„Manneszucht“ in Leipzig

Die LEGIDA-Demonstrationen in Leipzig wurden massiv von rechten Hooligans unterstützt. Am Rande kam es immer wieder zu Angriffen auf Pressevertreter_innen und Protestierende. (Foto: Björn Kietzmann)

Ein Beitrag des Antifa-Komitee Leipzig Die PEGIDA-Bewegung ging von Anbeginn einher mit Aufschwung und Politisierung des „Hooliganismus“. Besonders handgreiflich ist das in Leipzig zu sehen. „Schiebt sie weg, los!“ Dieses Kommando setzte den zweiten extrem rechten LEGIDA-Aufmarsch am 21. Januar 2015 in Bewegung. Die teils vollvermummte Spitze des 5.000 Personen starken Pulks verstand sofort und attackierte meh­rere JournalistInnen. Das würde sich an diesem Abend in Leipzig noch mehrfach wiederholen, begleitet von „Ahu!“-Rufen und Beamten, die nicht eingreifen.

 

Die Polizei, mit sagenhaften 44 Hundertschaften angerückt, sprach hinterher von einem „weitgehend friedlichen Verlauf“ und davon, keine Angriffe bemerkt zu haben. Sachsens Innenministerium will später doch rund 120 Fußballanhänger ausgemacht haben, inklusive 20 „Kategorie C“-Fans. In einer internen Lageanalyse der Polizeidirektion Leipzig wurde dagegen vermerkt, dass sich dem rechten Aufzug „mindestens 1000 gewaltbereite Personen“ angeschlossen hatten, darunter bemer­kens­wert viele Hooligans.

 

Sie waren an LEGIDA, der stärksten Demonstrationsserie dieser Art außerhalb Dresdens (siehe AIB Nr. 106), von Anbeginn beteiligt. Den ersten Fuß in der Tür hatte „Scenario“, eine berüchtigte Truppe im Umfeld des 1. FC Lokomotive. Der Fußballverein aus dem Stadtteil Probstheida steht für failed soccer, er kam seit Ende der 1990er nicht über die vierte Liga hinaus. Deutlich länger stehen Teile der Fanszene in einem dubiosen Ruch: Er umgab ein Fanprojekt, in dem Neonazis aus- und eingingen; Transparente mit der Aufschrift „Lok-Fans gegen links“; und ebenso gestrickte Anhänger, die zu einem menschlichen Hakenkreuz Aufstellung nahmen, sich in einem NPD-Büro trafen oder zarte Triebe einer bunten Ultra-Kurve mit Gewalt unterbanden. Vorerst letzter Spross dieser ausgeprägten Fankultur ist „Scenario“, eine nach amtlicher Einschätzung rechtsextreme Vereinigung. Zum harten Kern gehören 50 bis 70 Personen. Vor gut einem Jahr wollen sie ihre Gruppe, die fast ein Jahrzehnt gewachsen war, aufgelöst haben.

 

Aber dann kam, wie gesagt, LEGIDA. „Für jeden sollte Teilnahme Pflicht sein“, hieß es kurz vor dem ersten Marsch am 12. Januar in einem Aufruf, der in der Fanszene kursierte und zu einem eigenen Vorabtreffpunkt in der City mobilisieren sollte. Dort erschienen dann mehr Leute, als „Scenario“ je vereinte — bis zu 300 sollen es gewesen sein. Anstelle von Vereinsfarben wurden vielfach HoGeSa-Klamotten aufgetragen. Die Polizei ließ das unangemeldete Treffen gewähren. Bei der zweiten Gelegenheit wurde die lange Leine zum Nachteil der geschmähten „Lügenpresse“ ausgenutzt. Und beim dritten LEGIDA-Marsch am 30. Januar stellten die Hooligans durch Unterstützung (etwa aus Dresden und Halle) bereits knapp ein Viertel der 1.500 Teilnehmenden. Die rechte Fan- und die von ihr kaum trennbare örtliche Neonaziszene rissen eine Schwungmasse mit, die man nach Jahren der Stagnation schon ab­ge­schrieben glaubte. Unverhofft sind „die Hools“ wieder ein Faktor geworden.

 

Plattform und Schwungmasse

 

Eine Reihe von Protagonisten der Pegida-Bewegung in verschiedenen Orten ist bekanntermaßen in ganz verschiedenen Sportszenen verankert. So auch in Leipzig, wo Silvio Rösler (51) zu den anfänglichen Köpfen von LEGIDA zählte. Rösler ist zwar kein Hooligan, hing zuletzt aber der Fanszene der SG Leipzig-Leutzsch (SGLL) an. Es handelte sich um einen schon wieder aufgelösten Nachfolgeverein des FC Sachsen Leipzig, dem geradezu historischen Lokalrivalen von Lok, beheimatet im Stadtteil Leutzsch. Doch die SGLL war auch Konkurrenz für eine andere Leutzscher Ausgründung, die BSG Chemie, deren Fans sich gegen Diskriminierung wenden. Für Außenstehende ist das verwirrend, aber die politischen Koordinaten sind klar: Im Umfeld der SGLL sammelten sich einschlägige Fangruppen („Metastasen“, „Leutzscher Kameraden“), die sich etwa bei einem Spiel gegen den Roten Stern Leipzig im September 2011 zu „U-Bahn-Lied“ und Hitlergrüßen hinreißen ließen. Den Thüringer Neonazi Thomas „Ace“ Gerlach (siehe AIB Nr. 99) kennt Rösler aus dem SGLL-Umfeld.

 

Dass es im fußballerischen Sinne nicht mehr existiert, begünstigt einen ungewöhnlichen Brückenschlag: Neben Rösler zählt auch Marco P. (41) zu den frühen LEGIDA-Aktivisten — der gehört jedoch zu Lok. Und er kennt die Leute von „Scenario“. P., der seinen Rückzug aus dem „Orgateam“ er­klärte, gleich nachdem sein Name bekannt geworden war, kümmerte sich fortan um den LEGIDA-eigenen Ordnerdienst. Presse­aufnahmen belegen, dass einige derer, die auf Medienvertreter_innen losgingen, neben HoGeSa-Merchandise auch Ordnerbinden übergestreift hatten. Noch vor dem ersten Marsch hatte P. in HoGeSa-Kreisen ge­drängt, nach Leipzig zu kommen. Zur Fußballszene haben weitere Legida-Unterstützer Kontakt, etwa der Torgauer Michael C. (31), der hinter den Kulissen einen eingetragenen Verein mit hochziehen will. Ziel ist der „Aufbau eines starken europäischen Kulturbewusstseins“.

 

LEGIDA ist nicht nur Gelegenheitsstruktur und Plattform für Hooligans. Sondern die Organisatoren wissen umgekehrt um die Bedeutung der ruppigeren, vor allem aber mobilisierungsstarken Fußtruppen und umgarnen sie von der Bühne aus. So etwa ein bei mehreren GIDA-Ablegern erprobter Redner und Carl-Schmitt-Rezitator, der sich „Friedrich Fröbel“ nennt. Ende Januar sagte er in Leipzig: „Die ersten, die für den Erhalt unserer Freiheit und Demokratie auf die Straße gegangen sind, waren nicht die Gründer von PEGIDA, sondern die Hooligans!“ Sie müssten nun das „Volk vor der Antifa“ schützen, vielleicht gar die Polizei ersetzen. Der unnachahmlich überdrehte Fröbel rief zur „Manneszucht“ wie dereinst bei den Lützower Jägern. Ein späterer Redner, „Graziani aus Berlin“, wiederholte das nochmal in leichter Sprache: Jeder hier sei eine „Ein-Mann-Armee“. Hooligans gelten offenbar als konkrete Kombattanten in dem Bürgerkriegsszenario, das sich die PEGIDA-Bewegung von der Neuen Rechten entliehen hat und sich mit eigenen Mitteln ausmalt.

 

Unterschätzter Hool-Habitus

 

Bis Anfang September gab es 17 LEGIDA-Versammlungen in Leipzig, inklusive einer verbotenen. Bei jeder dieser Gelegenheiten waren Hooligans mit von der Partie — oder jedenfalls solche, die sich so aufführen. Spätestens seit HoGeSa erfuhr das Label eine massive Aufwertung und Umdeutung, vom Schläger im Namen eines Vereins zum legitimen Schutzmann „des Volkes“.

 

Der Schläger lässt sich nicht nur ge­danklich gegen alles wenden, wogegen die PEGIDA-Bewegung antritt: „Lügenpresse“, „Volksverräter“, „Islamisierung“, freilich auch AntifaschistInnen. Sondern er vollzieht diese Wendung wirklich, in einem ganz handgreiflichen Sinne.

 

Die Probe aufs Exempel war der HoGeSa-Marsch in Köln, der als kollektives Erfolgs­erlebnis wahrgenommen wurde und die spätere PEGIDA-Frontfrau und Bürgermeisterkandidatin in Dresden, Tatjana Festerling, zu einer historisch inakkuraten Eloge in der nationalkonservativen Schweizer Weltwoche bewegte: „1989 waren es Hooligans des 1. FC Lokomotive Leipzig, die DDR-Bürger bei den dortigen Montagsdemonstrationen vor Zugriffen durch die Stasi schützten. Nun sind am 26. Oktober in Köln rund 5000 ‚Hooligans ­gegen Salafisten’ auf die Straße ­gegangen — und ich habe vor ihnen den Hut ­gezogen.“ Das seien kurz gesagt „Typen, die sich trauen“; man will hinzusetzen: irgendetwas zwischen Gewaltstraftat und Volksaufstand. Das ist zwar eine Fehleinschätzung der Hooliganszene, aber sie entspricht den aggressiven Großzielen der nationalistischen Bewegung, dem patriotischen Kulturkampf ums „Abendland“. Mit „den Hools“ setzt die PEGIDA-Bewegung auf einen Faktor, der ein fertiges, popkulturell befestigtes Identifikationsmo­dell bie­tet — man denke an den Schlachtruf „Ahu“ aus dem Kino-Gewaltstreifen „300“.

 

Gerade die Situation in Sachsen zeigt, wie gut es angenommen wird. Den Einschät­zungen von Fachjournalisten wie Christoph Ruf und Olaf Sundermeyer zufolge, aber auch nach Zählungen der Polizei, gab es zumindest fünf PEGIDA- und LEGIDA-Versammlungen, bei denen politisierte Kategorie-B- und C-Fans weit zahlreicher in Erscheinung traten, als es rechnerisch möglich erscheint. Denn nach offizieller Zählung gibt es im ganzen Freistaat rund 1.400 gewaltbereite und gewalttätige Fußballfans. Knapp ein Fünftel davon, das sind 275, gilt als „rechtsextrem“. Im Winter 2014/15, auf dem Höhepunkt der Mobilisierungen, war das aber eher die Unterkante dessen, was sich in Dresden und dann auch Leipzig einreihte. Eine Ursache ist, dass sich weit mehr Leute als Hooligans verstehen, als tatsächlich in diese durchgerasterte Szene ge­hören. Eine andere Ursache kann sein, dass die Schnittmenge mit der rechten Szene größer ist als angenommen. Sachsens Innenminis­terium löst das Problem auf seine Weise — und unterbietet bei der Frage nach Hooligans bei den GIDA-Demos zuverlässig alle anderen Schätzungen.

 

Langfristige Entwicklung

 

Mehr als ein halbes Jahr nachdem LEGIDA begann, handelt es sich noch immer um die größte PEGIDA-Imitation. Aber die Auf­merk­samkeit hat nachgelassen, auch das Interesse unter den eigenen, zum Teil wie­der zerstrittenen Leuten. Zuletzt reihten sich Hooligans nicht mehr zahlreich in den Demonstrationszug ein, sondern setzten sich in nahe gelegene Cafés oder trafen sich vor einem stadtbekannten Rotlichtladen, um sich an vorüberziehenden Linken abzu­reagieren. Das funktioniert regelmäßig, auch weil die Polizei noch immer so wenig mitbekommen will, wie zu Beginn. Aber es funktioniert eben nur noch auf einem bescheideneren Niveau und nutzt LEGIDA nichts. Bekannte „Scenario“-Köpfe liefen zum letzten Mal am 20. April 2015 mit, übrigens im Beisein des Szeneunternehmers Thomas Persdorf. Persdorfs sinniges Erkennungszeichen: eine Mütze mit der Aufschrift „LOK“.

 

An diesem Tag hielt der Leutzscher Silvio Rösler die Abschlussrede und wies die Anwe­senden darauf hin, dass heute die Probst­heidaer „Sportfreunde von Lok Leipzig“ einen „freiwilligen Begleitschutz“ für den Nachhauseweg böten. Der Verein verwahrte sich gegen diese Vereinnahmung und leitete rechtliche Schritte ein. Bereits Ende vergange­nen Jahres hatte sich der Verein angesichts des Demonstrationsgeschehens unter der Überschrift „Klare Kante gegen Rassismus“ gegen „rechtspopulistische Pa­ro­len“ ausgesprochen und sogar Stadionverbote angedroht. Das war eine unerwartet deutliche Positionierung des Vereins. Allerdings auch eine gnadenlos verspätete: Ein extrem rechtes Fanumfeld existierte in Leipzig bereits zu DDR-Zeiten. Nach der Wende beförderte es die Entstehung einer „Fascho-Hool“-Mischszene mit vielfältigen Wechselwirkungen, beachtenswerter Kontinuität und erheblicher Politisierungskraft: Mal kamen Köpfe des örtlichen Neonazi­spektrums aus dem Lok-lastigen Kampf­sport- und Hoolspektrum, mal zogen sie sich dorthin zurück. (Siehe AIB Nr. 89 und Nr. 97)

 

In den vergangenen Jahren haben ent­sprechende Gruppierungen mit braunem Spielbein wie die „Blue Caps LE“ oder auch „Scenario“ den aktionistischen Bereich der Szene zunehmend dominiert, im gleichen Maß sank auch die Bindung an den Aktions­ort Stadion. Bereits bei den Schneeberger „Lichtelläufen“ Ende 2013 zeigte sich, dass ein fußballaffines Spektrum in Sachsen verstärkt unter politischem Vorzeichen auf die Straße drängt. Wie groß die Nachfrage tatsächlich ist, machte HoGeSa klar. In einem internen Kommunikationsforum debattier­ten kurz vor der Eskalation in Köln mehrere hundert ostdeutsche UnterstützerInnen über neue Aktionen. Viele gaben sich als „Sportfreunde“ von Lok Leipzig zu erkennen.

 


 

Der Artikel ist mit freundlicher Erlaubnis der Redaktion aus der aktuellen Ausgabe des Antifa-Infoblatt (Nr. 108, Herbst 2015) übernommen. Schwerpunktthema diesmal: Aufstand der Wutbürger. Ein Abo lohnt sich!

Das Heft ist ab sofort in Info- und linken Buchläden erhältlich, zum Beispiel im el libro. Mehr lohnenswerte Lektüre gibts im Roten Kiosk.