Terror, Imperialismus und Krieg

Einige Gedanken zum Phänomen Terrorismus
Terrorismus ist eine gewalttätige politische Strategie, die ihre Opfer mehr oder weniger wahllos aus der Zivilbevölkerung wählt. Die angewandte direkte physische Gewaltanwendung ist dabei nachrangig und eher Mittel zum eigentlichen Zweck: Psychische Folgewirkungen hervorzurufen, namentlich die massenhafte Verbreitung von Angst und Schrecken in der Bevölkerung.Darin liegt die besondere Perfidie von Anschlägen, dass sie nahezu jeden treffen können, wodurch die Erzeugung von Angst überhaupt erst funktioniert. Genau das unterscheidet sie auch von linker Militanz, die dort, wo sie bewaffnet erfolgt, sich stets gegen Kombattanten oder hohe Repräsentanten aus Militär, Wirtschaft oder Staatsapparat richtet. Heutige Anschläge richten sich hingegen entweder wahllos oder gruppenbezogen gegen die Bevölkerung, aber so gut wie nie gegen Regierungseinrichtungen. So haben die Mörder von Paris nicht etwa das französische Verteidigungsministerium, eine Kaserne oder einen anderen Repressionsapparat angegriffen; ihr Angriff richtete sich gegen Menschen aus der Zivilbevölkerung – in diesem Fall Konzertbesucher, in Cafes sitzende Menschen oder solche, die ein Fußballspiel besuchen wollten. Angst und Schrecken unter der gut geschützen herrschenden Klasse verbreiten sie damit ganz sicher nicht. Diese weiß solche Taten vielmehr für ihre Interessen zunutzen. Die Terroristen sind ihrer Funktion nach nützliche Idioten westlicher Regierungen. Regierungen, die Militär auch im Inland einsetzen, Überwachung flächendeckend ausbauen und Gesetzesverschärfungen auf den Weg bringen wollen. Dazu braucht es ein klares Feindbild, durch das die Maßnahmen begründet werden können. Die Reaktion der Staaten auf den Terrorismus sieht meist die Ausrufung des Ausnahmezustands vor. Dieser ist heute weniger eine Ausnahme im Regierungshandeln, sondern eine moderne Herrschaftstechnik: Einmal eingeführt, werden sich die beschlossenen Maßnahmen gegen die Bevölkerungen insgesamt und vor allem gegen jede Form politischer Opposition richten. Die vorgeblich zu schützende Freiheit stirbt für ein trügerisches Mehr an Sicherheit, denn wahllose Anschläge werden sich nicht verhindern lassen, zumal deren Ursachen weiter bestehen bleiben. Der wahre Inhalt der bürgerlichen Gesellschaft aber ist der Bestandsschutz der kapitalistischen Eigentumsordnung. Und Terror produziert dann auch maximale Zustimmung zur Aufrüstung der Apparate, die diese Ordnung schützen. Diese Funktion erfüllen auch die unzähligen Terrorwarnungen und Drohungen, die eine Alarmstimmung wach halten, deren Grundlage aber im Verborgenen bleibt. Die ideologische Begleitmusik dazu besteht in propagandistischen Kampagnen, nach Anschlägen regelmässig anrollen und bis in die linke Öffentlichkeit sedierend wirken. Divide et impera und Integration sind zwei sich ergänzende Herrschaftsmechanismen. Antimuslimischer Rassismus auf der einen, Vereinnahmung der Menschen, die sich anpassen, auf der anderen Seite. Die imaginäre Gemeinschaft umfasst die Mehrheitsgesellschaft und soll diese direkt gegen das Feindbild formieren, indirekt durch die Hinnahme der Maßnahmen aber auch gegen die der Menschen eigenen Interessen. Wer dem gegenüber kritisch bleibt, wird auf der Seite der Feinde eingemeindet. Schon im Januar, nach den ersten Attentaten in Paris, beschwor Bundespräsident Gauck die Volksgemeinschaft unter dem Vorzeichen des Anti-Terror-Kampfes. Nun, nach den Novemberanschlägen, spricht Gauck von Krieg, manche hiesigen Medien gar von Weltkrieg. Dies suggeriert ganz nebenbei, dass Krieg nur ist, wenn ein Angriff in Europa stattfindet, während die Einsätze von Bundeswehr, US-Army und Armée française auf allen Kontinenten zu humanitären Friedensmissionen umgelogen werden. Dabei haben westliche Regierungen, die nicht müde werden, die Freiheitlichkeit ihrer eigenen Systeme zu betonen, den Terror tausendfach in andere Länder exportiert und ganze Regionen destabilisiert. Unmittelbare Gewaltherrschaft ist im modernen imperialistischen Weltsystem aus den imperialistischen Zentren in die Peripherie ausgelagert. Nur diese Verlagerung garantiert relativen Wohlstand, Krisenkompensation und damit nachhaltige soziale Befriedung bzw. Abstinenz unmittelbarer Gewaltherrschaft in den Zentren selbst. In den Gebieten, die der Westen mit Krieg überzogen hat, gehören militärische und terroristische Gewalt folgerichtig zum Alltag. Terror in Form solcher Anschläge ist in diesen Ländern keine Seltenheit; er kehrt mit den furchtbaren Anschlägen von Paris nun nach Europa zurück.

 

Zur Geschichte einer unheilvollen Liäson

 
Der Imperialismus ist mit seinen Hilfstruppen nie zimperlich gewesen. Im Konflikt, in den die Sowjetunion mit Afghanistan ab 1979 getrieben wurde, fand erstmals die Indienstnahme lokaler Gotteskrieger seitens der CIA statt. Auch die BRD bildete damals Kämpfer der Mujaheddin aus. Der von den USA 2003 begonnene Irak-Krieg sollte als konventioneller Krieg, der neben massiven Luftangriffen vor allem durch eine Invasion mit Bodentruppen geführt wurde, die Beherrschung des eroberten Territoriums dauerhaft gewährleisten. Die Invasion hinterließ Chaos und produzierte, wie auch in Afghanisten, Somalia, Lybien und gebietsweise in Syrien, sogenannte „Failed States“, was wiederum keineswegs bedeutet, dass hier keine Wirtschaftsbeziehungen mehr bestehen: Der IS verkauft noch heute täglich Öl im Wert von einer Million Dollar. Mit ihren Regime-Change-Kriegen aber haben die USA die Stabilität dieser Länder insgesamt zerstört – und den Boden für djihadistische Milizen erst freigekämpft. Im Verlauf dieses Konflikts vollzogen die Vereinigten Staaten allerdings auch einen militärischen Strategiewechsel im Jahr 2006 hin zur Aufrüstung lokaler sunnitischer Milizen. Dieser Strategiewechsel beinhaltet im Wesentlichen die Abkehr vom großflächigen Einsatz eigener Bodentruppen hin zu einer eher verdeckten Kriegsführung. Stellvertreterkriege, der Einsatz von Spezialeinheiten und extralegale Hinrichtungen durch Drohnen, bei denen Führungskräfte aus der sicheren Distanz ausgeschaltet werden sollen, es aber regelmässig zu Massenmorden kommt, gehören zu dieser Kriegsführung. Drohneneinsätze praktizieren CIA und Pentagon extensiv in Pakistan, Jemen, Somalia, Syrien, Irak, Mali und Afghanistan. Aktuell bombt das brutale Feudalregime Saudi-Arabien, mit deutschen Waffen ausgerüstet, auch im Jemen den Djihadisten den Weg frei – die nächste Katastrophe bahnt sich an. 2011 griff die NATO Libyen an. In diesem Konflikt wurden überhaupt keine eigenen Bodentruppen mehr eingesetzt, sondern ausschließlich lokale Kräfte unterstützt, die zudem von Anfang an überwiegend islamistisch geprägt waren. Mit verheerenden Folgen wurde auch hier ein Land in den Bürgerkrieg gestürzt, während sich die religiösen Milizen über doppelte Waffenhilfe freuen konnten. Im Irak entwickelte sich aus den von den USA unterstützten sunnitischen Milizen die Vorläuferorganisation des Islamischen Staates, die ab 2012 auch in Syrien aktiv wurde und dort im Rahmen der Waffenhilfe an die FSA wiederum von westlicher Unterstützung profitierte. Kämpfer der Terrormilizen wurden in Jordanien ausgebildet und diese von westlichen Verbündeten Türkei, Katar, Saudi-Arabien technisch, finanziell und logistisch lange Zeit unterstützt. Das Erstarken des IS nahmen die USA dabei bewusst in Kauf, wie Papiere aus dem Pentagon zeigen, weil das Vorgehen des IS (und das von ihm zeitweise eroberte Gebiet) ziemlich genau mit den Vorstellungen ihres Greater Middle East Projektes übereinstimmt. USA und IS teilen dabei das strategische Interesse an der Beseitigung der Assad-Regierung in Syrien. Mit dem IS allerdings wurde ein Monster geschaffen, welches sich nun der Steuerung entzieht und eigenständige Interessen verfolgt. Die Ironie bei der Sache ist, dass jetzt Al-Qaida, gegen die der „Krieg gegen den Terror“ nach den Anschlägen 2001 vom damaligen US-Präsidenten Bush ausgerufen wurde, nun in der Form der Ableger „Al Nusra-Front“ und AQAP als gemässigte Version gegenüber dem noch schlimmeren IS präsentiert wird. Bis dato haben die USA bereits militärische Präventivschläge, Überwachung, Folter, Internierungslager und Verschleppung in Geheimgefängnisse mit diesem Anti-Terror-Kampf gerechtfertigt, gleichzeitig aber aus geopolitischen Erwägungen reaktionäre Bewegungen unterstützt und durch den Sturz stabiler, wenn auch autokratischer Staaten, Machtvakuuen geschaffen und Räume freigemacht, die zunehmend djihadistische Milizen besetzen, die es ohne diese Politik in ihrer jetzigen Form nicht geben würde. Solcherlei imperialistische Einflussnahme in aller Welt schürt berechtigterweise Hass auf den Westen. Gleichzeitig greifen die lokalen Gruppen den Hass auf den Westen auf und geben ihm eine konter-revolutionäre Richtung. So sehr es auch notwendig ist, dass die Barbarei des IS militärisch beendet wird, so wenig besteht bislang hieran wirkliches Interesse, oder erst dann, wenn eine neue, pro-westliche Kraft an dessen Stelle treten könnte. Das und kein anderer Grund stand und steht hinter der partiellen Unterstützung der Kurden in Rojava durch die US-Streitkräfte. Diese Hilfe erfolgt zögerlich, ein sicheres Indiz für die klare Einschätzung des Westens, dass die PKK-nahe YPG kein dauerhafter verlässlicher Bundnispartner für ihre imperialistische Politik in der Region sein kann. Die Unterstützung der einzigen progressiven Kraft, welche dem IS bisher wirkungsvoll Einhalt gebieten konnte, der kurdischen Guerilla, steht dann auch hierzulande, zumindest wenn sie sich auch auf die PKK bezieht, selbst unter Terrorverdacht. Der djihadistische Terrorismus ist also maßgeblich erst deshalb möglich geworden, weil die westlichen Länder und ihre wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten in der Entstehung, Duldung und Förderung von Terrorgruppen augenscheinlich ein geringeres Übel sehen als in unerwünschten Regierungen. Bekämpft werden diese nur dann, wenn sie westlichen Interessen nicht entsprechen, und auch dann nur zaghaft. Der religiöse Fundamentalismus und der westliche Imperialismus sind nicht voneinander zu trennen: sie sind zwei Seiten einer Medaille.

 

Schlussfolgerungen für uns als radikale Linke

 
Natürlich werden die jetzigen Anschläge sofort mit den größer werdenden Fluchtbewegungen, die in der Politik des Westens ihre maßgebliche Ursache haben, in Verbindung gebracht und rhetorisch für rechte Hetze genutzt. „Grenzen zu“ ist eine Reaktion der Eliten, verstärkte Angriffe auf Minderheiten eine des Mobs. Als Reaktion auf die Pariser Attentate im Januar wurden in ganz Frankreich Muslime attackiert. 2012 und 2013 kam es in der Bundesrepublik im Durchschnitt alle zehn Tage zu einem Angriff auf eine Moschee, darunter auch Brandanschläge. Dazu war in den Medien kaum etwas zu vernehmen. Im Jahr 2015 zählen wir bisher 580 Angriffe auf Flüchtlingseinrichtungen. In der globalen Krise des Kapitalismus finden kulturalistisch oder religiös begründete Gemeinschaften Zulauf, während die etablierte Politik die Formierung der Gesellschaft gegen innere und äußere Feinde verstärkt. Ideologisch exekutieren hier faschistische und anderswo religiös-fanatische Bewegungen einen „Extremismus der Mitte“, also die autoritäre Zuspitzung des ohnehin Vorherrschenden. Hilfe vom Staat gegen Neofaschisten oder gegen religiöse Extremisten zu erwarten, ist schon aufgrund dieser strukturellen ideologischen Nähe illusionär, aber auch deshalb, weil reaktionäre Militante die letzte Verteidigungslinie des tiefen bürgerlichen Staates bilden. Letztendlich stützen beide Richtungen objektiv das bürgerlich-kapitalistische System, was unverständlicherweise viele Linke nicht sehen wollen, die den Staat zwar für seine ökonomische, nicht aber für seine Rolle der erweiterten Repression kritisieren, also dort, wo neben Polizei und Militär auch halb- und nicht-staatliche Strukturen im Sinne einer Strategie der Spannung (wie derzeit in der Türkei praktiziert) agieren. Staatliche Stellen sind ofttmals über V-Leute mit terroristischen Milieus verstrickt. Terror-Netzwerke erhalten Unterstützung, wenn sie nützlich sind, und verlieren diese wieder oder werden ausgeschaltet, wenn sie das nicht sind. Hinzu kommt: Aus der rechtsterroristischen NSU-Mordserie etwa gingen die Geheimdienste, die faschistische Strukturen förderten gestärkt und mit mehr Handhabe versehen hervor, profitierten also die Mitverursacher ganz praktisch. Uns als Linken fällt jetzt die Aufgabe zu, radikal gegen den Ausbau des Sicherheitsstaates Stellung zu beziehen, die westlicher Politik zugrunde liegenden Interessen offenzulegen und jede Form imperialistischer Einflussnahme scharf zu verurteilen. Diese produziert die Flüchtlingsströme, die dann mit Abschottung wieder reguliert werden sollen – mit oft mörderischen Folgen für die Flüchtenden. Der Imperialismus bereitet selbst den Nährboden für die Reaktion des Terrorismus, der dann unterschiedslos uns alle treffen kann. Deshalb gilt es zuallererst, unserer herrschenden Klasse und ihrer Aggression in den Rücken zu fallen. In unserer Kritik enthalten muss selbstredend die Bekämpfung derjenigen politisch-religiösen Strömungen sein, deren Weltbild unserem – von Emanzipation und Befreiung – diametral entgegensteht, welche jedoch oft als nützliches Werkzeug dienen, wie der faschistische Rechte Sektor in der Ukraine oder der IS gegen die syrische Regierung und die kurdische Bewegung. Wichtig ist für uns indes letzterer Aspekt: Gerade Islamistische Milizen haben im Nahen Osten die objektive Funktion, die etwa der der Contras in Süd- und Mittelamerika entspricht, also die lokale Rolle der bewaffneten Speerspitze gegen linke Bewegungen einzunehmen, in diesem Fall vor allem gegen unsere kurdischen und türkischen GenossInnen, und als solche sollten wir sie, im Ensemble imperialistischer Strategien, auch analysieren. Auch türkische und andere Faschisten teilen, wo es um die migrantischen Communities hierzulande geht, diese objektive Funktion; eine meist einseitige Fokussierung auf Faschister nur einer Provenienz ist daher gemeinsam aufzuheben. Wir müssen den Kampf um die Gewinnung der Menschen in den Stadtteilen, Betrieben und auf der Strasse praktisch und auch theoretisch – in einer allgemeinverständlichen Form – wieder intensivieren, wir müssen als linke Bewegung Klarheit in der Analyse finden und Alternativen entwickeln. Der Sicherheitsstaat und dessen Symptome, reaktionäre Bewegungen und Rassismus, stehen dem im Wege. Der Kampf um unsere Rechte, die Bewegung raus aus den Szenen und hinein in die Gesellschaft, sind die einzige Möglichkeit, ein bedeutendes Potenzial gegen bürgerliche Herrschaft und ihre reaktionärsten Formationen zu mobilisieren und Strukturen aufzubauen, die den neuartigen Bedingungen entsprechen. Wirkliche Gegenmacht kann nur aus einer klassenkämpferischen und antiimperialistischen Perspektive heraus entwickelt werden.

 

Siempre*Antifa am 20.11.2015

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