Aufgeschreckt durch eine Demonstration am vergangenen Samstag, bei der 90 Teilnehmer*innen des AJUCAs (Alternatives Jugendcamp) in der Müritz-Stadt gegen rechte Strukturen und für linke Freiräume auf die Straße gegangen sind, sahen sich Neonazis offenbar dazu gezwungen, ihre „Hood“ gegen linke Einflüsse zu verteidigen. Ihre heutige Kundgebung „Keine linken Dinger in unserer Stadt“ hätte unspektakulärer aber kaum sein können: Gerade einmal 8 Neonazis, 2 Fahnen und 1 Transpi fanden den Weg zum Kundgebungsort am Warener Hafen, wo sie von 100 Gegendemonstrant*innen bereits lautstark erwartet wurden.
Hintergrund: Antifa-Demo und Naziaktivitäten
Am vergangenen Samstag demonstrierten 90 Teilnehmer*innen des in Lärz stattfindenden AJUCAs in Waren gegen Naziaktivitäten und für linke Freiräume, verteilten Flyer und gedachten der Opfer des Nationalsozialismus. Hintergrund war eine Neonaziaktion wenige Tage zuvor, bei der im Rahmen des Todestages Rudolf Hess' nicht nur Kreuze aufgestellt wurden, die an den Hitler-Stellvertreter erinnern sollten, sondern auch ein Denkmal für die Opfer des Faschismus geschändet wurde.
Immer wieder fallen die Warener Neonazis durch ihren positiven Bezug zum Nationalsozialismus auf – erst im April zelebrierten sie beispielsweise den Geburtstag Adolf Hitlers – und auch generell sind Neonazis momentan an kaum einem anderen Ort Mecklenburg-Vorpommerns so aktiv wie in der Stadt an der Müritz. Während es im restlichen Bundesland gegenwärtig außergewöhnlich ruhig ist – vermutlich auch, weil lokale Kader Strukturen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg bei den Vorbereitungen zu deren Landtagswahlen unterstützen –, sind in Waren kontinuierlich kleinere und größere Neonaziaktivitäten zu beobachten: Demonstrationen, rechte Graffiti, Einschüchterungsversuche. Wie sich heute allerdings wieder zeigte, steht dieser hohen Aktionsdichte allerdings ein vergleichsweise kleiner Kreis an Aktiven gegenüber.
8 Neonazis, 2 Fahnen, 1 Transpi – und eine altersschwache Musikbox...
Bereits zwei Tage nach der Antifa-Demo am vergangenen Wochenende kündigte der Warener Neonazi Chris Henry Knaak, neben der NPD-Stadtvertreterin Doris Zutt Schlüsselfigur der lokalen Szene, eine Kundgebung unter dem Motto „Keine linken Dinger in unserer Stadt“ an. Ganz puristisch ging es ausnahmsweise nicht etwa um „linke Gewalt“, „Chaoten“ oder sonstige rechte Phantastereien, sondern ganz einfach um den Umstand, dass es – aus Sicht der Neonazis – überhaupt linke Menschen wagen, in Waren Position gegen rechts zu beziehen. So schrieb Knaak am 25. August auf einem seiner unzähligen Facebook-Profile: „Liebe Bürger der Stadt Waren, Unterstützer und Freunde, am letzten Sonnabend demonstrierten Linksextreme in Waren. Das wollen wir nicht einfach hinnehmen. […] Zeigt Flagge gegen, linke in unserer Stadt.“
Der Aufforderung, zahlreich zu erscheinen, um „ein Zeichen gegen links“ zu setzen, folgten dann heute jedoch nur 8 AktivistInnen (Bilder 001, 002, 003); einige wenige weitere UnterstützerInnen begrüßten die Neonazis zwar im Vorbeigehen per Handschlag, dem Trauerspiel beizuwohnen, dazu fehlte ihnen aber offenbar die Lust. So kam es dann, dass lediglich die etwa 100 Gegendemonstrant*innen und weitere Tourist*innen, die sich dem linken Protest anschlossen, die Reden der Neonazis hörten – sofern diese nicht ohnehin durch Sprechgesänge, Musikbeschallung und Pfeifkonzerte übertönt wurden.
Nicht gerade durch Eloquenz bestechend, forderte Chris Henry Knaak Stadt und Behörden auf, Doris Zutt als NPD-Stadtvertreterin zukünftig im Vorfeld über jede geplante und bekannte linke Aktivität zu unterrichten und linke Ordnungswidrigkeiten (Aufkleber) hart zu ahnden, während selbige kurz darauf über die altersschwache Musikbox, die kaum größer und lauter war als jedes handelsübliche Kofferradio, die übliche Leier anstimmte und etwas von „Systempresse“ schwadronierte (Bild 008).
Unterstützt wurden die beiden dabei unter anderem vom NPD-Kandidaten für Teterow (Landkreis Rostock) Adrian Wasner und Christoph Thews, der ebenso wie am vergangenen Wochenende vor „Zutt's Patriotentreff“ auch heute wieder trotz sommerlicher Temperaturen und strahlenden Sonnenscheins mit Handschuhen unterwegs war.
So richtig wussten die Neonazis dann auch nichts mit der Situation anzufangen. Nach einigen weiteren Liedern, noch mehr Gähnen und endlosem Rumstehen packten sie bereits zwei Stunden vor dem offiziellen Ende wieder zusammen und traten den Rückzug an. Ganz vorbei war der Tag damit jedoch noch nicht.
Das Nachspiel: Von „Mahnwachen“, Kanthölzern und eingeredeten Erfolgen
Vielleicht, um den eigenen Misserfolg doch noch ein wenig aufpolieren zu können, entschieden sich die Neonazis im Nachgang für eine weitere Aktion: Sie nennen es Mahnwache, andere würden dazu „2 Nazis – 1 Transpi – Kein Publikum“ an der Schnellstraße vor „Zutt's Patriotentreff“ sagen. Allein waren die beiden indessen nicht – und wofür sich Warener Neonazikader, im Gegensatz zu einer Kundgebung am Hafen, wirklich begeistern lassen, wurde wenig später deutlich: Mit Kanthölzern bewaffnet, postierten sich mehr als die 8 zuvor an der Kundgebung teilnehmenden Neonazis versteckt rund um den „Patriotentreff“ und zeigten vorbeikommenden Antifaschist*innen den Hitlergruß (Bild 004).
Erwartungsgemäß versuchen die Neonazis im Nachgang trotzdem, den Tag als Erfolg für sich zu verkaufen, und liefern die treffendste Einschätzung dabei selbst; so schreibt Knaak „Wir sehen die Kundgebung als Erfolg viele Urlauber sind stehen geblieben und haben uns zugehört.“ – abgesehen davon, dass stehengebliebene Tourist*innen sich dem linken Protest angeschlossen haben, haben die Neonazis heute keine Menschen aus Waren erreicht.
Uns bleibt zu sagen: War schön in Waren, wir kommen gern wieder!