Neonazis in Dortmund: "Kein Platz für Rechtsextreme"

ARD Fotogalerie
Erstveröffentlicht: 
01.08.2015

Dortmund gilt als-Hochburg der Neonazis. Ganze Straßenzüge würden dort von Rechtsextremen kontrolliert, heißt es oft. Ein Blick in die Stadt zeigt, dass es dort zwar viele Neonazis gibt, aber noch viel mehr Menschen, die sich stark machen gegen Rechts.

 

Mehr als eine Stunde hatte Michael Plackert mit der Reporterin der New York Times zusammengesessen. Hatte versucht, ihr die Sache mit dem -Siggi differenziert zu erklären. "Und am Ende hat sie uns dann doch als heruntergekommene Nazitown beschrieben", schüttelt er den Kopf. Plackert gehört zur "Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie", die die Stadt Dortmund vor einigen Jahren ins Leben gerufen hat, als deutlich wurde, dass die rechtsextreme Szene in Dortmund lange Zeit unterschätzt worden war. Viel ist seitdem geschehen in der alten Kohle-und Stahlstadt. Dass nach den Kommunalwahlen im Juni 2014 dennoch der seit Jahrzehnten als "SS-Siggi" bekannte Neonazi Siegfried Borchardt in den Dortmunder Stadtrat einziehen konnte, lässt ein Bild entstehen, dass genauerer Erläuterung bedarf, sagt Plackert.

 

"Es gibt nichts schönzureden"

 

"Dortmund ist Wohnsitz einiger bundesweit hochrangiger Kader der rechtsextremen Szene", stellt er klar, "da gibt es nichts schönzureden". Und viele von ihnen seien tatsächlich in Dorstfeld gemeldet, dem Stadtteil, der seit Jahren als Tummelplatz für Neonazis gilt. Sie wohnen dort teils in , und häufig seien dort auch Besucher zu beobachten, die der rechtsextremen Szene in anderen Bundesländern angehören, beschreibt Plackert weiter. "Das ist eine kleine, aber aktive Gruppe von Leuten, die sich fast jede Woche irgendwo im Dortmunder Stadtgebiet auf den Straßen zeigen." Deren Strategie damit beginne, überall im Straßenraum Aufkleber mit ausländerfeindlichen Sprüchen oder Schmierereien an den Hauswänden zu hinterlassen. Ein weiterer Schritt seien sogenannte "Mahnwachen" auf öffentlichen Plätzen, bei denen Rechte vor angeblichem Asylmissbrauch und Kriminalität bei Flüchtlingen warnen.

 

"Es gelingt denen aber nicht, die Bewohner nachhaltig einzuschüchtern", sagt Plackert dann energisch. Zu verdanken sei das "einer Vielzahl von zivilgesellschaftlichen Initiativen und Aktionen, die dafür sorgen, dass die Rechten den Raum eben nicht erobern." Er nennt einige Beispiele. Um die teils verunsicherten Bewohner im Stadtteil Dorstfeld zu stärken, gibt die evangelische Kirche dort Kurse zum richtigen Verhalten in Konfliktsituationen mit Neonazis. Im Stadtteil Lütgendortmund, wo Rechtsextreme regelmäßig "Mahnwachen" abhalten, hatten die Kirchen im April eine Aktion gestartet, die die Rechten "geschockt" hätte, sagt Plackert: Nach einem Friedensgebet in der katholischen Kirche seien rund 400 Menschen mit Kerzen in den Händen an der "Mahnwache" vorbei zur evangelischen Kirche gezogen.   

 

Runde Tische gegen rechts

 

Ob in Stadtteilen wie Dorstfeld, Mengede, Eving oder Lütgendortmund: Wo Rechte durch Aktivitäten auffallen, bilden sich regelmäßig auch "Runde Tische" gegen rechts - Bürgerinitiativen, die den Aktivitäten der Nazis entgegenwirken wollen. Als bekannt wurde, dass "Die Rechte" im Stadtteil Huckarde ein Parteibüro gründen wollte, fanden sich jeden Samstag auf dem Huckarder Markt Bürger zu einer Gegendemonstration zusammen, in fast jedem Schaufenster des Bezirks hingen Plakate mit der Aufschrift "Kein Platz für Rechtsextreme". "Die haben dort einfach keinen Fuß in die Tür bekommen", sagt Plackert.

 

"Überfälle von Rechtsextremen gibt es in jeder größeren Stadt", wiegelt auch Katharina Dannert ab. Sie leitet die Dortmunder Beratungsstelle "Backup", die landesweit Opfern rechter Gewalt Hilfe anbietet. Dass es in Dortmund Gebiete geben soll, bei denen Ausländern abgeraten wird, sie zu betreten, sei ihr nicht bekannt. Auch in Dorstfeld lebten Migranten in unmittelbarer Nachbarschaft mit Neonazis, sagt sie, auch dort gebe es Dönerbuden.

 

 

"Probleme lange Zeit weggeschoben"

 

Dass es dennoch eine ausgeprägte rechte Szene mit Tradition gebe in Dortmund, hänge auch mit dem lokalen Fussballverein zusammen: Im Umfeld des hätten sich Hooligans und rechtsextreme Fanclubs wie die Borussenfront, 1982 gegründet von Neonazi Siegfried Borchardt, lange Zeit frei entwickeln können. "Die Stadt hatte diese Szene als Problem lange von sich weggeschoben", sagt Dannert. Erst als im Jahr 2011 eine Familie aus dem Stadtteil Dorstfeld wegziehen musste, weil sie dort wegen ihres Engagements gegen Ausländerfeindlichkeit von Rechtsextremen massiv bedroht worden war, sei bei der Stadtverwaltung ein Aufwachen spürbar gewesen. Im November 2011 beschloss der Rat der Stadt Dortmund den "Aktionsplan gegen Rechtsextremismus", mit dem Stadtverwaltung und Zivilgesellschaft dazu aufgerufen waren, sich dem Rechtsextremismus "auf allen Ebenen entgegenzustellen". Im Rathaus entstand die "Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie". Die Beratungsstelle "Back up", gefördert von der Stadt mit 50.000 Euro und weiterem Geld vom Land, wurde eröffnet, der BVB begann, Stadionordner speziell auf den Umgang mit rechtsextremen Fans zu trainieren.

Im Jahr 2012 verbot das -Innenministerium die bis dahin aktive Dortmunder Gruppierung "Nationaler Widerstand", in deren ehemaligen Räumen eröffnete die Stadt ein Jugendkulturcafe. Als Ersatz gründeten Dortmunder Neonazis dann allerdings die rechtsradikale Partei "Die Rechte", der es bei der Kommunalwahl 2014 gelang, der eins von vorher zwei Mandaten im Rat abzunehmen. Als Prinzip der Partei, erklärt Plackert, gelte die Strategie, Gegner und andere Opfergruppen durch radikale Aktionen einzuschüchtern und sich im Straßenraum zu präsentieren.


Gewöhnungseffekt verhindern 

 

Um rechtsextremen Eroberungstaktiken wirksam zu begegnen, müsse dem zivilgesellschaftlichen Engagement aber auch Polizei und Stadtverwaltung aktiv zur Seite stehen, sagt Michael Plackert - was in Dortmund der Fall sei: Eine "Taskforce" kontrolliert dort die von Neonazis fokussierten Stadtteile und entfernt regelmäßig Aufkleber, Plakate und Schmierereien - "damit kein Gewöhnungseffekt eintritt". Die Polizei sei "mittlerweile sehr engagiert". Als es in der Nacht der Kommunalwahlen im Juni 2014 zu Tumulten zwischen Anhängern Siegfried Borchardts und Gegedemonstranten vor dem Dortmunder Rathaus kam, stand die Polizei anschließend allerdings massiv in der Kritik. Immerhin laufen mittlerweile Ermittlungen gegen 27 Neonazis wegen des Verdachts der Volksverhetzung, des Landfriedensbruchs, Beleidigung, gefährlicher Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Die Rechtsdezernentin der Stadt verhängte rund 30 Hausverbote für das Rathaus und andere Gebäude.

"Bis heute gibt es in Dortmund keinen Bereich, wo man sich als Ausländer nicht hintrauen kann", ist Plackert sich sicher. Wenn nach einer Nazidemo am Abend hunderte betrunkene Nazis durch die Stadt laufen, sollte man denen natürlich besser nicht über den Weg laufen, meint er, "aber das gilt für jeden".

 

 

Von Nina Magoley