Am heutigen Mittwoch, den 14 Oktober fand vor dem Villinger Amtsgericht ein Verfahren gegen einen Antifaschisten statt. Ihm wurde vorgeworfen bei dem Pegida-Aufmarsch in Villingen am 19. April versucht zu haben, einen Polizisten zu treten. Die Anklage lautete demnach auf „versuchte Körperverletzung“.
Schon vor dem angesetzten Prozesstermin um 11 Uhr trafen sich etwa ein Dutzend AntifaschistInnen vor dem Amtsgericht. Die Polizei war ebenfalls mit einem Aufgebot von fast 20 Beamten vor Ort.
Das Verfahren begann mit einiger Verzögerung. Angesichts des Andrangs von solidarischen AntifaschistInnen und Pressevertretern, musste im Gerichtssaal nachbestuhlt werden. Der Prozess begann mit der Verlesung der knappen Anklageschrift.
Konkret, so die Version der Staatsanwaltschaft, soll der Antifaschist auf einem Hamburger Gitter gestanden haben, von einem Polizisten hinunter gestoßen worden sein und dann versucht haben diesen im Zurückstolpern irgendwie zu treten. Bei dem Versuch soll es deshalb geblieben sein, weil er von Mitdemonstranten „zurückgezogen“ wurde.
Da der angeklagte Antifaschist keinerlei Angaben machte, ging es direkt mit der Anhörung der beiden Zeugen weiter, Polizisten der Einsatzhunderschaft Göppingen.
Diese machten einen sehr unsicheren Eindruck. Der erste, der die Situation aus größerer Distanz von hinter dem Absperrgitter beobachtet haben will, konnte allenfalls ungefähre Angaben machen und widersprach sich mehrmals. Betonte dabei aber immer wieder, dass der angeklagte Antifaschist ganz sicher versucht haben soll, seinen Kollegen zu treten.
Der Zweite Zeuge, der angebliche Geschädigte, gab ein kaum besseres Bild ab. Auf Nachfrage der Verteidigung konnte auch er die Situation nur mit reichlicher Unsicherheit wiedergeben.
Gleich nach der Entlassung des zweiten Zeugen, zielte der Richter mit der Aussage, normalerweise würden solche Verfahren nicht vor Gericht kommen, auf eine Einstellung des Verfahrens ab. Lediglich weil es hier um eine Demonstration und einen vermeintlich geschädigten Polizisten ginge, sei das in diesem Falle so.
Daraufhin machte die Staatsanwaltschaft das Angebot, das Verfahren gegen die Zahlung von 750 Euro, also der Hälfte des im Strafbefehl veranschlagten Betrags, einzustellen.
Nachdem sich der angeklagte Antifaschist und der Verteidiger beraten hatten, stimmten sie der Einstellung zu.
Danach, verlas der Antifaschist noch eine politische Erklärung über die Gefahr, die von Pegida ausgeht und die Notwendigkeit des Widerstands dagegen. Diese ist unten stehend dokumentiert. Dabei ließ es sich der Staatsanwalt nicht nehmen, dem Antifaschisten nach dem ersten Satz ins Wort zu fallen und den Richter aufzufordern das Verlesen der Erklärung zu untersagen, was dieser jedoch abwiegelte.
Das Verfahren zeigte einmal mehr den Verfolgungseifer gegen antifaschistisch Aktive, den die staatlichen Repressionsbehörden immer wieder an den Tag legen. Obwohl neben widersprüchlicher Zeugenaussagen keine anderen „Beweise“ vorlagen, bestand die Staatsanwaltschaft bis zum Ende darauf, dass der Antifaschist schuldig sei.
Getroffen hat es einen, gemeint sind wir alle.
Wir werden uns nicht einschüchtern lassen.
Am nächsten Sonntag wieder auf die Straße gegen Pegida: 14 Uhr | Villingen | Latschariplatz
Offenes Antifaschistisches Treffes Villingen-Schwenningen
Komm vorbei: Offenes Treffen jeden ersten Mittwoch ab 19 Uhr im Monat im Linken Zentrum Mathilde Müller (Jahnstraße Ecke Karlstraße, VS-Schwenningen)
Website | facebook.com/OAT-Villingen-Schwenningen-1608757609364696/timeline/
Prozesserklärung des angeklagten Antifaschisten:
Am 19. April fand der sechste Pegida-Aufmarsch in Villingen statt. Wie schon die fünf Male davor und inzwischen auch drei Mal danach, traf sich auf dem Münsterplatz eine brandgefährliche Mischung. Aus der ganzen Region reisten auch an jenem Tag ganz gewöhnlichen Rassisten und organisierten Faschisten an. Eifrige Leser von Internetrassistenblogs standen dort neben verrohten Angehörigen der Mittelschicht und offensichtlichen Nazis aus Reihen der NPD, Kameradschaften und anderen faschistischen Kleinstparteien.
Damit stehen die Villinger Aufmärsche, organisiert von einer Gruppe die sich wahlweise SBH-Gida oder Pegida Dreiländereck nennt, exemplarisch für die sogenannte Pegida-Bewegung.
Dass es seit dem Aufkommen von Pegida vor etwa einem Jahr zu einem massiven Anstieg von Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime kam, ist kein Zufall. Die Akzeptanz gegenüber offener faschistischer Ideologie und Gewalttaten ist bei jenen, die sich an diesen Aufmärschen beteiligen natürlich hoch. Stehen sie doch immer wieder Seite an Seite mit Nazis auf ihren Kundgebungen, also jenen, die unverhohlen zu solchen Taten aufrufen. Diese fühlen sich wiederum dann bestärkt ernst zu machen, wenn sie wissen, sie können derartige Taten vermitteln und dafür noch Zuspruch ernten.
Immer wieder muss man sich in Erinnerung rufen – und die aktuelle Situation in Deutschland beweist das einmal mehr – dass es sich bei Nazis keineswegs um einige wenige Verrückte oder Ewiggestrige handelt. Wir haben es vielmehr mit einer Bewegung zu tun, die keineswegs so isoliert ist, wie man es sich wünschen würde und die zudem eine extrem brutale, äußerst menschenverachtende und zutiefst reaktionäre Ideologie pflegt. Wie sehr Faschisten von Pegida profitieren, zeigt sich gerade auch in Villingen. Waren deren Umtriebe bis vor einiger Zeit noch auf NPD-Stammtische und kleinere Kameradschaftsaktionen beschränkt, zogen vor wenigen Wochen 14 Nazis vor die Flüchtlingsunterkunft in der Kirnacher Straße. Auch ansonsten gab es im letzten halben Jahr immer wieder faschistische Konzerte, Veranstaltungen und Kundgebungen in der Gegend. Wenn es hiergegen keinen Widerstand gibt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Doppelstadt ein massives Nazi-Problem hat.
Die Ressentiments, die Pegida verbreitet, sind deckungsgleich, mit jenen die die Faschisten für ihre Hetze benutzen. Die Rhetorik gegen Geflüchtete und Linke sowie die Propagierung von Verschwörungstheorien unterscheiden sich – wenn überhaupt – nur in Nuancen und Wortwahl. Hier werden Sündenböcke gesucht. Zum Teil für reale Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut und Sozialabbau. Zum Teil werden auch absurde Ängste geschürt, etwa vor Überfremdung oder – besonders skurril – einem irgendwie organisierten, schleichendem Völkermord an "den Deutschen". Die Schuldzuweisung für allerlei solche Probleme und Ängste, geht einher mit einer vermeintlichen Rebellion gegen das Establishment.
Doch dahinter verbirgt sich keineswegs etwas revolutionäres. Im Gegenteil: Der Grund, für Arbeitslosigkeit, Armut und Sozialabbau liegt im kapitalistischen System. Pegida, Nazis und Rechtspopulisten verschleiern das und stellen dieses System in keinster Weise ernsthaft in Frage.
Sie spalten jene, die tatsächlich in der Lage wären das zu ändern und die tatsächlichen Probleme an ihrer Wurzel zu packen, nämlich die arbeitende Klasse. Es ist egal, welcher Abstammung wir sind, welchem Geschlecht wir angehören oder welche Hautfarbe wir haben. Wir müssen zusammenhalten und uns organisieren. Wir müssen solidarisch sein, füreinander einstehen, miteinander kämpfen für eine solidarische Gesellschaft ohne Ausgrenzung, Ausbeutung und Unterdrückung. Wenn Pegida und Konsorten wieder Stimmung gegen Migrantinnen und Migranten machen, ist es deshalb unsere Pflicht, uns dem entgegen zu stellen.
Dabei ist auf keinen Staat verlass, dem diese Ideologie selbst nicht ganz so fremd ist. Der existierende institutionelle Rassismus etwa in Form von Abschiebungen, Abschottung und schikanösen Gesetzen für Flüchtlinge, ist etwas, das sich lediglich in der Qualität von dem unterscheidet, was sich so manch ein Pegida-Gänger wünscht. Ganz abgesehen davon, dass das schon in den 90ern massiv beschnittene "Grundrecht" auf Asyl immer weiter geschleift wird.
Auch die bekanntgewordenen staatlichen Verstrickungen in faschistische Strukturen zeigen, dass es keine gute Idee ist, das Vorgehen gegen Rechts diesem Staat zu überlassen. Zu nennen etwa die Verstrickungen von Verfassungsschutzämtern in den NSU oder – fast vergessen – die Anfang der 2000er verfassungsgerichtlich verbriefte "mangelnde Staatsferne" der Nazipartei NPD. Die Aufzählung könnte noch fortgeführt werden.
Vielmehr wird sich darauf konzentriert, Menschen die sich gegen Rechts und für eine solidarische Gesellschaft einsetzen zu verfolgen. Das rechte Auge kneift man indessen allzu gerne sehr fest zu.
Und ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin.
Und auch diesen Sonntag, werde ich damit nicht alleine sein und mich bei dem nächsten Pegida-Aufmarsch in Villingen wieder mit zahlreichen anderen den Faschisten und Rassisten entschlossen entgegenstellen.