"Der Schlange den Kopf abschlagen" - Merkel als Feindbild: Das sind die möglichen Nazi-Kontakte des Köln-Attentäters

Angie aka Angela Merkel
Erstveröffentlicht: 
19.10.2015

In der Flüchtlingskrise macht die Neo-Nazi-Szene zunehmend mobil, im Netz kursieren Videos von Wehrsportübungen mit Messerattacken, die zum Hals gehen – ähnlich dem Angriff am Samstag auf das kommende Stadtoberhaupt Kölns, Henriette Reker. Die Polizei prüft nun Zusammenhänge.

 

Viele würden ihn für einen Verdienstorden vorschlagen. Ein Bundespolizist verhinderte am Samstagmorgen durch seinen beherzten Einsatz offenbar den Mord an Henriette Reker, der künftigen Oberbürgermeisterin von Köln. Mit einem Schirm hatte er den Attentäter Frank S. von seinem schwerverletztem Opfer abgedrängt.

 

Schließlich gab der Messerstecher auf und ließ sich durch alarmierte Polizeibeamte abführen. Im Streifenwagen bekundete er seine fremdenfeindlichen Motive.

Offen wetterte der Rechtsextremist gegen Reker, die als Sozialdezernentin das Flüchtlingsproblem in der Domstadt managte und gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). „Ich habe es doch für euch alle getan“, stammelte der arbeitslose Handwerker.

 

Innenminister de Maiziere lobt Helden von Köln

Obschon selbst Bundesinnenminister Thomas de Maizière den Einsatz des Kommissars der Bundespolizei öffentlich lobte, blieb der Held von Köln äußerst bescheiden. Im Gespräch mit seinen Vorgesetzten sagte er nach FOCUS-Online-Informationen: „Ich habe nur das getan, was ich in meinem Job gelernt habe.“

Der Beamte gehört zur Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Bundespolizei in Sankt Augustin, die oft genug bei Demos oder bei Risikospielen in der Fußball-Bundesliga eingesetzt wird.

 

Kölner Attentat als Beleg für rechtsextreme Aktivität

Der Anschlag in Köln ist nach Ansicht der Sicherheitsbehörden ein Beleg dafür, dass die rechtsextreme Szene in der Flüchtlingsdebatte massiv mobil macht. Im Netz kursieren Videos und Fotos von Wehrsportübungen nordrhein-westfälischer Radikaler.

Die Bilder haben es in sich: Immer wieder fährt da etwa ein Messer zur Kehle, immer wieder wehrt das vermeintliche Opfer die Attacke mit einer gezielten Technik ab. Die Angreiferin gibt Melanie Dittmer, eine Rechtsextremistin aus Bornheim nahe Bonn. Gezielt sucht sie den Hals ihres Gegenübers. So wie offenbar auch der Attentäter von Köln.

 

Ermittler prüfen Bilder von bewaffneten Rechtsextremisten

Die Clips vom bewaffneten Nahkampf stammen aus dem Frühjahr 2015: Die Aufnahmen werden von den Kölner Ermittlern überprüft. Ein Zusammenhang zu dem Messerattentat auf die Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker sei bislang jedoch nicht erkennbar, sagte ein Ermittler dem Kölner Stadtanzeiger.

Melanie Dittmer gibt die Frontfrau des anti-islamischen Düsseldorfer Pegida-Ablegers „Dügida“ und trat auch als Organisatorin von Kögida in Köln auf. Ihr Hass auf die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung mündete nach FOCUS-Online-Informationen kürzlich in einem schaurigen Auftritt bei einer ultranationalen Kundgebung in Frankreich: „Merkel ist die Schlange Europas, und sie spuckt ihr Gift auf ganz Europa. Es wird Zeit, ihr den Kopf abzuschlagen.“

 

Nazi-Organisatorin Dittmer ruft Nationalisten nach Köln

Überdies postet die Agitatorin martialische Bilder von Schießübungen. In einem weiteren Video ruft die frankophile Extremistin unter dem Logo „Autonome Nationalisten“ die rechte Szene dazu auf, große Präsenz am 25. Oktober auf der zweiten Demo in Köln unter dem Motto „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) zu zeigen.

Vor einem Jahr verwandelten etwa 4500 Randalierer die Gegend rund um den Kölner Hauptbahnhof in ein Schlachtfeld. Wenn man sich den Clip über Kampftrainees verquickt mit dem Demoaufruf bis hinein in die französischen braunen Milieus anschaut, dann wird klar, warum die Kölner Polizei dieses Mal ihr Aufgebot noch einmal beträchtlich hochschrauben wird.

 

Dittmer und S. waren in den 90er Jahren in rechtsextremer Partei aktiv

Die Bilder der Wehrsportübungen erinnern fatal an die Attacke des 44-jährigen Rechtsradikalen Frank S. auf die OB-Kandidatin Reker und vier weitere Menschen.

Wie der arbeitslose Maler und Lackierer auch war Melanie Dittmer im Rheinland als junge Frau Mitte der 90er Jahre in der einer Nachfolgeorganisation der inzwischen verbotenen rechtsextremen Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP) aktiv.

Später dann führte ihre Karriere in der braunen Szene über den nordrhein-westfälischen Landesvorstand der rechten Nachwuchsorganisation „Junge Nationaldemokraten" (JN). Außerdem wirkte Dittmer redaktionell in den Neonazi-Postillen „Ruhrstürmer" und „Schwarze Fahne" mit. Später dann aber veränderte sie sich und gab sich nach außen hin gemäßigt. Die üble Anti-Merkel-Hetze lässt allerdings anderes vermuten.

 

Dittmer beteuert, Frank S. nicht zu kennen

Zumindest beteuert die 36-jährige Bornheimerin im Gespräch mit dem "Kölner Stadtanzeiger" den Attentäter auf die OB-Kandidatin nicht zu kennen. Bei den Messerübungen handele es sich um das Lernen von Abwehrtechniken. „Bei unseren Seminaren bilden wir keine zukünftigen Attentäter aus“, sagte Dittmer, die den Anschlag auf Henriette Reker verurteilte, Mit rechten Gewalttätern habe sie nichts zu tun.

Fakt ist, dass die Sicherheitsbehörden nach dem Anschlag in Köln intern vor weiteren Gewaltexzessen gegen Entscheidungsträger im Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik warnen: „Die Gefahr vor Nachahmungstätern ist groß“, sagte ein hoher Staatsschützer gegenüber FOCUS Online. Die Stimmung in der braunen Szene koche bedenklich hoch.

 

Frank S. gab Fremdenhass als Grund für Attentat an

Nicht zuletzt hatte der Attentäter Frank S. in seiner Vernehmung simple Stammtisch-Parolen als Motiv für seine Tat angegeben: Ob-Kandidatin Reker und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) „fluten uns mit Ausländern und Flüchtlingen“, gab er zu Protokoll.

Der Mann, der laut der Kölner Kripo ein unbeschriebenes Blatt sein soll, tauchte in der Vergangenheit immer wieder in der rechten Szene auf. 1992 soll Frank S. wegen eines Brandanschlags auf ein Flüchtlingsheim in Boizenburg nahe Schwerin zu einer Jugendstrafe verurteilt worden sein.

Ende der 90er Jahre,  so die Kölner Staatsanwaltschaft, saß Frank S. in der Justizvollzugsanstalt Rheinbach ein. Danach verliert sich seine Spur. Bis er wieder in Köln auftaucht. Er lebte in einem schön hergerichteten Altbau im Kölner Stadtteil Nippes im Erdgeschoss.

Die Ermittler trugen gestern Nachmittag Tüten mit Datenträgern und zwei PCs aus seiner Wohnung. Ein psychiatrischer Gutachter erklärte den Attentäter inzwischen für voll schuldfähig. Er sitzt nun wegen Mordversuchs und viermaliger schwerer Körperverletzung in Untersuchungshaft.

 

Reker gewinnt Kölner OB-Wahl

Am Abend entschied sich: Henriette Reker, die Kandidatin der Kölner Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP, wird in den nächsten Jahren die Geschicke der viertgrößten Stadt Deutschlands führen. Trotz des Anschlags und aller erlittenen traumatischen Erlebnisse.

Körperlich, so die Ärzte, werde sie wohl wieder ganz genesen. Wie es in ihrer Seele aussieht, wird man wohl nie ganz erfahren.