Zwischen Dessau, Leipzig und Halle in Sachsen-Anhalt liegt die Kleinstadt Bitterfeld-Wolfen. Vormals nicht groß beachtet und auch sonst, – wie viele provinzielle Gemeinden – selten genannt. Doch seit einigen Wochen ist das anders. Seit Wochen versucht sich die lokale Neonaziszene, erneut in der Kleinstadt auszubreiten und ihre Ideologie zu verbreiten. Geholfen wird ihr dabei durch die hegemoniale, rassistische und rechte Stimmung der Bevölkerung.
Doch von Anfang an:
Die Montagsmahnwachen:
Seit nunmehr bald einem Jahr versammelten sich vor dem Rathaus jeden
Montag Menschen zu den sogenannten „Mahnwachen für den Frieden
Bitterfeld“. Die TeilnehmerInnen dieser Kundgebung trafen sich, um die
krudesten Verschwörungstheorien auszutauschen und öffentlich zu
propagieren. In der Tradition anderer „Montagsmahnwachen“ ala Ken
Jebsen, Lars Märholz und Jürgen Elsässer, wurde dort vorallem auf die
sogenannte „Fed Verschwörung“ hingewiesen. Aber auch die
„Chemtrail-Verschwörung“ und allerlei anderer Quatsch fanden dort ein
Podium. Unter den TeilnehmerInnen befand sich außerdem, neben anderen
AfD-Funktionären, Volker Olenicak. In Olenicaks Facebook-Chronik finden
sich, neben anderen eindeutigen Anzeichen auf eine rechte Gesinnung,
auch diverse rassistische Sprüche. Auch die „Reichsbürgerbewegung“ ist
ein Teil der Mahnwache.So gehört einer der Organisatoren, Volker Götze,
einer Organisation mit dem Namen „Deutsches Polizeihilfswerk“ (DPHW)
an. Das DPHW ist eine der „Reichsbürgerbewegung“ angegliederte
Organisation, welche vor allem in Sachsen Schlagzeilen machte, nachdem
sich deren Mitglieder als PolizistInnen verkleideten und so versuchten,
einen Gerichtsvollzieher an seiner Arbeit zu hindern. Die
„Reichsbürgerbewegung“ vertritt die Verschwörungstheorie, dass die BRD
nur eine GmbH wäre, welche von den Alliierten besetzt sei. Sie fordern
unter anderem die Wiederherstellung der deutschen Staatsgrenzen der
Vorkriegszeit.
Auch NPD-Mitglieder und Ex-DVU-Angehörige mischten sich alsbald unter
die „Mahnwache“. Die Ausrichtung der „Mahnwache“ lies keinen Zweifel an
der Gesinnung der (meisten) TeilnehmerInnen. So wurden zum Beispiel
Titel der Neonaziband „Sleipnir“ und der rechten Liedermacherin „Anett“
als Einleitungsmusik gespielt.
Die linke Szene in Bitterfeld entschloss sich, Gegenprotest zu
organisieren, um dem Verbreiten antisemitischer und
antiemanzipatorischer Inhalte ein Ende zu setzen, und die Teile der
MahnwachengängerInnen,welche die versteckten Codes und Botschaften nicht
entschlüsseln konnten, aufzuklären.
Jede Woche wurde nun die Wahnmache von lautstarkem Gegenprotest und
Redebeiträgen begleitet. Am Anfang ließen sich Teile der Wahnwichtel
noch auf Diskussionen ein, doch schon bald wurde der Ton rauer und die
Menschen aggressiver. So wurde die Kritik nicht konstruktiv diskutiert,
oder sich mit der Tatsache, dass sich unter ihnen diverse Neonazis
befinden, auseinandergesetz, geschweige denn diese ausgeschlossen. Im
Gegenteil. Nachdem die Wahnmache ein paar Wochen verschoben wurde, um
dem Protest bestmöglich aus dem Weg zu gehen, wurde der Anteil der
Neonazis unter den TeilnehmerInnen deutlich höher. Nun mischten sich
10-15 von ihnen darunter, um die Mahnwache „zu schützen“. Wovor die
TeilnehmerInnen genau „geschützt“ werden sollten, bleibt unklar, ging
doch die Körperverletzung (so geschehen am 23.03.2015) von den
OrdnerInnen der Wahnmache aus. Als der Gegenprotest dennoch nicht
abbrach, nutzten die Neonazis die Chance, um den Termin der
Montagswahnmache für sich zu vereinnahmen. Mittlerweile ist
Montagswahnmache vorerst von den VeranstalterInnen abgesagt.
Die lokale Neonaziszene bekommt Aufwind:
Seit Anfang des Jahres 2015 tauchen im Stadtgebiet und in den umliegenden Dörfern Flyer der Partei „Der III. Weg“ auf. „Der III. Weg“ ist die Nachfolgepartei der verbotenen radikalen Neonazikameradschaft „Freies Netz Süd“, welches Mitte 2014 nach diversen Razzien verboten wurde.
Das Aufkommen der Partei „Der III.Weg“ lässt sich mit zwei zugezogenen Neonazis in Verbindung bringen. Maik Mosebach und Maria Luise Süss-Lindert sind nun seit ca. einem Jahr in der Region unterwegs und bemühen sich lokale Strukturen zu nutzen, um im Namen des III. Weges aktiv zu werden. Beide aus Hessen zugezogen und ehemals für die Partei „Die Rechte“ aktiv, scharen nun die eigentlich eher kläglichen Reste der Neonaziszene in Bitterfeld um sich.
So traten am 30. März ca. 20-30 Nazis aus Köthen, Dessau, Jessnitz
und Bitterfeld mit dem Versuch auf dem Markt auf, dort eine Kundgebung
anzumelden. Maria Luise und Maik versuchten verzweifelt, mit den
Ordnungsbehörden vor Ort zu verhandeln, um diese genehmigt zu bekommen.
Die anwesende Polizei verweigerte ihnen jedoch die Kundgebung. So wurden
die Nazis und auch die Gegendemonstrant_innen mit Platzverweisen belegt
und vom Markt geschickt.
Zwei Wochen später jedoch gelang es den Beiden, eine Demonstration zu
organisieren. Ca. 50 Nazis zogen dabei „Linke haben Namen und Adressen –
kein Vergeben, kein Vergessen!“ skandierend durch Bitterfeld. Auf der
Demonstration fungierten Maria Luise Süß-Lindert, Maik Mosebach und
Stefan Wiesner (stadtbekannter Bitterfelder Neonazi und verurteilter
Brandstifter) als RednerInnen. Während Maria-Luise Süß-Lindert von
Angriffen fantasierte, die „eindeutig von Leuten, die aus der ‚Festung‘
herauskommen“ (gemeint ist das AKW, welches bis 2005 als Festung bekannt
war), zu verantworten seien und forderte, diesem Projekt „Einhalt zu
gebieten, aufzuräumen, reinzugehen, nachzusehen, was dort überhaupt
getan wird und wer sich dort überhaupt aufhält“. Ihr Lebensgefährte Maik
Mosebach beschwor den „Kampf für einen Nationalen Sozialismus“ und
drohte:„Wir werden uns wehren. Den deutschen Bürger gilt es, vor
Übergriffen von Antifaschisten zu schützen.“
Maria behauptete außerdem, die Gewaltbereitschaft von Neonazis, sei „schlicht und ergreifend eine Lüge“.
Gewalt als zentrales Aktionsfeld der lokalen Neonaziszene
Die Statistik der von Maria benannten „Lüge“ sieht folgendermaßen aus:
• Am 20.03.15 ereigneten sich zwei Angriffe im Innenstadtbereich von
Bitterfeld. So drangen gegen 21:25 Uhr sechs vermummte Personen
gewaltsam in eine Wohnung ein. Dabei traten und schlugen sie auf den
Wohnungsinhaber und dessen Freundin ein. Des Weiteren drohten sie dem
Wohnungsinhaber:„…Scheiß Dreckszecke, lass dich nicht mehr auf der
Straße blicken, sonst bist du tot…“.
Direkt im Anschluss versuchten sie mit den Worten „…da ist noch eine
Dreckszecke…“, in die Wohnung eines Zeugen auf der gegenüberliegenden
Straßenseite einzudringen.
• In der Nacht vom 01. auf den 02.04.15 drangen zwei vermummte Personen
in Bitterfeld OT Greppin in die Wohnung eines weiteren, nicht rechten
Jugendlichen ein, packten den Betroffenen am Hals und schliffen ihn in
sein Wohnzimmer. Im weiteren Verlauf traten und schlugen die Täter auf
den Betroffenen ein, bedrohten ihn und versuchten ihn darüber hinaus zu
bestehlen. Vor dem Verlassen der Wohnung rammten die Täter ihrem Opfer
einen Schraubenzieher in den Oberschenkel.
• Am 09.04.15 gegen 20:25 Uhr griffen im Bereich des Bahnhofs
Bitterfeld, mindestens zwei Personen aus einem Fahrzeug heraus einen
16-jährigen, nicht rechten Jugendlichen an. Der Betroffene, der bereits
am 20.03.15 Opfer eines Angriffs war, wurde im weiteren Verlauf mit
einem kurzen Baseballschläger mehrfach auf Oberkörper und
Schulterbereich geschlagen.
• Am 15.04.15 kam es im Bereich des Parks „Grüne Lunge“ in Bitterfeld zu
einem Angriff auf zwei Geflüchtete. Die beiden Betroffenen wurden von
drei Personen mit Flaschen beworfen, woraufhin sie sich verteidigten.
Nach Eintreffen der Polizei stieß einer der Angreifer gegenüber einem
Polizeibeamten weiter Drohungen gegen die beiden Betroffenen aus.
• In der Nacht vom 17. auf den 18.04.15 ereignete sich ein Brandanschlag
auf das Alternative Kulturwerk (AKW) Bitterfeld. Kurz nach 0 Uhr wurden
zwei Brandsätze über die Außenzäune des Geländes auf das Dach eines
Wohnwagens geworfen. Die Flammen brannten sich durch das Dach des
Wagens. Nur die Tatsache, dass sich zu dieser Zeit niemand im Wagen
befand, verhinderte Schlimmeres.
Die rechte, provinzielle Hegemonie
In der Facebookgruppe „Bitterfeld-Meine Heimat“1 kann man unterdessen
betrachten, wie die rechte, provinzielle Hegemonie um sich greift. Dort
wird seit Wochen von, sich selbst „Bürger der Stadt Bitterfeld“
nennenden, Personen gegen, alles was links ist, gehetzt. Auch die lokale
Presse springt gern auf den Zug auf. So schwadroniert die
„Mitteldeutsche Zeitung“ von einem angeblichen „Gewaltmarsch“2 der am
Ostermontag von Linken stattgefunden hätte und ist sich dabei nicht zu
fein, auch das AKW zu nennen3. Abgesehen von diversen rechten
Gruppierungen auf Facebook wie unter anderem der „Brigade Halle“, welche
offen Drohungen und Gewaltfantasien posten, ist auch im Forum
“Bitterfeld-Meine Heimat“ immer öfter davon zu lesen, dass die Linken ja
schlimmer wären als die Rechten. Fakten werden in dieser Gruppe
schlichtweg ignoriert und sich lieber an Vermutungen und Gerüchte
gehalten.
Auch die Oberbürgermeisterin Petra Wust (parteilos) hat selbstredend
etwas zur provinziellen Meinungsmache beizutragen. So veröffentlichte
sie einen „offenen Brief gegen Extremismus“4 in dem sie unter anderem
schreibt „Wir sind entsetzt und fassungslos über die aktuellen
Geschehnisse in unserer Stadt. Bitterfeld-Wolfen erlebt derzeit eine
zunehmende Gewaltbereitschaft und eine wachsende Anzahl gewalttätiger
Übergriffe einzelner Gruppierungen des linken wie des rechten Randes des
politischen Spektrums“. Die Ereignisse würden „ein schlechtes Licht
[werfen] auf unsere Stadt und damit auf uns alle. Sie drängen
Bitterfeld-Wolfen in der medialen Wahrnehmung in eine Richtung jenseits
von Toleranz, Offenheit und Verständnis.“ Sie führt weiterhin aus: „Wir
bekennen uns zu den demokratischen Grundrechten! Wir sind weltoffen und
tolerant! Wir respektieren keine Bewegung, die unsere Grundrechte
missachtet! Wir sind gegen Intoleranz, Fremdenhass und Ausgrenzung! Wir
wehren uns gegen jede Art von Gewalt! Wir sind eine Stadt ohne Rassismus
und mit Courage und werden das auch bleiben!“.
Wie so oft ist die größte Angst der lokalen Politiker_innen die
Schädigung des Stadtimages. Anstatt sich ernsthaft mit rechter Gewalt
oder der lokalen Neonaziszene auseinanderzusetzen wird sich hier mit
einem bloßen Lippenbekenntnis zur „Stadt ohne Rassismus“ aufgeschwungen.
Fassungslosigkeit und Entsetzen zeugen von Unwissenheit um das Problem,
welches nicht erst seit ein paar Tagen existiert, sondern – tief
verankert in der Gesellschaft – Platz hat, um sich auszubreiten. Rechte
und linke „Gewalt“ werden nun pauschal gleich in einem Satz genannt. So
werden die Angriffe von Neonazis, die dabei den Tod ihrer Opfer mehrfach
zumindest billigend in Kauf nahmen, mit einem an Hauswände gesprühten
„A“ im Kreis auf eine Stufe gestellt. Ein Musterbeispiel an
Verharmlosung und Relativierung!
Linke Interventionen
Nach den Angriffen und Überfällen auf verschiedene alternative Menschen
entschloss sich die linke Szene dazu, einen Stadtspaziergang zu
organisieren, um den lokalen Neonazis zu zeigen, dass sie nicht
unbekannt sind und es nicht hingenommen wird, wenn sie versuchen, in
Bitterfeld Zonen der Angst für Andersaussehende und (tatsächlich oder
vermeintlich) Andersdenkende zu erzeugen. Außerdem gab es diverse
Graffitis in der Stadt, um auf das Naziproblem hinzuweisen. Am 19.04.,
dem Sonntag nach dem Brandanschlag auf das linke Kulturzentrum AKW,
welches außerdem der Sitz des Vereins MKJC e.V. (Multikulturelles
Jugendcentrum e.V.) ist, gab es eine Spontandemonstration unter dem
Motto: „Nazis bekämpfen – Wir wehren uns gegen Hetze und Gewalt“. Dabei
wurde auf die oben beschriebene, rechte Gewalt Bezug genommen. Rund
60-70 Menschen beteiligten sich an der Demonstration. Es wurden Flyer
verteilt, welche über die Partei „Der III. Weg“ und die aktuellen
Naziaktivitäten in Bitterfeld hinwiesen. Die Resonanz der Bevölkerung
war durchwachsen, es gab aber durchaus auch Zuspruch zu verzeichnen.
Da wir eine Intervention in die rechte Hegemonie in der Provinz für
notwendig und legitim halten, rufen wir nun zu einer überregionalen
Demonstration in Bitterfeld auf. Wir wollen damit auf einem weiteren Weg
versuchen, Inhalte in die Bevölkerung der Stadt zu tragen und
potenziellen Betroffenen rechter Gewalttaten zeigen, dass sie auch in
der Provinz nicht allein sind und nicht vergessen werden. Wir sehen
diese Demonstration außerdem als eine Solidaritätsaktion für alle Opfer
rechter und rassistischer Gewalt. In Zeiten, in denen XGIDA´s
aufmarschieren, um ihren rassistischen Ressentiments freien Lauf zu
lassen, und es fast wöchentlich zu Brandanschlägen auf Flüchtlingslager
kommt, ist eine linke Intervention dringend nötig, gerade in der
Provinz.
Wir fordern, dass sich die ortsansässigen PolitikerInnen und Medien an die Fakten halten, öffentlich eingestehen, dass Bitterfeld sehr wohl ein Naziproblem hat, die rechten Übergriffe real sind und etwas gegen die Ausbreitung der neonazistschen Strukturen im Umland getan wird.
Lasst uns gemeinsam dem rechten Mob zeigen, was wir von Ihnen halten!
Kommt zur überregionalen Antifademo in Bitterfeld am 10. Mai 2015.
Treffpunkt: 14uhr, Busbahnhof am Bahnhof
www.focusthefacts.blogsport.de, www.bitterfeldrechtsaussen.blogsport.de