Am Dienstag, den 28. Juli 2015, wurde im Stuttgarter §129b Prozess das Urteil gegen Özgür Aslan, Sonnur Demiray, Muzaffer Dogan und Yusuf Tas gefällt. Nachdem die Bundesanwaltschaft (BAW) im Prozess bereits Haftstrafen von 4 bis zu 6 ½ Jahren gefordert hatte kam der Vorsitzende des 5. Senats H. Wieland dem beinahe komplett nach und verurteilte die 4 Angeklagten zu langjährige Haftstrafen: 4 Jahre und 9 Monate für Özgür Aslan, 5 Jahre 6 Monate für Sonnur Demiray und jeweils 6 Jahre für Yusuf Tas und Muzaffer Dogan.
Die Aktivitäten für die die vier nun zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden sind bspw. Informationsarbeit, Spendensammlungen und die Organisierung von Musikveranstaltungen, darunter vor allem ein Großkonzert mit der türkischen revolutionären Band „Grup Yorum“.
Im Laufe des Verfahrens, das im September 2014 begann und dessen Akten sich auf 60 000 Seiten erstreckte, versuchte die BAW und auch der Senat mehrmals eine direkte Verbindung von der DHKP-C zu Grup Yorum herzustellen und führte auch die bereits in anderen Prozessen begonnene Strategie des „Alles ist die DHKP-C“ fort, in dem auch die Räumlichkeiten der Anatolischen Föderation wieder und wieder als DHKP-C Räumlichkeiten betitelt wurden. Das kann auch als Marschrichtung seitens des Senats verstanden werden, wohin die Kriminalisierung führen soll.
Im Zuge des Verfahrens kam es darüber hinaus zur Festnahme eines 61jährigen Aktivisten, der im Winter letzten Jahres den Prozess besuchen wollte und dabei für einige Wochen weggesperrt wurde. Ihm wird nun vorgeworfen als Teil der DHKP-C an einem „politisch motivierten Mord in der Türkei“ (Stuttgarter Zeitung) beteiligt gewesen zu sein. Der Prozess wird ebenfalls in Stuttgart stattfinden.
Solidarität
Zur Urteilsverkündung fanden sich 50 Personen ein, die den Gefangenen ihre Solidarität ausdrücken wollten. Bereits eine Woche zuvor, am 23. Juli fand ebenfalls eine Prozessbeobachtung zu der Verlesung von politischen Erklärungen der Gefangenen statt, bei der sich knapp 70 Personen beteiligt hatten. Im Zuge dessen kam es zur Verhängung von Ordnungsgelder in Höhe von jeweils 200 Euro gegen 3 AktivistInnen, die dem Gericht nicht den – ihrer Meinung nach – nötigen Respekt zu kommen ließ und ein Aktivist wurde wegen Rufen von Parolen zu einer Ordnungshaft von 2 Tagen weggesperrt.
Hintergrund
Die vier waren im Zuge einer Großrazzia am 23. Juni 2013 mit dem Vorwurf der Mitgliedschaft in der DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) mit Hilfe des §129b verhaftet worden. Yusuf Tas und Özgur Aslan wurden im Zuge dessen von Österreich nach Deutschland ausgeliefert. Gegen die Auslieferung gingen die beiden in einen 48 bzw. 50 Tage andauernden Hungerstreik, was im Falle von Özgür Aslan auch gesundheitliche Konsequenzen hatte.
Mittlerweile wurden über 20 Personen mit Vorwurf der Mitgliedschaft in der DHKP-C und mit Hilfe des §129b auf die Anklagebank gezerrt und abgeurteilt. Ebenfalls im Visier sind kurdische AktivistInnen, denen die Mitgliedschaft in der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) vorgeworfen werden. Im April wurden nun auch 11 ATIK Mitglieder mit Hilfe des §129b weggesperrt. Sie sollen Mitglieder der TKP/ML (Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) sein.
Terrorist ist...
Mit der Brandmarkung als Terrorist, mit der Diffamierung von politischen AktivistInnen als Gefahr für die Gesellschaft wird die Realität von den Füßen auf den Kopf gestellt: Diejenigen, die für eine klassenlose Gesellschaft kämpfen und zielgerichtet und bewusst sich gegen die herrschenden Verhältnisse richten, werden als angebliche Gefahr für die Bevölkerung stilisiert, während diejenigen, die tatsächlich die Menschen durch Bomben, Verhaftungen, Hunger und der alltäglichen Ausbeutung – die täglich mehrere tausend Menschen das Leben kostet – terrorisieren, als Menschenrechtler und Friedensbringer gefeiert werden.
So wird der Steinwurf oder das Verteilen einer Zeitung zur terroristischen Tat während der Panzer der Herrschenden zum Friedensbringer verklärt wird.
Umso notwendiger ist es Tag für Tag dieser Repression unsere Solidarität entgegenzusetzen. Denn wenn Repression in der kapitalistischen Logik auf Widerstand folgt, so muss in einer revolutionären Logik Solidarität auf Repression folgen.
Terrorist ist der, der verhungern lässt, bombardiert und verhaftet!
Wir grüßen euch, Özgür, Sonnur, Muzaffer und Yusuf, mit all unserer Kraft!
Schreibt den Gefangenen:
Özgür Aslan, Muzaffer Dogan, Yusuf Tas
Asperger Str. 60
70439 Stuttgart
Sonnur Demiray
Herlikofer Straße 19
73527 Schwäbisch Gmünd
Anmerkung: Vermutlich werden die Gefangenen demnächst verlegt. Achtet auf Ankündigungen!
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen [Stuttgart]