Bericht von der Güteverhandlung am 28.08.2015 vor dem Arbeitsgericht Berlin.
Ein Beschäftigter des Besucherservices im Botanischen Garten Berlin, dessen Monatslohn derzeit bei 1297 Euro brutto liegt, klagte am 28.08.2015 vor dem Arbeitsgericht in Berlin. Ihm und 27 weiteren Kolleginnen und Kollegen wird seit März 2010 ein tariflich zugesicherter Überstundenzuschlag von 20 Prozent vorenthalten. Gleichzeitig ordnen die Verantwortlichen der Betriebsgesellschaft, eine 100prozentige Tochter der Freien Universität Berlin, Überstunden in erheblichem Umfang an und verfügen so über die Freizeit der Beschäftigten nach Gutsherrenart.
Die Berliner Initiative gegen Arbeitsunrecht und ver.di riefen zur Solidarität mit dem Familienvater, vertreten durch die Kanzlei Hopmann & Niemerg *, bei der Güteverhandlung am Arbeitsgericht Berlin auf und mobilisierten knapp 20 Unterstützer/innen verschiedener Gruppen. Der Gerichtssaal war bis auf den letzten Platz mit Menschen gefüllt, die ihren Unmut mit Schildern, “Botanischer Garten – Lohndumping unter Palmen”-Bannern und im botanischen Sinne mit Palmenblättern zum Ausdruck brachten.
Die vier Geschäftsführer der mittelständischen Betriebsgesellschaft waren zeitlich verhindert, so dass sich deren Rechtsanwalt Wolf J. Reuter in der etwas unbehaglichen Situation wiederfand, die sozial schwer verdaulichen Verstöße seiner Mandantin, selbst zu rechtfertigen. Eine aufgrund der eindeutig im Tarifvertrag formulierten Überstundenzuschlagsregelung keine leichte Aufgabe, jedoch durchaus angemessen, denn seine Kanzlei "Beiten Burkhardt" wirbt auf ihrer Webseite mit dem Slogan "Kompetenz zählt, Individualität gewinnt".
Auf der Webseite heisst es weiter, RA Reuter verfüge über umfangreiche Erfahrung in tarifpolitischen Auseinandersetzungen und in Fallgestaltungen, in denen sich Arbeitsrecht und gewerblicher Rechtsschutz berühren, etwa bei rechtswidrigem Wettbewerb gegen den eigenen Arbeitgeber in- und außerhalb vertraglicher Wettbewerbsverbote.
Bei der umissverständlich formulierten Überstundenzuschlagsregelung des nun seit sechs Jahren geltenden Rahmentarifvertrags im Botanischen Garten Berlin und dessen rechtswidriger Anwendung durch die Leitung der Betriebsgesellschaft, hatte RA Reuter hingegen keine Bedenken. Er teilte mit, man berufe sich jetzt auf die tariflich geregelte Ausschlussfrist von 6 Monaten. Dadurch würden dann für die 28 Beschäftigten die Ansprüche der letzten Jahre, von geschätzt 40 000 Euro, verfallen.
Das führt zu dem befremdlichen Zwischenresultat, das die durch Lohndumping gebeutelten Beschäftigten der Betriebsgesellschaft, nun halbjährlich in einem Schreiben Ansprüche geltend machen müssen, die tariflich klar geregelt sind.
Sie sind das aber durchaus gewöhnt. Die Betriebsgesellschaft lässt für Löhne arbeiten, die bis zu 86 Prozent niedriger sind als die des Mutterunternehmens der Freien Universität.
Die Freie Universität sonnt sich allzugerne in dem Begriff “Elite-Uni”, Beschäftigte der Betriebsgesellschaft hingegen sollen sich gefälligst mit einen Apfel und einem Ei begnügen. Sie arbeiteten teilweise für sechs oder sieben Euro die Stunde, bis die Universität gezwungen wurde, den gesetzlichen Mindeslohn von 8,50 Euro zu zahlen. Satte Gehälter auf dem Oberdeck – um jeden Cent im Unterdeck feilschen, das scheint wohl gemeint zu sein mit “Elite-Universität”, da bekommen die mitgebrachten Palmblätter doch ein ganz besonderes “Geschmäckle”.
Die Betriebsgesellschaft verfügt seit Dezember 2012 über keinen Entgelttarifvertrag mehr. Die Sondierungsgespräche über einen neuen Entgelttarifvertrag kommen nur schleppend voran.
Der Kammertermin findet Anfang 2016 statt, bis dahin wird der Mitarbeiter des BGBM und seine 27 Kolleginnen und Kollegen nun warten müssen, bis der Tarifvertrag vielleicht so angewendet wird, wie ihn die Leitung der Betriebsgesellschaft und die Gewerkschaftsvertreter bereits im März 2010 unterschrieben haben.
* Die Kanzlei Hopmann & Niemerg wurde durch den Emmely Fall bundesweit bekannt. Der Fall Emmely war ein Arbeitsrechtsstreit um die fristlose Kündigung einer langjährig beschäftigten Kassiererin der Supermarktkette Kaiser’s Tengelmann, der 2009 bundesweit ein kontroverses Medienecho erregte und eine gesellschaftliche Diskussion zu Bagatellkündigungen hervorrief. Der Kassiererin, die in der Öffentlichkeit oft als Emmely bezeichnet wurde und mit bürgerlichem Namen Barbara Emme hieß, war vorgeworfen worden, zwei ihr nicht gehörende Flaschenpfandbons im Wert von 1,30 Euro eingelöst zu haben; ihr wurde fristlos gekündigt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt erklärte die Kündigung am 10. Juni 2010 für unverhältnismäßig und damit für unwirksam.
Info: http://kanzlei72a.de/