Bild: Historischer Moment: Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt verlässt den Wendlandhof in Lübeln nach seinem Besuch im April 1981 in Lüchow-Dannenberg. Die hiesigen Kommunalpolitiker lobte Schmidt in der Gorleben-Frage als "knorrig und standhaft"
gel Lübeln. Waren das noch angenehme Besuche: als man als Bundespolitiker in Lüchow-Dannenberg Gespräche mit Kommunalpolitikern führen konnte, ohne von Gorleben-Gegnern angegiftet zu werden. Im April 1981, vor fast 35 Jahren, tauchte unter größter Geheimhaltung plötzlich der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) in Gartow und Lübeln auf, um über Gorleben zu sprechen. SPD und CDU, damals die überwältigende Mehrheit in der Kreispolitik, waren damals wie der Kanzler stramm auf Atomkurs. Ein Heimspiel also für den Mann, der am Dienstag in Hamburg 96-jährig verstorben ist.
"Wat de Bur nich kennt"
"Der Kanzler kam heimlich nach Lübeln und Gartow", schlagzeilte die EJZ nach diesem Wochenendbesuch. Im Wendlandhof Lübeln war er am 4. April mit Kreispolitikern und Mitgliedern der Gorleben-Kommission zusammengetroffen, um über das atomare Entsorgungskonzept des Bundes zu sprechen. Womöglich der wichtigste Baustein dieses Konzeptes hatte mit Gorleben zu tun: Nach dem Aus für das Nukleare Entsorgungszentrum sollten immerhin noch ein Zwischen- und Endlager im Ostkreis entstehen. Lüchow-Dannenberg liefere einen "wichtigen Beitrag" im Rahmen dieses Konzeptes, stärkte Schmidt den Kommunalpolitikern den Rücken. Gegenüber der Presse meinte Schmidt nach dem Treffen: "Ich habe Spannungen wohl bemerkt. Sie werden zum größten Teil von außen hereingetragen, existieren aber auch im Kreis selbst."
Auch noch 1981 wollte Schmidt offenbar nicht wahrhaben, dass sich da etwas tut im politischen System, dass sich Teile seiner Partei und ihrer Wählerschaft aufmachten zu neuen, grünen Ufern. "Unruhe entsteht erst immer dann, wenn sich Menschen geistig mit etwas beschäftigen, was sie noch nicht kennen, etwa nach dem Motto: Wat de Bur nich kennt, dat frit he nich!", meinte der Kanzler im Gespräch mit Journalisten. Seine Wahrnehmung: Es habe beim Thema Gorleben bisher lediglich an rechtzeitigen Informationen gefehlt. Daher jetzt der Druck von der Straße.
Welch Wohltat für den Kanzler dann offenbar der Blick auf die linientreuen DAN-Kohorten einer großen Gorleben-Koalition. Die Kommunalpolitiker hätten einen "knorrigen und standhaften" Eindruck auf ihn gemacht, sagte Schmidt - und man darf unterstellen, dass es ein Lob sein sollte. "Die lassen sich nicht so schnell aus dem Anzug pusten." "Schmidt-Schnauze" bekam ein NDR-Reporter bei einer kritischen Nachfrage zu spüren: "Sie gingen noch zur Schule, als ich schon an Naturschutz dachte", belehrte er den Journalisten.
Einen Bonbon hatte der Kanzler auch mitgebracht: Die Hauptsorge der Lüchow-Dannenberger sei, dass die Ertragskraft der Region gehoben werden müsse, erfuhr Helmut Schmidt. Der Bund werde das Seine dazu tun und "auf jeden Fall" eine Pilotanlage für die Herstellung von Äthanol in dem Zonengrenzkreis bauen. Aus diesem Projekt wurde auf jeden Fall: nichts.
Die Gruppen und Menschen, die zehn Jahre später für einen politischen Wechsel in der Kreispolitik sorgen sollten, waren noch auf der Straße. Sie ließ der Kanzler links liegen. Die Bürgerinitiative Umweltschutz (BI) kritisierte: Schmidt habe "offensichtlich die Auseinandersetzung mit anderen gesellschaftlichen Gruppen als der aus Politikern und Behördenvertretern bestehenden Gorleben-Kommission gescheut".
Die BI bedauerte, dass es weder Gespräche mit dem Landvolk, noch mit der Bäuerlichen Notgemeinschaft, noch mit der BI gegeben habe. Die "Bürgernähe" des Kanzlers erinnere an den Obrigkeitsstaat.