Polizeigewalt bleibt in Sachsen folgenlos

kennzeichnungspflichtdemonstration

Als am Sonntag die Nazis auf ihrem Trauermarsch durch Dresden zogen, kam es nach Darstellung des Bündnis “Dresden Nazifrei” immer wieder zu Übergriffen durch sächsische Einsatzkräfte der Polizei auf Gegendemonstrantinnen und Gegendemonstranten, bei denen etliche Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Da eine Auswertung durch das Bündnis auf Grund der großen Anzahl an Meldungen noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird, lässt sich bei einem Blick in die Statistik auch erkennen, warum dieses Verhalten in Sachsen für die an den gewaltsamen Übergriffen beteiligten Beamtinnen und Beamten in der Regel folgenlos bleibt.

 

Dass die Vorfälle längst keine Einzelfälle mehr sind, zeigt ein Beispiel vor einem Jahr, damals hatte die sächsische Bereitschaftspolizei eine mit Lösch- und Frostschutzmittel angereicherte Flüssigkeit gegen Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Kundgebung in Leipzig eingesetzt.

 

Bereits im Januar hatte dazu der Landtagsabgeordnete Enrico Stange (Die Linke) in einer Kleinen Anfrage im Sächsischen Innenministerium nach Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte gefragt. Aus der Antwort von Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) geht hervor, dass gegen die Polizei gerichtete Anzeigen wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Amt kaum eine Chance auf Erfolg haben. Während 2013 immerhin in drei Fällen Geldstrafen ausgesprochen wurden, konnte im vergangenen Jahr bei keinem der insgesamt 182 Verfahren durch sächsische Gerichte eine Schuld festgestellt und eine Strafe verhängt werden. Ähnliches gibt die Statistik auch für 2012 (216) und 2011 (168) aus. Die letzte und einzige Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe in den vergangenen vier Jahren datiert aus dem Jahr 2010.

 

Nur wenig anders sieht es in Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung im Amt, Beleidigung oder Bedrohung aus. In den wenigen aufgeführten Fällen schaffen es Anzeigen gegen Beamtinnen und Beamte angesichts der vorliegenden Daten in aller Regel nicht bis in den Gerichtssaal. Diese Diskrepanz zwischen polizeilichem Fehlverhalten und juristischer Aufarbeitung liegt nicht nur am mangelnden Ermittlungseifer in Teilen der sächsischen Justiz, sondern vor allem auch an fehlenden unabhängigen Kontrollinstanzen für Bürgerinnen und Bürger, um sich gegen Polizeigewalt oder andere durch Uniformierte verübte Straftaten juristisch zur Wehr zu setzen. Vor dem Hintergrund, dass die Polizei bei Großeinsätzen wie am 15. Februar oder am Rande von Fußballspielen verstärkt dazu übergangen ist, mit Sturmmasken vermummt aufzutreten, wurde in einigen Bundesländern mittlerweile eine individualisierte Kennzeichnungspflicht eingeführt.

 

Schon in der Vergangenheit waren auch in Sachsen Stimmen nach einer Kennzeichnungspflicht laut geworden. Ein durch die Grünen vor vier Jahren eingereichter Gesetzentwurf war vom zuständigen Innenausschuss des Sächsischen Landtags im April 2011 abgelehnt worden. Der Entwurf für mehr Bürgernähe und Transparenz bei Polizeieinsätzen sah eine generelle Pflicht zum Tragen von Schildern mit Namen und Dienstgrad vor. Auch auf die immer wieder aus den Reihen der Polizeigewerkschaften geäußerte Kritik, wonach Beamtinnen und Beamte darin eine Bedrohung ihrer Privatsphäre befürchten, wurde in dem Entwurf Rücksicht genommen. So sollten im Rahmen von brisanten Großeinsätzen individualisierbare Kennzeichen einen ausreichenden Schutz der Privatsphäre und Sicherheit gewährleisten. Derzeit sieht das Sächsische Polizeigesetz lediglich eine Ausweispflicht vor.

 

Deutschland gehört in Europa zu den wenigen verbliebenen Ländern, die sich bis heute gegen die flächendeckende Einführung einer Kennzeichnungspflicht gewehrt haben. Nachdem sich die Debatte jedoch auch hierzulande verschärft hat, wurde in einigen Bundesländern mittlerweile eine Kennzeichnung eingeführt, um damit eine Aufklärung von unrechtmäßiger Gewalt durch die Polizei zu erleichtern. Dazu gehören inzwischen Berlin, Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein; in Hessen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen ist die Einführung als Teil der Koalitionsvereinbarungen für dieses Jahr geplant.

 

Bereits 2010 hatte Amnesty International nach einer Reihe von ungeklärten Todesfällen eine Kampagne für mehr Transparenz bei der deutschen Polizei gestartet. Neben ihrer Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht hatte Amnesty darin auch die Einrichtung einer unabhängigen Kontrollinstanz nach dem Vorbild von Großbritannien, Irland und Norwegen verlangt. Dies wurde bislang von den Gewerkschaften mit der Begründung abgelehnt, damit unter Generalverdacht zu stehen.