Pädagoge mit bedenklicher Vita

Erstveröffentlicht: 
31.07.2015

Der Streit um den Waldorflehrer in Minden geht weiter. Ein Foto zeigt ihn im Schulvorstand einer Schule in Argentinien – neben dem NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke.

 

Von Andrea Röpke

 

Was ist los an der Freien Waldorfschule Minden? Über Jahrzehnte hinweg bewegte sich der Waldorflehrer Wolf-Dieter Schröppe in rechten Kreisen, pflegte früh engen Umgang zu einem NS-Kriegsverbrecher, publizierte und referierte bei den „Deutschen Unitariern“, „Ludendorffern“ oder reaktionären Ostpreußen sowie der rassistischen „Artgemeinschaft“  – und doch wird  an der Schule in Westfalen anscheinend weiter relativiert und toleriert.

 

Zwei in Auftrag gegebene Studien kamen bereits im Juni zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Die eine, erstellt durch ein dreiköpfiges Lehrergremium, zitiert Schröppe immerzu und gleicht einer Schutzschrift, während die Experten der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus Nordrhein-Westfalen den Lehrer als Aktivisten „eines extrem rechten völkischen Netzwerkes“ einstufen. Diese massive Einschätzung blieb bisher ohne Folgen, zögerlich wurde Schröppe vorübergehend suspendiert. In knapp zwei Wochen allerdings beginnt das neue Schuljahr, bis dahin sollen klare Entscheidungen getroffen werden.

 

In den über 20 Jahren beruflicher Tätigkeit in Minden brachte es der 53-jährige Pädagoge aus Uchte an der alternativen Schule vom Hausmeister, Handwerkslehrer  zum „informellen Leiter“. Er gestaltete die Einrichtung mit und erhielt viel Zuspruch. So scheint wenig verwunderlich, wenn im 25-seitigen „Abschlussbericht“ des Aufklärungsgremiums Schlüsse gezogen werden wie zum Beispiel der, dass sich in den Heften des „Bundes Deutscher Unitarier“ – zu denen Schröppe zehn Jahre gehörte – durchaus ein „freiheitsliebendes Denken“ zeige. Auch seien Ähnlichkeiten mit der Anthroposophie erkennbar, dazu gehören „neben der Achtung der Natur, die Liebe zu den Menschen und der Glaube an geistige Mächte“.

 

Viele Fans des Dritten Reichs in Carlos de Bariloche


Bei wichtigen Entscheidungen wie Neueinstellungen von Kollegen durfte Schröppe sein Gewicht in die Waagschale werfen und die Schule bei offiziellen Anlässen nach außen repräsentieren. Jahrelang schien sich niemand daran zu stören, wenn der beliebte Lehrer Sprüche wie „biste schwul, oder was?“ fallen ließ oder eines seiner Kinder dadurch auffiel, die  Unterrichtsstunde ausgerechnet  beim Thema Holocaust  zu  verlassen.

 

Schröppe wurde 1962 in Buenos Aires geboren. Aufgewachsen ist er in einem Ort,  in dem es von Fans des Dritten Reiches nur so wimmelte: San Carlos de Bariloche. Zahlreiche hoch belastete NS-Verbrecher waren nach 1945 über geheime Fluchtrouten in den abgelegenen argentinischen Gebirgsort gelangt und abgetaucht. Sie bauten eine urdeutsche Enklave mit Schuhplattlerverein und Fachwerkhäusern auf. Aushängeschild war die „Instituto Primo Capraro“, die deutsche Schule. Als einflussreicher Ehrenvorsitzender fungierte seit den 1980er Jahren der Rentner und später in Italien verurteilte NS-Kriegsverbrecher Erich Priebke – heute ein Idol bundesdeutscher Neonazis.

 

Priebke, während der NS-Zeit Hauptsturmführer und stellvertretender Polizeichef in Rom, wurde für ein Massaker an unschuldigen italienischen Zivilisten 1944 in den Ardeatinischen Höhlen mitverantwortlich gemacht und 1998 zu lebenslanger Haft verurteilt.  In der Haft  zeigte er bis zu seinem Tod 2013 keine Reue. Im Gegenteil: Priebke unterhielt fortdauernden Kontakt zur deutschen Neonazi-Szene.

 

Feiern zum Führer-Geburtstag im Schulvorstand


Wenige Jahre zuvor führte er noch die deutsche Schulgemeinde in Bariloche an, zu der auch die Schröppes gehörten. Von 1987 bis 1989 leitete Fritz Küper das Instituto Primo Capraro. In seinem Buch „Unsere Schulen – undemokratisch und inhuman“ widmet er ein ganzes  Kapitel „Erich Priebke und dem „Germanisch-argentinischen Schulverein Bariloche“, dem Träger der Einrichtung.

 

Küpers Rückblick ist erdrückend, er berichtete von täglichen Fahnenappellen, aber vor allem davon, dass der Schulverein unter maßgeblicher Führung von Priebke und anderen ehemaligen NS-Familien den „so genannten Holocaust“ als „Alliierten-Lüge“ ansah und ihn aufgefordert habe, ihre Kinder „nicht durch gegenteilige Äußerungen“ zu verwirren. Der Ex-Schulleiter schreibt, es habe intern im Schulvorstand Feiern zum Geburtstag des Führers gegeben.  Auch habe Priebke mit seiner Erziehung durch „Gestapo-Müller“ geprahlt, aber stets betont, sich „nie die Finger an gefangenen Opfern“ schmutzig gemacht zu haben. Der Altnazi genoss sein Ansehen, empfing eine Delegation von Bundespolitikern oder vertrat auch schon mal den deutschen Botschafter.

 

Kontakt zu diesem elitären Kreis hatte auch Wolf-Dieter Schröppe. Die WDR-Dokumentation „Pakt des Schweigens“ von 2006 zeigt ihn als jungen Mann gleich neben Priebke bei einem Fest in Bariloche. Schnell war der Jungpädagoge aufgestiegen, 1992 gehörte er bereits dem Schulvorstand an.  Ein Foto mit der Bildunterschrift „Comision Directiva“ zeigt das 16-köpfige Gremium mit einem lächelnden Priebke im Vordergrund und dem jungen Schröppe schräg dahinter.

 

Zehn Jahre bei den „Unitariern“


Von dieser verantwortlichen Position unter der Ägida eines Nazi-Verbrechers ist im Abschlussbericht des Schulgremiums nicht die Rede. Auch nicht davon, dass der Schleswiger Rechtsextremist Dieter Vollmer die Familie Schröppe 1989 in der rassistischen Zeitung „Nordische Zukunft“ als wesentlichen „Kristallisationskern des Deutschtums in Argentinien“ feierte. Zwar räumt Schröppe ein, Vollmer seit 1982 zu kennen und den Ex-Chef des rechtsextremen „Nordischen Rings“ häufig getroffen zu haben. Doch anstatt diese Verbindung bohrend kritisch zu hinterfragen, wird auch hier sofort relativiert. Der langjährige Szene-Autor wird zur scheinbar harmlosen Bekanntschaft, die  „wegen bündischer Umtriebe“ fast im Konzentrationslager gelandet sei.

 

1994, als gegen Priebke Ermittlungen aufgenommen wurden, er in Hausarrest verschwand, verließ Wolf-Dieter Schröppe Argentinien. Ein Jahr später wurde Priebke an Italien ausgeliefert und kehrte nicht mehr zurück. Schröppe dagegen nahm in Minden seine Arbeit an der Freien Waldorfschule auf. Zugleich tummelte er sich im rechten Milieu. Etwa zehn Jahre lang war er nach eigenen Angaben Mitglied der Religionsgemeinschaft „Bund Deutscher Unitarier – Gemeinschaft Europäischen Geistes“. Dann sei durch seine Arbeit am Thema Externsteine die Anthroposophie für ihn zur „Offenbarung“ geworden und er habe die Unitarier verlassen, heißt es.

 

Es folgten zahlreiche Veröffentlichungen unter anderem im extrem rechten österreichischen Aula-Verlag oder beim „Bund für Gotterkenntnis/Ludendorff“. Doch nicht immer schrieb Schröppe anscheinend unter seinem Klarnamen, so sollen seine Artikel den Recherchen des Rechtsextremismus-Experten Jan Raabe zufolge auch unter den Namen „Dieter van Moor“ und „Dieter S. Wolfer“ erschienen sein. Unter diesen Pseudonymen wurden zuletzt  2014 in der Ausgabe Nr. 4  der „Nordischen Zeitung“ Artikel über „Hoffmann von Fallersleben“ und  2015 ein Text auf dem Online-Portal der „Artgemeinschaft“ zum Thema „Irminsul am Externstein“ veröffentlicht. Nebenher baute Schröppe sich eine weitere  Existenz als „Moorschmied“ auf seinem „Moorhof“ bei Nienburg auf. Dort bot er Kurse an und zeigte seine schmiedeeiserne Arbeit gemeinsam mit einem Sohn  im NDR.

 

Schüler-Reisen nach Ostpreußen


Bis dahin hatte der Lehrer das religiöse Spektrum anscheinend längst zugunsten ideologisch radikalere Strukturen verlassen. 2005 wurden Schröppe und seine Ehefrau als Gäste eines geheimen Lagers der „Artgemeinschaft“ von der Polizei in Thüringen geführt – mit dabei auch eines seiner Kinder.

 

2009 vermischten sich dann politische Weltanschauung und pädagogische Verantwortung: Schröppe band Kinder seiner Schulklassen in die ideologische Arbeit ein. Der  Lehrer mit den Kontakten ins einschlägige Lager leitete Schüler-Reisen zur „Katharinenkirche Arnau/Ostpreußen“.

 

Die rechtslastige „Preußische Allgemeine Zeitung“ berichtete 2010 über die Reise einer privaten Jugendgruppe aus Nienburg/Weser unter Leitung von Schröppe und seiner Ehefrau nach Arnau. Zwei Mal fuhren auch Waldorf- Schüler mit. Vornehmlich ging es um den Erhalt einer kunsthistorisch wichtigen christlichen Kirche gegenüber der angeblichen Zerstörungswut durch die russisch-orthodoxe Kirche.  Ein dubioses „Kuratorium Arnau“ unter Führung eines Kieler Wissenschaftlers namens Dr. Walter Rix übernahm die Retterrolle – zeitweilig mit dabei als Schatzmeister: Wolf Schröppe. Gemeinsam mit  Rix unterschrieb Schröppe einen Spendenaufruf, der weitere Schulfahrten nach Arnau ermöglichen sollte.

 

Heute wird Dr. Rix von der Schule als „problematisch“ bezeichnet. Schröppe habe sich erstaunt gezeigt, dass dieser Ostpreußen-Funktionär einen rechten Hintergrund haben sollte. Wieder mal schien ihm das Waldorf-Gremium Glauben zu schenken. Dabei verlinkt das „Kuratorium“ auf seiner Homepage die rechte Wochenzeitung „Junge Freiheit“ und auch der Artikel in der „Preußischen Allgemeinen Zeitung“ hätte Anstoß erregen können. Tatsächlich war Rix auch 2013 zwei Mal Referent in der rechtsextremen Tagungsstätte in Guthmannshausen, eines seiner Themen lautete: „Umerziehung und die schöne Literatur“. Auch zum einschlägigen Kieler Verleger Dietmar Munier, immer bemüht um das Deutschtum in Ostpreußen, pflegte Rix Kontakt. Von der „Landsmannschaft Ostpreußen“ wurde der „treue Freund“ gar mit dem Goldenen Ehrenzeichen geehrt.

 

Vorsitzender des „Ahnenstättenvereins Conneforde“


Über ihren Lehrer gerieten minderjährige Schüler aus Minden mit diesem politischen Spektrum in Berührung. Im Nachhinein erinnert sich ein jugendlicher Reiseteilnehmer an alte Leute, die sie damals besuchten. Die hätten bedauert, dass es „Hitler nicht mehr gäbe“.

 

2008 übernahm Schröppe dann noch den Vorsitz des „Ahnenstättenverein Conneforde“ in der Nähe von Oldenburg – bei denen scheint es Usus, nicht  in der Kirche zu sein. Der Pädagoge machte hier vorgeblich nur mit, weil es galt ein „Familiengrab“ zu pflegen. 1974 war sein verstorbener Vater auf den Waldfriedhof mit Irminsul umgebettet worden. Natürlich sei der Lehrer dem 1958 von früheren Nationalsozialisten mitgegründeten Verein in „bester Absicht beigetreten“, um „einen kulturell wertvollen Platz zu erhalten – auf dem über 2000 unbescholtene Bürger liegen“, heißt es dazu in dem internen Abschlussbericht des dreiköpfigen Schulausschusses. Die Bedeutung der Stätte  für  Alt- und Neonazis wird nicht hervorgehoben. Seine Mitgliedschaft wird als anstößig vermittelt, aber sinngemäß wolle der Ahnenstätten-Verein ja unter der Führung von Schröppe Aufarbeitung gemeinsam mit der Gemeinde Conneforde und der Universität Oldenburg leisten.

 

Dazu scheint es nicht zu kommen. Im Juli dieses Jahres vermeldete die „Nordwest-Zeitung“, dass das Aufarbeitungsvorhaben „krachend“ am Verein gescheitert sei. Auf der Jahreshauptversammlung lehnten 53 Vereinsmitglieder alle Gespräche ab, nach NWZ -Informationen bei nur einer Gegenstimme und einer Enthaltung. Die Freie Waldorfschule Minden fordert Schröppe nun auf, dieses Amt niederzulegen.