenzen Al-Qaida, die Muslimbruderschaft
und IS auf die Terrorliste. Dies gilt letztlich lediglich der eigenen
Machtsicherung im Inland und Imagezwecken im Ausland, denn nicht zu
missachten ist in diesen realpolitischen Machtzusammenhängen die
Zusammenarbeit mit den USA, die Saudi-Arabien aus ökonomischen
Gründen nicht gefährdet sehen möchte.
Die Gegenseite in
diesem Stellvertreterkrieg wird unter anderem von iranischer Seite
bedient. Als Teil der schiitischen Achse in Kooperation mit Bahrain
und Jemen machte Irans Präsident Hassan Rohani Klar wo sein Land
stünde, denn es werde nicht kooperieren mit Kräften, denen die
Ablösung des Präsidenten wichtiger sei, als der Kampf gegen den
Terror.
Denn für den Iran hat Syrien vor allem als strategisches
Hinterland der libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah Bedeutung.
Zudem kontrolliert der Iran wichtige Schiiten-Milizen im Irak und hat
großen politischen politischen Einfluss in Baghdad, der durch ein
Erstarken des Islamischen Staates bedroht ist. So scheint eine
Allianz mit Assad letztlich nur logisch.
Diese Allianzen
richten sich einerseits zwar gegen die feindliche Seite, aber
andererseits auch gegen Parteien, die sich nicht in dieses Schema
einfügen, wie zum Beispiel der Selbstverwaltung Rojavas. In solchen
Situationen scheint das Motto zu gelten, der Feind meines Feindes ist
mein Freund, oder zumindest temporärer Bündnispartner gegen den
Feind. So werden die verschiedenen Instrumentalisierbarkeiten der
einzelnen Kräfte im Mittleren Osten deutlich. In der vergangenen
Woche trafen sich verschiedene Oppositionsgruppen im saudi-arabischen
Riad zu einer Konferenz. Die Syrische Nationale Koalition ist ein
säkulär orientiertes Oppositionsbündnis. Mit der Ausrichtung der
Konferenz in Saudi-Arabien, einem Land, dass jihadistische Kräfte in
Syrien unterstützt, hat es sich nachhaltig unglaubwürdig gemacht.
Noch problematischer: kurdische, jesidische und andere
Minderheitengruppierungen wurden gar nicht erst eingeladen. Diese
trafen sich deshalb parallel in Derîk zur Democratic Syria Congress,
bei dem sie sich für ein "multikulturelles, multireligiöses
und pluralistisches" Syrien aussprachen.
Zuletzt ist es
die immer wiederkehrende Stimme verschiedenster Akteure, dass Assad
das kleinere Übel wäre, dass um des Friedens willen die Waffen
niedergelegt werden sollten. Denn schließlich sei es das syrische
Volk das über seine Regierung entscheiden sollte. Doch sehen wir das
Ganze mal realistisch, knapp die Hälfte des Volkes – neun
Millionen Menschen – ist auf der Flucht, etwa vier Millionen
außerhalb der Landesgrenzen. Sie haben längst abgestimmt! Mit ihren
Füßen! Und die Antwort ist eindeutig. Der islamische Staat ist eine
Bedrohung, die ihresgleichen sucht, aber als Fluchtursache wird von
syrischen Geflüchteten weitaus häufiger das Ba'ath-Regime unter
Assad genannt.
Es sind die zivilen und die emanzipatorischen
Kräfte, die den militärischen Auseinandersetzungen zum Opfer
fallen, sie werden als gemeinsamer Feind aller Akteure begriffen und
bekämpft. Sie waren es, die in Syrien einen Regimewechsel angestoßen
haben und sie sind es, die im weiteren Verlauf ihre Stimme verloren
haben, weil sie keine machtpolitischen oder ökonomischen
Stellvertreter haben. Es sind religiöse, konfessionelle und
ethnische Minderheiten, AktivistInnen, KünstlerInnen,
Intellektuelle, SchriftstellerInnen und ZivilistInnen die durch die
Unterdrückung der Meinungsfreiheit zum Schweigen gezwungen waren und
sie waren und sind es die sich gegen Entwürdigung, Tyrannei und
Unterdrückung auflehnen um die Werte der Emanzipation, der Würde
und der Freiheit in der Revolution verteidigen. Sie sind die
Randgestalten eines militärischen Konfliktes die eine Stimme
brauchen, sie sind das Rückgrad der syrischen Revolution. Ohne sie
ist eine syrische Zukunft nicht möglich.
Solidarität mit
emanzipatorischen Kräften im Nahen und Mittleren Osten!
Gegen
Stellvertreterkriege im Namen humanitärer Interventionen!
Für
einen internationalen Antinationalismus!
Rede 2:
Liebe
Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, liebe
Menschen in der Südvorstadt!
Wir stehen heute hier, weil
gleich drei rechtsradikale Gruppierungen die Südvorstadt und
Connewitz als Bühne für eine groteske Propaganda-Inszenierung
nutzen wollen. Dabei mobilisiert die Partei DIE RECHTE unter dem
Motto ¨Für Frieden und Völkerfreundschaft¨ und wirbt auf Plakaten
mit Abbildungen des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad. Deshalb
richtet sich unsere Kundgebung nicht nur gegen die Nazis und
Rassist_innen, die heute versuchen wollen, zu marschieren. Sie
richtet sich auch gegen das autoritäre Assad-Regime, das eine
wesentliche Mitverantwortung für Jihadismus und Krieg im Nahen Osten
trägt. Und sie richtet sich gegen die kapitalistische, auf
Nationalstaaten basierende Weltordnung, auf deren Basis deutsche
Nazis und nationalistische Regimes in der ganzen Welt erst existieren
können.
Der Bürgerkrieg, der seit 2012 Syrien zerstört, ist
nicht monokausal zu erklären. Er findet seine Ursachen im
Ba`ath-Regime, in den jihadistischen Organisationen, in der Politik
des Westens und anderer globaler und regionaler Mächte. Eins ist
dieser Bürgerkrieg allerdings nicht: ein spezifisch syrischer
Sonderfall. Er ist vielmehr eine Folge der kategorialen Krise der
kapitalistischen Vergesellschaftungsweise und des Nationalstaats.
Neben Syrien befinden sich seit den 90ern viele andere ehemals
stabile Nationalstaaten in einem Prozess der Fragmentierung. Hier zu
nennen wären beispielsweise das nicht mehr existente Jugoslawien,
Afghanistan, der Irak, der Süden Russlands, die Ukraine und
unzählige mehr. Historischer Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist
der Zusammenbruch der Sowjetunion und das damit einhergehende Ende
der bipolaren Weltordnung des Kalten Krieges. Während die
Marktwirtschaft in der vermeintlichen Systemkonkurrenz gegen die
sowjetische Planwirtschaft sich noch als überlegen erwies, befindet
sie sich nun aufgrund ihrer inneren Widersprüche selbst in der
Krise. Die Sowjetunion hingegen stand nicht außerhalb der Logik von
Warenproduktion und Kapitalakkumulation, sie hatte lediglich ein
anderes, staatlich gelenktes, Regulationsmodell, das eine nachholende
Modernisierung gegen über den westlichen Marktwirtschaften
ermöglichen sollte. Nach dem Ende des Kolonialismus adaptierten
zahlreiche der ehemaligen Kolonien das Projekt der nachholenden
Modernisierung. In diesem Kontext steht auch der Ba`athismus, die
Ideologie des derzeitigen syrischen Regimes und des irakischen
Regimes unter Saddam Hussein. Von vielen Linken als
antiimperialistisch und antikapitalisttisch abgefeiert, war der
Ba`athismus tatsächlich nicht mehr als eine autoritäre Bewegung,
die die fordistische Produktionsweise durchsetzte und Opposition und
Gewerkschaften unterdrückte und zerschlug. Das syrische Assad-Regime
geht auf einen Putsch des rechten Parteiflügels gegen die
Parteilinke zurück, in Folge dessen linke und kommunistische
Abweichler_innen politisch verfolgt und teils inhaftiert wurden.
Überdies verfolgte das Ba`ath-Regime eine repressive Politik der
Arabisierung. Im Zuge dessen wurden Araber_innen in den kurdisch
geprägten Norden des Landes umgesiedelt, um eine flächendeckende
arabische Identität der Nation zu gewährleisten. Die kurdische
Sprache wurde verboten, eigenständige Organisationen nur um den
Preis der Kollaboration mit dem Regime erlaubt. Einem Teil der
kurdischen Bevölkerung wurde gar die Staatsbürgerschaft entzogen.
Somit ist die repressive Durchsetzung der Nationalstaatlichkeit mit
einem arabischen Staatsvolk eine Mitursache für die heutige
Ethnisierung von politischen Konflikten in Syrien. Wenn also linke
Gruppierungen und Publikationsorgane die Behauptung aufstellen, Assad
sei gegen Imperialismus und Jihadismus zu unterstützen, liegen sie
falsch und fallen mit derartigen Positionen in letzter Konsequenz
emanzipatorischen Kräften im Nahen Osten in den Rücken.
Mit dem
syrischen Bürgerkrieg ist auch der selbsternannte ¨Islamische
Staat¨ auf die Bühne der westlichen Öffentlichkeit getreten. Vom
bürgerlich-rassistischen Mainstream wird er als mittelalterlich und
anachronistisch fehlinterpretiert. Die dem IS zugrunde liegende
salafistisch-jihadistische Ideologie ist nicht, wie sich selbst
geriert, eine möglichst ursprüngliche Interpretation ¨des Islam¨
- sie ist vielmehr eine postmoderne Krisenideologie, die in Reaktion
auf ökonomische und soziale Perspektivlosigkeit, Beschleunigung und
den gesteigerten objektiven Nihilismus des spätmodernen Kapitalismus
um sich greift. Viele der IS-Kämpfer_innen sind Konvertit_innen, die
keine islamische Sozialisation aufweisen können und deren Wissen
über den Islam vorrangig aus salafistischen Publikationen stammt.
Aus der ganzen Welt sind tausende junger Menschen nach Syrien
gegangen, um sich dem Kampf der IS-Jihadist_innen anzuschließen,
nicht mit der Perspektive auf ein besseres Leben, sondern mit der
Perspektive auf einen sinnvollen Tod. Weiterhin muss sich mit der
Frage beschäftigt werden, in wie weit der antimuslimische Rassismus
in Europa zur zur Hinwendung junger Menschen zum Jihadismus beiträgt.
Der IS ist ein von langer Hand geplantes Projekt internationaler
Islamist_innen und hat sich die regionalen Problemlagen im Irak und
Syrien, insbesondere die Instabilität des Irak nach Saddam, zu Nutze
gemacht, um an Einfluss zu gewinnen. Dabei haben der IS und seine
Vorgängerorganisationen ISIS und ISI stets gezielt die Ethnisierung
sozialer Konflikte vorangetrieben. Umso absurder also die Behauptung,
die syrische Opposition sei von Anfang an islamistisch gewesen, wie
sie auch in Teilen der deutschen Linken kursiert. Der arabische
Frühling und auch die Aufstände in Syrien waren kein jihadistisches
Projekt, sondern der Versuch der Selbstbehauptung gegenüber Diktatur
und ökonomischer Perspektivlosigkeit. Dabei spielte das
Zusammenwirken verschiedener sozialer und politischer Akteure eine
entscheidende Rolle. Die Islamisierung und die Internationalisierung
des Konflikts in Syrien ist dabei vom Regime positiv aufgenommen und
gefördert worden. Durch die Freilassung einer vierstelligen Zahl
jihadistischer Gefangener und der gezielten Bombardierung der
demokratischen Opposition bei einem Appeasement gegenüber den
Jihadist_innen sollte die demokratische Opposition zerschlagen
werden. In der Folge, so die Logik der Regimes, würde der syrische
Bürgerkrieg als Kampf einer legitimen Regierung gegen den
islamistischen Terrorismus erscheinen.
Angesichts der desaströsen
Situation im Nahen Osten und eigentlich auf der ganzen Welt erscheint
die Frage nach emanzipatorischen Perspektiven so zynisch wie
notwendig. Durch militärische Interventionen des Westens, Russlands
oder seitens anderer Mächte wird es jedenfalls keine Perspektive
jenseits von Regime und Islamismus geben. Dazu sind deren
Stabilitätsinteressen zu oberflächlich und die Ursachen des
Konflikts zu tiefliegend. Ein naiver Pazifismus ist allerdings genau
so wenig zu unterstützen. Wenn fortschrittliche Kräfte militärische
Unterstützung durch besser ausgerüstete Mächte oder
Waffenlieferungen fordern, so unterstützen wir diese Forderungen
selbstverständlich. Ein Beispiel dafür ist der Widerstand der
kurdischen YPG/YPJ und ihrer Verbündeten gegen den Vormarsch des IS
auf die syrisch-kurdische Stadt Kobanê. Dieser konnte unter anderem
durch die Luftunterstützung einer US-geführten Koalition
gelingen.
Wer aber sind diese fortschrittlichen Kräfte, mit denen
wir uns solidarisieren wollen? Grundsätzlich erst einmal all jene,
die eine soziale Perspektive jenseits von Regime und Islamismus
fordern und sich nicht von ethnischen, religiösen oder
geschlechtlichen Kategorien trennen lassen. Im Speziellen alle, die
eine Perspektive jenseits von Kapitalismus und Nationalstaat
befürworten. Es sind demokratische Milizen wie die Jaysh al-Thuwar
oder die Burkan al-Furat, lokale Bürger_innenkomitees in vom Regime
befreiten Städten, aber auch die Selbstverwaltung in
Syrisch-Kurdistan, die unsere Sympathien genießen. Eine der
fortschrittlichen und linken Kräfte dabei ist sicherlich die
syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Einheit (PYD), die mit
einigen anderen kurdischen Parteien zusammen, die vom Regime autonome
Verwaltung in Nordsyrien anführt. Die PKK-Schwesterpartei fordert
ein System der regionalen und multiethnischen Selbstverwaltung als
Modell für Syrien und den gesamten Nahen Osten. Dabei sollen die
wesentlichen politischen Entscheidungen in einem System der Volksräte
getroffen werden und der Nationalstaat soll überwunden werden.
Dieses Konzept der ¨Demokratischen Autonomie¨ hört sich in Zeiten
von Bürgerkrieg und Terror wie ein großer Lichtblick an. Dabei
sollte die Politik der PYD und der ihr nahestehenden Organisationen
nicht verklärt werden. Es gibt berechtigte Vorwürfe gegen die PYD.
Dazu gehören die an manchen Stellen nachweisliche Unterdrückung
politischer Gegner_innen und der Einsatz von Minderjährigen als
Soldat_innen in YPG und YPJ. Diese Kritik muss in aller Schärfe auch
von uns geäußert werden und es ist auch zu erwähnen, dass,
entgegen der romantisierten Vorstellungen einiger deutscher Linker,
der Kapitalismus in Syrisch-Kurdistan nicht kurz vor der Überwindung
steht. Die Gesellschaftsordnung in Rojava basiert genauso auf
Warenproduktion und Kapitalakkumulation wie nahezu überall sonst auf
der Welt. Einen glaubhaften Ansatz zur Überwindung der
kapitalistischen Vergesellschaftungsweise kann das System der
Demokratischen Autonomie in Rojava bislang nicht liefern. Dieser
Anspruch wäre womöglich aber zu hoch gegriffen. Ohne eine weltweite
Bewegung zur Transformation der Verhältnisse und noch dazu mitten im
Bürgerkrieg, ist einer derartige Perspektive kaum denkbar. Deshalb
fordern wir eine kritische Solidarität, jenseits von Ignoranz,
Dämonisierung oder Romantisierung.
Heute jedoch gilt es zunächst,
sich den Nazis entgegen zu stellen, die in zynischster Manier den
syrischen Diktator hochleben lassen wollen und somit all jene
verhöhnen, die von diesem bombardiert und verfolgt werden und jene,
die vor dessen Regime hierhin fliehen mussten, die sie lieber gestern
als heute abschieben würden. Während die Nazis verzweifelt und
immer gewaltsamer für die Erhaltung der Nationalstaats kämpfen,
zielen wir auf seine emanzipatorische Überwindung.
Gegen den
Naziaufmarsch in Connewitz! Nieder mit Assad! Nieder mit dem IS! Für
einen internationalen Antinationalismus!