Nachdem die Münchner Staatsanwaltschaft und die politische Polizei bereits seit Februar massiv gegen Mitglieder der Freien Deutschen Jugend (FDJ) vorgingen und bei Kundgebungen gegen „Bagida“, gegen Militarisierung und anderswo 15 Festnahmen sowie mehrere Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen vornahmen, fand am 29. Juni vor dem Amtsgericht München der erste von mehreren anstehenden Prozessen gegen die FDJ statt. Vorgeworfen wird den Jugendlichen die „Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ (§86a StGB), weil das von NSDAP-Mitgliedern und anderen zwielichtigen Gestalten erlassene Verbot der Organisation aus dem Jahr 1951/1954 immer noch Gültigkeit habe.
Das öffentliche Interesse war beachtlich: 40 Personen wohnten der Verhandlung bei, weiteren 25 Personen wurde der Zutritt zum Saal verwehrt, obwohl etliche Stühle leer blieben. Vertreter verschiedener Jugendorganisationen, Einzelgewerkschaften, Parteien, gesellschaftlicher Gruppierungen sowie interessierte Bürger waren gekommen, um zu hören, mit welcher Begründung seit Monaten die Rechte einer Jugendgruppe auf Meinungs-, Demonstrations- und Organisationsfreiheit und die Unverletzlichkeit der Wohnung außer Kraft gesetzt werden. Sechs Zuschauer, die in FDJ-Blauhemd erschienen waren, mussten auf Anweisung einer entsetzten Staatsanwältin ihre Personalien abgeben, davon abgesehen verlief die Verhandlung sachlich. Der Richter zeigte sich einsichtig, dass die Rechtslage zur heutigen Anwendbarkeit des Verbots der FDJ-Westdeutschland komplex ist. Immerhin unterscheidet sich deren „verfassungswidriges“ Emblem nicht vom Abzeichen der FDJ der DDR, die nie verboten war und die sich die größer gewordene BRD bei der Annexion der DDR mit einverleibt hat.
Der Angeklagte ordnete in seiner Einlassung die Beschlussfassung zum FDJ-Verbot in den historischen Kontext der Adenauerzeit ein, in welcher kaum NS-Verbrecher zur Verantwortung gezogen, aber hunderttausende Demokraten, Antifaschisten und Kommunisten vor Gericht gezerrt und in die Gefängnisse gesperrt wurden. Er legte die scheinbar unbekannte Geschichte der bereits ab 1936 im Exil gegründeten FDJ dar und schilderte die polizeiliche Willkür, die gegen die Mitglieder seiner Organisation in letzter Zeit an den Tag gelegt wurde. Darüber hinaus nehme er angesichts der wachsenden Gefahr des nächsten großen Krieges in Europa und einer zunehmenden Zerschlagung des bürgerlichen Rechtsstaates nicht nur sein Recht war, dagegen anzukämpfen, sondern empfinde es auch als seine Pflicht. Zum Tatvorwurf äußerte es sich folgendermaßen (gesamte Einlassung siehe Anhang):
Dass aber die „aufgehende Sonne“, das Emblem, um welches es heute geht, mehr ist als historischer oder gar nostalgischer Kitsch, dürfte jedem klar sein, der auch nur ein bisschen Bezug zur Arbeiterbewegung hat. Es steht für eine Zukunft, die sich nicht nach den Kriegs- und Profitinteressen einer Minderheit ausrichtet. Dafür lohnt es sich zu streiten. Und ich tue das eben in der Freien Deutschen Jugend. So gesehen bin ich „Überzeugungstäter“ und werde mich auch in Zukunft für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, ohne Faschismus und Krieg einsetzen und sagen: „Lieber sozialistische Experimente, als großdeutsche Katastrophen!“
Die Verlesung der Gründungserklärung der FDJ in Paris machte einerseits deutlich, dass zu deren Gründern so bekannte Persönlichkeiten wie Willy Brandt gehörten, die Verbotsverfügung der Bundesregierung von 1951 zeigte andererseits, dass dieses Verbot selbst offenkundig verfassungswidrig ist.
Die Staatsanwaltschaft zog aus diesen Erörterungen denselben Schluss, wie in der Anklageschrift bereits dargelegt: Egal ob ein Verbot von Nationalsozialisten gemacht ist, egal ob völkerrechtliche Verträge etwas anderes sagen, egal ob wir noch „Kalten Krieg“ haben oder nicht: Das Zeigen des FDJ-Emblems sei verboten und der Angeklagte solle 40 Tagessätze á 25 € Strafe zzgl. Verfahrenskosten zahlen.
Der Richter zog dagegen den Schluss, dass die Sachlage nicht so einfach ist und das ein oder andere verfassungsrechtliche Problem bedacht werden sollte. Er beschloss, die Verhandlung am Montag, den 20. Juli, 13.30 Uhr (Amtsgericht München, Nymphenburger Str. 16, Saal A221) fortzusetzen.
Mit Methoden eines Polizeistaates gegen den politischen Gegner
Die Frage, die im Gerichtssaal nicht geklärt werden konnte, beantwortete die Polizei im Nachgang auf eine Art und Weise, die der „Hauptstadt der Bewegung“ alle Ehre macht. Nachdem ein Teil der Prozessbesucher sich noch kurz vor dem Gerichtsgebäude zusammen gefunden hatte, um den Prozess auszuwerten und anschließend in einem nahegelegenen Biergarten einen Kaffee zu trinken, holte der Gewaltenapparat zum Gegenschlag aus – ob dies auf Weisung einer beleidigten Staatsanwältin passierte, bleibt ungeklärt. Beamte der Kriminalpolizei, der städtischen Polizei und des bayerischen USK erklärten das Umfeld des Biergartens scheinbar kurzerhand zur Gefahrenzone und hielten jeden an, der diesen verließ. So wurden 20-30 Personen durchsucht und einer Personenkontrolle unterzogen – aufgrund des Verdachts, sie hätten gegen §86a StGB verstoßen. Einer der ausführenden Polizeibeamten sagte dagegen nach dem verdächtigen Personenkreis gefragt: „Ich verdächtige jetzt konkret gar keinen.“ Dass dieses Vorgehen rechtswidrig ist, kümmerte die Beamten wenig. Der Einsatzleiter gab zum Besten, dass alle Gäste des Biergartens sich dieser Maßnahme zu unterziehen hätten und er persönlich im Nachhinein entscheide, ob der Einzelne als Verdächtiger oder Zeuge zu behandeln ist. Unter Androhung von Gewalt und Ingewahrsamnahme bis zum nächsten Tag, Einschüchterungsversuchen, sich nicht mehr an Anti-„Pegida“-Protesten zu beteiligen, u.dgl.m. wurden schließlich sechs Jugendliche festgenommen. Wie dieses Vorgehen – noch dazu angesichts der soeben abgehaltenen Gerichtsverhandlung und am selben Ort, wo die Polizei den Rassisten und Nationalisten später martialisch den Weg freihielt – mit einem Rechtsstaat vereinbar sein soll, ist mehr als fragwürdig. Ein Betroffener bezeichnete das Vorgehen als faschistoide Gesinnungsverfolgung und fordert die demokratische Öffentlichkeit auf, sich gegen den Rechtsruck im Gewaltenapparat und die systematische Zerschlagung demokratischen Rechts zu wehren.
Offenkundig erreicht die staatliche Repression gegen Mitglieder und Sympathisanten der FDJ in München einen neuen Höhepunkt und es wird mit weiteren Übergriffen gerechnet.
Neben dem am 20. Juli fortzusetzenden Prozess, wird voraussichtlich am 4. August der nächste gegen einen anderen Beschuldigten stattfinden (beide Verhandlungen sind öffentlich) und weitere dürften folgen – gegen Jugendliche die das „Verbrechen“ begehen, sich aktiv gegen Faschismus und Krieg und für eine Zukunft ohne kapitalistische Ausbeutung einzusetzen.