Mit Kunst Politik zu machen, scheint immer beliebter zu werden. Akteure wie das „Zentrum für Politische Schönheit“ promoten das, was sie unter Kunst verstehen, sogar als der neue Weg, effektiv linke Politik zu machen. Dabei blenden sie aus, dass die Wahrnehmungs-Ökonomie von „Kunst“ im Bereich der Politik nur unter bestimmten Bedingungen funktioniert. Und diese Bedingungen haben wenig mit emanzipatorischer Politik zu tun. Eine Analyse der Bedingungen, unter denen Kunst politisch sein kann.
Barocke Theater-Auffassung
Über das Verhältnis von Kunst und Politik ist schon viel geschrieben worden. Auf der einen Seite stehen meistens PolitikerInnen in kleinen Städten am Scheibenrand. So ist in Hannover der CDU-MdL Dirk Töpfer der barocken Meinung, dass Kunst sich nicht mit Politik zu beschäftigen habe. Und wenn doch, dann höchstens zur Verherrlichung seiner herrlichen Gestalt und Gestaltungsmacht.
Verbündete in der Medienlandschaft
Wie viele Leute seiner Meinung sind, zeigt auch aktuell die Lokalzeitung „Norddeutsche Neueste Nachrichten“ in Rostock. Dort ist man äußert überrascht und pikiert darüber, dass der Intendant am dortigen Stadttheater eine Inszenierung von Hendrik Ibsens Stück „Der Volksfeind“ dazu nutzt, den aktuellen Bürgermeister zu kritisieren.
Sich selbst ernst nehmen?
Wie weitreichend diese bei deutschen Untertanen verbreitete „unpolitische“ Kunstauffassung ist, zeigt unter anderen Vorzeichen die Intellect-Kampagne gegen Geheimdienste. Bei den MacherInnen vom Peng!-Collektiv ist man angesichts des Erfolges der Kampagne äußerst überrascht, dass ihre Kunst tatsächlich von einigen frustrierten Geheimen ernst genommen wird, und sie sich mit Ausstiegs-Gedanken tragen. Damit hatten sie augenscheinlich nicht gerechnet, hatten keinerlei Vorkehrungen getroffen und weisen mit allerlei Blabla über das Verhältnis von Kunst und Politik jegliche Verantwortung für die Folgen ihrer Kampagne von sich (im Video vom Zündfunk-Netzkongress 2015 ab Minute 39:20).
Alles nur Überbau?
Bei Karl Marx hingegen findet sich die totale Gegenposition. Dort ist die Politik genauso wie die Kunst einfach nur Teil des sogenannten Überbaus. Dieser Überbau verschleiert und legitimiert lediglich den sogenannten Unterbau, also die Kapital-Verhältnisse und Klassenlage einer Gesellschaft. Dieser Unterbau aus Kapital-Verhältnissen determiniert in der bürgerlichen Gesellschaft Kunst und Politik gleichermaßen. Deshalb sei es laut Marx auch ziemlich sinnlos, sich mit dem Verhältnis von Kunst und Kultur auseinander zu setzen, wenn man nicht den Unterbau, d.h. Die Kapitalverhältnisse und ökonomische Klassenlagen ins Visier nimmt.
Nur Protest?
Ein für politisch aktive Menschen interessante Stilblüte der Debatte um Kunst und Politik dürfte dieser Text über eine Protestaktion gegen prekäre Arbeitsverhältnisse von Theater- und Regie- Studierenden 2013 am Gorki-Theater in Berlin sein. Dabei kaperten die Studies einen Wettbewerb für junge Theater-Machenden und besetzten aus ihrem Stück heraus die Bühne und das Gebäude, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Die sich für eine bessere Zukunft engagierenden Studies mussten sich ernsthaft anhören, dass das, was sie da machen würden, „nur“ Politik“ und keine Kunst sei.
Eine Frage der Sagbarkeitsfelder?
Aus denen vielfältigen sich bietenden Diskussionssträngen um „Art&Politics“ sei hier nur einer herausgegriffen: Der Strang der Sagbarkeitsfelder. Sagbarkeitsfelder sind an Sprechsituationen gebundene Grenzen des Sag- und Denkbaren. Diese sind je nach Situation und Millieu verschieden. Beispiel: In der Uni oder am Arbeitsplatz dürfte es relativ viele fragende Blicke geben, wenn man äußerte, die Polizei als staatlich bezahlte GewalttäterInnenbande abschaffen zu wollen. Man hat gegen eine Grenze eines Sagbarkeitsfeldes verstoßen. Im örtlichen autonomen ChaotInnen-Centrum hingegen dürfen Sätze gleichlautenden Inhaltes durchaus gepöbelt werden (wenn auch vermutlich nicht mit all zu viel Nachdruck, da beim nächsten Hausrechtskonflikt oder Nazi-Übergriff sich alle meistens nichts sehnlicher wünschen, als eine Polizei, die die jeweils andere Seite möglichst doll zusammen schlägt...).
Gesellschaftlicher Auftrag der Kunst?
Mit der Kunst ist es ähnlich. Kunst hat ein erweiterte Sagbarkeitsfelder. Das im Theater die Frage nach dem Sinn von Polizei gestellt werden dürfte, würden vermutlich nur barocke Untertanen-Charaktäre wie die erwähnte konservative PolitikerIn von niedersächsischen Scheibenrand bezweifeln. Allerdings hat das Theater dabei zu beachten, dass es im bürgerlichen Diskurs als „Gut und Wünschenswert“ gilt. Das bedeutet, die Grenzen der Sagbarkeitsfelder der Kunst liegen dort, wo die Experimente des in diesem erweiterten Sagbarkeitsfeld nicht mehr aus bürgerlicher Perspektive als „Gut und Wünschenswert“ gelten.
Beispiel: Adbusting
Was das konkret bedeutet, lässt sich im Kleinen an der medialen Rezeption einer Adbusting-Aktion aus dem Oktober 2015 zeigen. Damals hatten Kunst-Chaoten in Berlin versucht, mit verschiedenen veränderten Werbeplakaten auf das Mitte November am Reichstag stattfindende Gelöbnis hinzuweisen. Im Original-Posting ursprünglich auf Indymedia finden sich vier Bilder. Auf einem wird dem „Mars-Mensch“ Matt Damon „Hm, glauben die Militärs echt, dass sie mit Waffen Frieden schaffen können?“ Auf der Werbung eines Medizin-Anbieters wird eine abgebildete Fingergeste genutzt, um dem Plakat eine ironische Wendung zu geben: „So viele humane Hilfe macht das Militär“. Auf einer Auto-Werbung wird der Spruch „Zivile Jobs sind viel cooler als Militär und Waffenexport“. Das letzte Motiv trägt den Spruch: „Na klar wurde 1955 die Bundeswehr mit Nazi-Generälen gegründet“.
Künstlerische Auswahl?
In der Folge gehen drei der vier Motive viral durchs Netz. Hauptsächlich an Straßenkunst interessierte Blogs re-posten die Bilder und verweisen teilweise auch auf den die Aktion vermittelnden Text. Interessant für die obige Fragestellung ist dabei das nicht geteilte Motiv. Es ist das Bild, dass auf die Nazi-Generäle in der Bundeswehr hinweist. Der Unterschied dürfte deutlich auf der Hand liegen. Ein ironischer Slogan a la „So viel humane Hilfe leistet die Bundeswehr“ kritisiert nicht die Existenz eines Militärs an sich. Im Gegenteil. Es drückt den Wunsch aus, dass das Militär mehr humanitäre Hilfe leisten möge. Das ist gerade auch die Politik des Kriegsministeriums. Die Hilfsinitiativen für Geflüchtete können sich kaum retten vor Anfragen der Bundeswehr. Teilweise hat die Bundeswehr ganze Camps „eingenommen“. Und auch medial freut sich die gehobene Soldateska über den nicht vorhandenen Widerstand gegen den mit der Ausweitung der humanitären Hilfe größten Militäreinsatz in Inneren der Republik seit dem bestehen der Bundeswehr.
Integration ist alles?
Ähnliches ist es mit dem Spruch „Glauben die Militärs wirklich, mit Waffen Frieden schaffen zu können?“ Mit diesem Argument und dem Argument der Humanitären Hilfe soll auch die Militärmission der deutschen Flotte „gegen Schlepper“ im Mittelmeer ausgeweitet werden. Schließlich sieht sich das Militär als größte Friedensorganisation der Republik... Und auch der dritte Spruch „Zivile Arbeitsplätze sind viel cooler als in Militär und Rüstungsindustrie“ ist nicht wirklich radikal. Klar ist Apple gerade sexy-er als das Militär. Und grünen Kapitalismus, der das Innovationspotential hat, die weltweiten Ausbeutungsverhältnisse noch einmal eine oder zwei Generationen aufrecht zu erhalten, wünschen sich auch die, die oben in der ökonomischen Nahrungskette stehen. Hier zeigt sich die große Stärke des demokratischen Regimes. Es kann fast jede Art von Protest und Opposition integrieren und für die Stärkung von Herrschaft nutzbar machen.
Dahin treten, wo es weh tut
Einzig der vierte, fehlende, Spruch scheint unangenehm zu sein. Im Gegensatz zu den Obigen scheint er aus einer bürgerlichen Perspektive nicht als Kunst durchzugehen. Offenbar ist er nicht als „gesellschaftlich gut und wünschenswert“ konnotiert. Das deutsche BürgerInnentum hasst es, an seine tief verankerten Vorstellungen von der Ungleichheit von Menschen erinnert zu werden. Und deshalb mag man an die massenhafte Nazi-Vergangenheit des Gründungspersonals der bundesrepublikanischen Institutionen immer noch nicht wirklich gerne erinnert werden. Und wenn doch, dann bitte höchstens von sogenannten Historiker-Kommission, die man selber eingesetzt hat, und die dafür sorgen, dass die Ergebnis im gesellschaftlichen Sagbarkeitsfeld „Wissenschaft“ bleiben und nicht ins Feld „Politik“ waabern. Weil wo kämen wir sonst hin... Sie wissen schon...
Ist das Politik, oder kann das weg?
Aus den Beispielen lässt sich für eigene wirkungsvolle Aktionen viel lernen. Zum einen ist da der alte Marx. Auch wenn man seinem „Historischen Materialismus“ nicht folgen mag, könnte er politische Künstlerinnen oder AktionskünstlerInnen daran erinnern, dass das, was sie machen im „Überbau“ stattfindet. Und dass ihre „Kunst“ nur dann wirklich etwas bringt, wenn sie irgendwie in Politikformen eingebettet sind, die in den Unterbau, die ökonomische Basis gehen. Also Leuten konkret helfen, selber ihre Interessen zu vertreten. Oder unabhängiger von Arbeits- und Systemzwängen zu werden. Oder Herrschaft aushöhlen und den Zugriff von Herrschaft auf konkrete Individuen vermindern. Und ihre Politik immer weiter denken, wie das für noch mehr oder alle Menschen gelten kann. Und und und und was Menschen noch so alles einfallen mag, wenn sie über Marxsche Gedanken nachdenken.
Gezielt die Sagbarkeitsfelder überschreiten
Darüber hinaus zeigen die Beispiele vom Intendanten in Rostock und den Nachwuchs-Theater-Leuten, das sie es gerade dann schaffen, mit ihrer „Kunst“ öffentliches Interesse auf Probleme zu richten, wenn sie gezielt die Sagbarkeitsfelder der Kunst verlassen und ganz offen mit Kunst Politik machen. Die Reaktionen der „Barock-Untertanen“ zeigt ganz deutlich, dass sie diese Macht spüren und deshalb panisch werden, weil sie ihre eigene Macht bedroht sehen.
Integrierbarkeit vermeiden
Und aus dem Adbusting-Beispiel kann man lernen, wie Radikalität funktioniert. Wer widerständige Slogans in der Welt plazieren will, muss darauf achten, dass diese nicht ins System integriert werden können. Dieses Integrieren und Nutzbar machen von Opposition ist die größte Stärke des demokratischen Regimes. Diese gilt es bereits bei der Auswahl der Inhalte von Politik zu umgehen. Natürlich kann man bei einer radikalen Politik nicht mehr erwarten, dass bürgerliche Medien bereitwillig die eigenen Inhalte weiter transportieren, so wie sie es bei als gesellschaftlich als „gut“ und „wünschenswert“ gelesener Kunst-Kritik täten. Aber zum einen gibt es diskursive Wandel (dass die Forderung „refugees wellcome“ einmal ein Motto einer CDU-KanzlerIn werden würde, hätte auch im August 2015 noch niemand für möglich gehalten).
Unabhängig sein
Und darüber stellt sich für eine Aktionskunst die Frage, ob es überhaupt clever ist, sich Aktionsformate auszudenken, die auf den Good-Will der bürgerlichen Medien angewiesen sind. Vielleicht wäre es viel cleverer, von vorne rein Aktionen zu machen, die Menschen von Angesicht zu Angesicht ins Gespräch über Politik bringen. Zumal es sehr wahrscheinlich ist, dass die Medien in dem Fall ohnehin auf den Zug aufspringen, nun aber nur noch sehr schwer um die bereits gesetzten Inhalte drumherum kommen.
Mehr Infos:
Mehr Aktions-Analysen:
http://maqui.blogsport.eu/kommunikationsguerilla-analyse/
Das Besondere an demokratischer Herrschaft:
http://maqui.blogsport.eu/2015/09/07/das-besondere-an-demokratischer-herrschaft/
„Wo ist Behle?“ Eine Analyse über den Zustand autonomer Politik am Beginn des 2. Jahrtausends. Leider immer noch viel zu aktuell schlagen die AutorInnen einen Wechsel zu diskursiver wirkenden Kampagnenformen als bisher vor: