„Dortmund ist Frontstadt“ im Kampf gegen den Rechtsextremismus

Neonazis versuchen seit Jahren, ihre Ziele durchzusetzen– gegen die Zivilgesellschaft und die Polizei.
Erstveröffentlicht: 
17.02.2015

Interview mit Hartmut Anders-Hoepgen
Hartmut Anders-Hoepgen ist ein Freund klarer Worte: „Dortmund ist Frontstadt“ sagt er, wenn der ehemalige Superintendent über die Bekämpfung von rechtsextremistischen Umtrieben in der Ruhr-Metropole spricht. Den militärischen Begriff wählt der Theologe ganz bewusst

 

Dortmund hat sich zum „Ausbildungszentrum“ der Neonazis entwickelt


Über Jahre hat sich die Dortmunder Neonazi-Szene zur größten und aktivsten im Westen der Republik entwickelt. Außerdem wird Dortmund für sie in jüngster Zeit zu einer Art „Ausbildungszentrum“.

Nachdem Neonazis über Jahre erfolgreich die Arbeit als „Kümmerer“ im ländlichen Bereich vor allem im Osten „perfektioniert“ haben, versuchen sie nun, auch in Großstädten Fuß zu fassen. Viele Aktivisten der rechtsextremen Szene sind in den vergangenen Jahren hergezogen.

Bislang sind sie an den demokratischen Strukturen und dem dort leichter zu organisierenden Widerstand gescheitert.

 

Günstige Ausgangslage in der Ruhrmetropole


Doch in Dortmund bietet sich für sie eine günstige Ausgangslage: Es gibt vorhandene Strukturen, motivierte Kader mit Organisationstalent und zahlreiche sozio-ökonomische Probleme, die ihnen in die Hände spielen: Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung, anwachsende Zahlen prekärer Lebensverhältnisse sowie fortgesetzte Armutszuwanderung.

Viele Menschen – gerade jüngere – haben ernstzunehmende Zukunftsängste. Günstiger Nährboden. Dennoch sind die Neonazis bei weitem nicht so erfolgreich, wie sie es sich wünschen. Bei den Wahlen erlebten sie – gemessen an ihren eigenen Zielen – ein Schlappe.

 

Anders-Hoepgen: „Dortmund ist auch eine Hochburg gegen Rechtsextremismus“


Denn“ – und da spricht Anders-Hoepgen ebenso Klartext – „Dortmund ist auch eine Hochburg gegen Rechtsextremismus“, macht der ehrenamtliche Sonderbeauftragte des Oberbürgermeisters für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“ ebenso deutlich.

Als der ehemalige Superintendent vor mehr als sieben Jahren die Aufgabe übernahm, konnte er sich noch nicht vorstellen, welche Ausmaße dieses Ehrenamt annehmen würde. „Es ist mehr als ein Vollzeitjob geworden“, sagt der 70-Jährige.

Dass es für die Arbeit einen langen Atem braucht, war Anders-Hoepgen natürlich klar. Doch das vielfältige Engagement der unterschiedlichsten Gruppen überrascht und begeistert ihn immer wieder. Möglich ist das, weil die Stadt diese Aktivitäten auch finanziell unterstützt, damit den Gruppen nicht die Puste ausgeht.

 

Sehr aktive Zivilgesellschaft – Kooperation mit Polizei und Kommune ist wichtig


Dortmund steht gut da.“ Das liegt auch daran, dass im Jahr 2007 alle Fraktionen gemeinsam mit der Zivilgesellschaft einen lokalen Aktionsplan erarbeitet haben. Hier gibt es – bei allen Rückschlägen – ein funktionierendes Zusammenspiel von Kommune, Zivilgesellschaft und Polizei.

Gerade der „Rathaussturm“ der Neonazis am Wahlabend hatte zu neuen Verwerfungen zwischen Demokraten und Polizei geführt. Diese werden noch immer diskutiert.

Doch für Anders-Hoepgen ist klar: „Ohne anhaltenden repressiven Druck geht die Bekämpfung de Rechtsextremismus nicht. Das ist auch nicht nach zwei, vier oder fünf Jahren abgeschlossen“, sagt der Sonderbeauftragte mit Blick auf die „Besondere Aufbauorganisation“ auf Seiten der Polizei. Das zusätzliche Personal müsse auch zukünftig zur Verfügung stehen.

 

Vielfalt“ im Dortmunder Netzwerk: Bis zu 100 Akteure sind bei Konferenzen dabei


Wichtig für den Erfolg  bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus ist der rege Austausch: Dass es eine Vielzahl von Akteuren gibt – man könnte beinahe schon von Zersplitterung reden – sieht Anders-Hoepgen nicht als Problem. „Wir haben die Vielfalt ja schon im Namen stehen.“

Entscheidend sei die Abstimmung – und die gelinge: Bis zu 100 Akteurinnen und Akteure nehmen an den von der Koordinierungsstelle organisierten Treffen teil. Die Gruppen beraten und vernetzen sich, planen gemeinsame Aktivitäten, stimmen Termine und Aktionen ab.

Die Zivilgesellschaft ist viel stärker, vernetzter und informierter als vor sieben Jahren“, zieht Anders-Hoepgen eine Zwischenbilanz. „Die Aufmerksamkeit für das Thema ist größer, die Sensibilität höher.“

 

Koordinierungsstelle ist mit den Anforderungen an sie gewachsen


Auch die Koordinierungsstelle selbst ist gewachsen. Gab es vor sieben Jahren nur eine halbe, sind es mittlerweile zwei volle Stellen, die sich um die Belange der Zivilgesellschaft kümmern. Birgit Miemitz beispielsweise kümmert sich unter anderem um die Bundesprogramme, mit denen viele der Aktivitäten in der Stadtgesellschaft finanziert werden.

 

Dortmund als positives Beispiel für das neue Bundesprogramm „Demokratie leben“


Das bisherige Bundesprogramm „Toleranz fördern, Kompetenz stärken“ ist ausgelaufen. Das neue Programm „Demokratie leben“ läuft gerade an.

Das Besondere: Dortmund erfüllt schon jetzt viele Anforderungen, die andere teilnehmenden Kommunen sich erst erarbeiten müssen. Die Vernetzung zwischen den Gruppen, die Einrichtung einer Koordinierungsstelle, das eigene finanzielle Engagement. Die Stadt Dortmund stellt für die Arbeit 200.000 Euro im Jahr zur Verfügung.

Sogar die Jugendforen – die das neue Programm vorsieht – gibt es bereits. Insofern  – das bestätigen externe Experten – ist Dortmund für viele andere Städte vorbildhaft.

 

Wichtige Anbindung: Koordinierungsstelle ist am OB-Büro angedockt


Das fängt schon bei der Koordinierungsstelle selbst an: Bei fast allen Kommunen sind diese Aktivitäten beim Jugendamt angesiedelt. In Dortmund wie auch München ist sie aber am OB-Büro angedockt. Und in Dortmund ist mit Hartmut Anders-Hoepgen die zivilgesellschaftliche Komponente von Anfang an berücksichtigt worden.

Für Birgit Miemitz – früher selbst beim Jugendamt beschäftigt – die richtige Entscheidung: „Rechtsextremismus ist kein Jugend-, sondern ein generationenübergreifendes Problem. Es geht um die Mitte der Gesellschaft.“

 

Plackert: Wirtschaft und Justiz stärker mit ins Boot holen


Michael Plackert, hauptamtlicher Mitarbeiter in der im Rathaus angesiedelten Koordinierungsstelle, würde sich statt des Dreiklangs aus Zivilgesellschaft, Kommune und Polizei sogar ein Fünfeck wünschen: Denn sowohl der Austausch mit der Justiz als auch mit der Wirtschaft sei ausbaufähig.

An der Dortmunder Justiz – Staatsanwaltschaft und Gerichten – gibt es oft Kritik. Zu häufig würden politisch motivierte Taten nicht als solche gesehen und geahndet. „Und das, obwohl sie im Urteil der Zivilgesellschaft eindeutig rechtsextrem oder rassistisch motiviert waren“, unterstreicht Anders-Hoepgen.

Sie wollten daher gerne als Stadt das Gespräch mit der Justiz suchen. „Nicht um sie zu beeinflussen, sondern um sie an den Lebenswelten der Opfer teilhaben zu lassen.“

 

Beratungsstelle für Betroffene von rechtsextremer und rassistischer Gewalt


Die Einrichtung der Beratungsstelle für Opfer und Zeugen rechtsextremer und rassistischer Gewalt sei einer der großen Erfolge der letzten Jahre gewesen.

Es ist eine Schande, dass es sie überhaupt geben muss“, wird Anders-Hoepgen nicht müde zu erwähnen. Doch ihre Arbeit sei immens wichtig.

Sich entsprechend als Stadt zu exponieren und die offensive Auseinandersetzung mit dem Thema zu suchen, sei dabei für den Standort nicht problematisch: „Politik und Wirtschaft müssen sich bei diesen Fragen eindeutig positionieren. Weltoffenheit ist ein ganz wesentlicher Faktor“, betont Michael Plackert.

Der BVB sei auf diesem Feld sehr rege. Die Wirtschaft sei am Runden Tisch des OB ebenfalls vertreten. „Es wäre aber schön, wenn sie noch stärker Projekte finanzieren würden“, betont Plackert.

 

Unterstützung für Aussteigerberatung wäre wichtig


Vor allem die Aussteigerberatung „ComeBack“ könnte noch Unterstützung gebrauchen. „Es geht hier vor allem um den Ausstieg vor dem Einstieg“, erklärt Anders-Hoepgen. Im Klartext: Die Angebote sollen Rechtsaußen Jugendliche erreichen und Alternativen aufzeigen, bevor sie tiefer in die rechtsextreme Szene abrutschen. Dabei will „ComeBack“ vor allem in Betrieben ansetzen. „Dies kann die Kommune nicht allein. Hier ist auch die Wirtschaft gefragt.“