"Bulle, dein Duldungsstatus ist aufgehoben"

Nach dem Chaoten-Angriff: die beschädigte Außenstelle der Polizei im Leipziger Stadtteil Connewitz
Erstveröffentlicht: 
09.01.2015

Trauriger Höhepunkt einer Anschlagsserie auf die Polizei: 16 Angriffe gab es bereits auf eine Polizeiwache in Leipzig. Doch jetzt erreichen die Anschläge aus der linken Szene eine neue Qualität.

 

Dieses Mal hätte es für die beiden Polizisten tödlich enden können. Zwar hat die Polizei bei ihrem Posten im Leipziger Stadtteil Connewitz seit der Eröffnung im Februar 2014 schon 16 Angriffe erlebt, aber der Anschlag am Mittwochabend war der bisher traurige Höhepunkt.

 

Aus Anlass des zehnten Todestages des Afrikaners Oury Jalloh, der in einer Polizeizelle in Dessau in Sachsen-Anhalt bei einem Feuer ums Leben kam, hatten rund 50 Vermummte die Außenstelle der Polizei im Süden von Leipzig angegriffen. Sie bewarfen alle Scheiben des Polizeipostens mit Pflastersteinen, Farbbeuteln und Feuerwerkskörpern und versuchten, über eine Tür einzubrechen. Der Posten ist tagsüber mit vier Beamten besetzt, abends leisten zwei Polizisten Dienst – am Mittwochabend waren es zwei Polizisten im Alter von 35 und 43 Jahren, die mit Schreibarbeit beschäftigt waren.

 

"Für die beiden Beamten war es die pure Hölle, sie hatten panische Angst", berichtet der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz. "Der Anschlag war feige und hinterhältig." Die Polizisten stünden unter schwerem Schock und würden von Polizeipsychologen betreut. Die Scheiben wurden zwar stark beschädigt, doch ihr Sicherheitsglas hielt den Angriffen stand, allerdings war dies zum Zeitpunkt des Attentats keinesfalls sicher. Denn die mehr als 30 Pflastersteine, die auf die Scheiben des Polizeipostens geworfen wurden, hätten die Polizisten auch treffen können – im schlimmsten Fall auch tödlich. Außerdem steckten die Angreifer einen Funkwagen in Brand, der im Hinterhof stand. Die Polizisten konnten dann das Feuer löschen.

 

Sachbeschädigungen, Körperverletzungen, schwerer Landfriedensbruch

 

16 Angriffe auf einen neuen Polizeiposten in nur elf Monaten, zu denen Sachbeschädigungen, gefährliche Körperverletzungen und nun der als schwerer Landfriedensbruch eingestufte Anschlag zählen – woran liegt das? Hierzu muss man wissen, dass die Stadt Leipzig einen Schwerpunkt des Linksextremismus in der Bundesrepublik darstellt und hier ganz besonders der Stadtteil Connewitz im Süden der Stadt. Immer wieder kommt es dort zu spontanen oder auch angemeldeten Demonstrationen von linken und eben auch linksextremen Gruppierungen, die oft in gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei enden.

 

Im Winter präparieren Demonstranten Schneebälle mit Steinen, bevor sie auf einer "Schneeballschlacht" geworfen werden – entsprechende Verletzungen können diese Schneebälle dann verursachen. Am Connewitzer Kreuz, einem zentralen Platz im Stadtteil, sind zu Silvester regelmäßig Straßenschlachten zu erwarten. Die Verkehrsbetriebe lassen deshalb in der Nacht zu Neujahr dort schon nicht mehr ihre Straßenbahnen fahren, damit sich der Schaden für sie in Grenzen hält.

 

Die Polizei wird von den Linksextremisten neben Banken und Konzernen als einer ihrer Hauptgegner angesehen, zahlreiche Extremisten wohnen auch in Connewitz: Bei spontanen Kundgebungen sind dort schnell auf einmal Hunderte Demonstranten zur Stelle. Nun hat die Polizei am Connewitzer Kreuz zwar seit zehn Jahren Überwachungskameras installiert, aber eben kein Polizeirevier in der Nähe. Im Sommer 2013 war in Connewitz ein Bürgeramt der Stadtverwaltung, wo etwa ein Ausweis beantragt und ein neuer Wohnsitz angemeldet werden kann, bei einem Anschlag verwüstet worden.

 

Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) und Polizeipräsident Merbitz, seit Oktober 2012 im Amt, nahmen dies zum Anlass, dass die Polizei erstmals im Stadtteil dauerhaft Präsenz zeigen kann: In einer neuen Außenstelle der Polizei in den ehemaligen Räumen des Bürgeramts. Für die Mitarbeiter des Bürgeramts wurden im selben Haus neue Räume hergerichtet. Deshalb ist der neue Polizeiposten den Linksextremen seit Februar 2014 ein Dorn im Auge.

 

Internet-Aufruf zur Gewalt mit 50 konkreten Zielen

 

Kurz vor Weihnachten veröffentlichten Linksextreme im Internet einen Aufruf zur Gewalt mit 50 konkret benannten Zielen in Leipzig – ein Novum. Dazu zählten selbstverständlich auch Dienststellen der Polizei. Am Mittwoch wurde aus der Ankündigung Realität. Ebenfalls im Internet wurde kurz nach dem Anschlag auf den Polizeiposten ein Bekennerschreiben von Linksextremen veröffentlicht, in dem sie sich auf den Jahrestag des Todes von Oury Jalloh beziehen.

 

"Linksextreme nehmen oft Anlässe wie Jahrestage oder Vorfälle in anderen Städten, um Resonanzstraftaten in Leipzig zu verüben", sagt Merbitz, der außerdem die Spezialabteilung der sächsischen Polizei gegen Links- und Rechtsextremismus mit rund 120 Beamten leitet, die Operatives Abwehrzentrum heißt. Jalloh war am 7. Januar 2005 in einer Polizeizelle in Dessau bei einem Brand ums Leben gekommen, ein Dienstgruppenführer der Polizei wurde deshalb im Dezember 2012 zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Im April 2014 hat die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau ein neues Ermittlungsverfahren zur Klärung der Todesursache eingeleitet.

 

Doch was haben die beiden Leipziger Polizisten damit zu tun, die am Mittwochabend in Connewitz Schreibdienst leisteten? "Hier sind Grenzen überschritten worden, und ich werde kein Verständnis dafür aufbringen, Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von Zielen einzusetzen", sagt Merbitz. "Man muss sich auch überlegen, in welchen Zustand man Beamte bringt, wenn man sie so angreift wie es geschehen ist."

 

Er verweist darauf, dass in dem Bekennerschreiben Gewalt gegen Menschen ausdrücklich in Kauf genommen wird: "Bulle dein Duldungsstatus ist aufgehoben und deine Aufenthaltserlaubnis erloschen wie das Feuer in dem Streifenwagen hinter der Wache und so wirst du von uns mit genau solcher Respektlosigkeit und Gewalt behandelt, wie du Flüchtlinge behandelst", heißt es dort.

 

Polizei und Stadt lassen sich nicht einschüchtern

 

Lange Zeit wurde in der linken Szene zwar Gewalt gegen Sachen als legitim angesehen, aber eben nicht gegen Menschen. Dass sich dies offenbar geändert hat, zeigt nicht nur die Brutalität des Anschlags, sondern auch, dass die Angreifer auf den Straßen Krähenfüße ausgelegt hatten, mit denen die Reifen von Autos zerstört werden, die darüber fahren – etwa eintreffende Polizeiautos. Doch es hätte auch Rettungswagen im Notfalleinsatz treffen können, da sich in direkter Nähe des katholische Krankenhaus St. Elisabeth befindet. "Oder einen Vater mit seinem Kind im Auto, der mit den plötzlich leeren Reifen die Kontrolle über seinen Wagen verliert und bei einem Unfall verunglückt", sagt Merbitz.

 

Doch die Polizei und die Stadt Leipzig wollen sich von dem Anschlag nicht einschüchtern lassen. "Wir werden den Polizeiposten so schnell wie möglich wieder herrichten", kündigt Oberbürgermeister Jung an. "Die große Mehrheit der Connewitzer ist froh, dass die Polizei im Stadtteil vor Ort präsent ist, und das wird auch so bleiben."

 

Merbitz berichtet davon, dass "Leute aus dem Stadtteil meinen Beamten Mut zugesprochen und gesagt haben, geht hier nicht weg, wir wollen euch hier wieder haben". Dass die Polizei auch in Connewitz mit dem Polizeiposten weiter Präsenz zeigt, sieht der Polizeipräsident als seine Pflicht an: "Sonst entstehen rechtsfreie Räume in der Stadt, das werde ich nicht zulassen."