Erich Mühsam - Gedenken in Oranienburg - interview in der Gǎi Dào

Erich Mühsam- ein stabiler Typ!

Das anarchistische Magazin Gǎi Dào und die Gruppen der Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen unterstützen anlässlich des 80. Todestag von Erich Mühsam Aktionen, die seiner gedenken. Mit den Organisator*innen der Gedenkdemonstration in Oranienburg hat die Gǎi Dào ein Interview geführt. Hier kann es nachgelesen werden.

Die Gedenkdemo zum 80. Todestag von Erich Mühsam wird ja von einem Bündnis verschiedener Gruppen organisiert. Sagt zunächst mal ein paar Sätze über euch, wer macht da mit & wie ist die Idee entstanden?


Bündnis klingt immer so groß. Wir sind eine handvoll Leute, die sich eigentlich fast alle vorher schon persönlich kannten. Alle irgendwie anarchophil und in unterschiedlichen Feldern aktiv. Menschen von der der NEA North-East Antifascists und AINO Antifaschistische Initiative Nord Ost also Antifa-Gruppen, die auch gleichzeitig mit der Berliner VVN-BdA Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten vernetzt sind, Leute aus dem WB13 ein alternatives Kulturzentrum in Hohenschönhausen und Leute von der ASJ Berlin Anarcho-Syndikalistischen Jugend.

Da die ASJ schon öfter zu Mühsam gearbeitet hat und der Kontakt zur VVN-BdA immer für eine Enge Anbindung an Gedenkpolitik sorgt, lag es nahe, das Projekt zusammen zu starten. Da wir wie gesagt alle nen libertären Schlag haben, kam Mühsam sozusagen wie gerufen, um mal nen Anarcho-Schwerpunkt in der antifaschistischen Gendenkkultur zu setzen. Gewünscht hätten wir uns auch ein größeres Bündnis, aber in den letzten Monaten gab es einfach zu viel zu tun. Die Resonanz aus der „Szene“ ist bis jetzt auf jeden Fall sehr gut, sodass ein größeres Bündnis auch locker zustande gekommen wäre.

Über und von der Person Erich Mühsam gibt es zahlreiche Bücher und man erfährt einiges auf eurer Homepage. Es wäre sicher undenkbar alle Facetten, Taten und Ideen Mühsams in so einer Form angemessen darzustellen. Dennoch für alle, die mit dem Namen nichts anfangen können, einmal kurz und knapp: Wer war Erich Mühsam?


Natürlich ein cooler Dude! Nein im Ernst, wir sind ja keine wirklich Anarchismus oder Erich-Mühsam-Nerds – die Frage, wer Mühsam also war müssen andere beantworten, oder man liest mal in seine Autobiographie rein. Ich glaube was wir als Gruppe an Mühsam sympathisch finden ist, dass er anscheinend eine ziemlich ehrliche Haut war. Und das zu Anderen und zu sich selbst. Er war kein Dogmatiker, sondern ein Mensch voller Widersprüche – das haben wir auch probiert in unserem Aufruf rauszustellen. Dessen war er sich bewusst und irgendwie scheint ihn dieses Annehmen seiner eigenen Widersprüche immer wieder angetrieben zu haben zu neuen Abenteuern und im politischen Kampf. Würden wir es runterbrechen auf drei Worte, dann war Mühsam: Anarchist, Antifaschist und Freigeist.

Michael Bakunin – der ja innerhalb des Anarchismus als ein zentraler Theoretiker des 20. Jahrhunderts gilt und auch immer wieder von „Mainstream-Medien“ rezipiert wird – feiert dieses Jahr seinen 200. Geburtstag. Auch das wäre ein idealer Anlass für eine Gedenkdemo gewesen. Wieso stattdessen Mühsam?

Die Frage stellte sich ja so für uns nicht. Der 80. Todestag Mühsams war einfach präsent für uns und wir hatten Bock, dazu was zu machen. Von daher war ein Abwägen nicht nötig. Die örtliche Nähe seiner Ermordung und seiner Grabstätte spielten mit Sicherheit auch eine Rolle. Dass Mühsam in seiner aktuellen Präsenz mehr ist als ein anarchistisches Theoriebollwerk, wie es Bakunin für uns ist, erleichterte die Sache. Die Vielschichtigkeit seiner Person hat uns angefixt und ist etwas mit dem wir uns persönlich identifizieren können.

Mühsam wird – wie viele Akteur*innen aus und vor seiner Zeit – von einigen Teilen der anarchistischen Bewegung abgelehnt, oder ist erst gar nicht präsent. Die Situation sei damals eine völlig andere gewesen, somit seien Analysen, Strategien und Organisationsmodelle auch vollkommen überholt, ist dabei ein zentraler Kritikpunkt. Wie seht ihr das? Macht es 2014 noch Sinn etwas von Mühsam zu lesen?

In unutopischen Zeiten, die hierzulande keine Aussicht auf Revolution bieten macht es aus unserer Sicht Sinn, statt von einer Bündnis-Huddelei zur nächsten zu stolpern, wie beispielsweise bei Anti-Naziprotesten, auch mal wieder was Anarchistisches aus dem Bücherregal zu ziehen. Nicht um den Notwendigkeiten zu entsagen, sondern um sich zu erinnern, dass es ja eigentlich um mehr geht als beispielsweise “nur” um niedrigere Mieten. Obwohl das vielleicht heute ja schon die reale Utopie ist. Nicht weil “wir” das so wollen, sondern weil die kapitalistische Realität jede Utopie mehr und mehr abschleift.

In unseren Zusammenhängen haben wir zudem das Gefühl, dass es derzeit eher wenig Verbindendes zwischen Politaktivismus und “privater” Identität von Aktivist*innen gibt. Da muss das Soziale dann zu oft hinten anstehen. In Mühsams Person kommt das sehr wohltuend zusammen, da er ja tatsächlich mehr war, für sich und seine Leute, als eine „reine“ Polit-Identität. Wenn man Mühsam zur Hand nimmt kann man Grundsätzliches über den “Humbug der Wahlen” oder programmatische Schriften wie “Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat” lesen. In anderen Zeichnungen und Gedichten wiederum geht es um “Schnaps” und Lebensfreunde, in einem Tagebucheintrag von ihm wiederum schreibt er seinen Ärger darüber nieder, dass ihm auf Grund eines Trippers der “Koitus” mit seiner Geliebten verwehrt bleibt. Das hat für uns so ne warme persönliche Note, der wir gerne häufiger begegnen würden. Sowas macht Menschen natürlich leichter kritisier- und angreifbar, was jetzt nicht heißen soll, dass wir deshalb Mühsam jeder Kritik entheben – viele seiner Ansichten sind sicherlich nicht mehr zeitgemäß. Aber an Selbstkritik und Einsicht glauben wir hat es einem Mühsam doch eher nicht gemangelt.

Oft wird auch allgemein eine solche Fokussierung auf einzelne Personen kritisiert, insbesondere wenn sie als „Begründer“, „Vorreiter“ oder gar „Vater“ (an der Stelle bewusst nur die männliche Form) des Anarchismus präsentiert werden. Tatsächlich kenne auch ich Menschen, die Mühsam, Bakunin und vergleichbare Menschen ihrer Zeit eine – fast schon ehrerbietungsvolle – Stellung im Anarchismus einräumen, wie sonst nur orthodoxe Marxist*innen ihrem Namensgeber. Der Umgang nimmt da teilweise schon fast folkloristische Züge an. Gleichzeitig werden unzählige Menschen, die mit ihnen lebten, wirkten und kämpften niemals in einem Geschichtsbuch auftauchen, oder deren Texte auch hundert Jahre nach ihrem Tod neu aufgelegt. Wäre es nicht weit mehr im Sinne des Anarchismus, sich an Perioden oder konkrete Ereignisse – und somit an alle Beteiligten – zu erinnern, anstatt an eine Handvoll „Heroen“?

Also die Nordostberliner Antifaschisten im Bündnis machen seit Jahren Gedenkpolitik. Damit fügt sich auch die jetzige Mühsam-Demo in eine Reihe vieler Gesichter und Geschichten ein, die wir in den letzten Jahren in unseren Nachbarschaften thematisiert haben. Dabei ging es nie um eine Heroisierung von widerständigen Persönlichkeiten. An Menschen, die z.B. Jüd*innen versteckten, Oppositionelle deckten und auf ihre eigene Art versuchten dem NS entgegenzutreten oder sich ihm zu entziehen, gilt es in gleichem Maße zu erinnern. Diese Fälle Aufzuzeigen hat für uns in gewisser Weise auch einen anarchistischen Kern, da dies den bloßen Fokus weg vom 8. Mai und die militärische Zerschlagung Nazideutschlands auf diese ganz „normalen“ Nachbarn legt. Denn diese haben gezeigt, dass es auch möglich war in der Stunde schlimmster Unterdrückung trotz Denunziantentum Widerstand zu leisten. Dies hat etwas sehr Selbstermächtigendes. An die guten Taten dieser “kleinen Leute” können sich die Menschen erinnern und ein eigenes Handeln ableiten, weil sie unserer Lebensrealität oft näher sind als der der Befreiungs-Armeen.
Für die italienische Studierendenbewegung waren die Partisanen-Grüppchen beispielsweise die kleinsten demokratische Zellen und damit Vorbild. Gerade das Wirken in der Illegalität, wo es unabhängig von den Parteiführungen aus Prag (SPD) und Moskau (KPD) zu Kooperationen kam sind Momente dezentraler Organisation.

Bei Mühsam sehen wir ein größeres Mobilisierungspotential um libertäre Inhalte mit Gedenk-Politik und Antifaschistischer Praxis in einem von Nazi-Strukturen geprägten Vorort von Berlin zusammenzubringen. Zu oft laufen diese Feldern einfach nur nebeneinander und nicht miteinander ab. Wir hoffen mit dem Gedenken das inhaltliche Profil antifaschistischer Gedenkpolitik etwas beeinflussen und schärfen zu können, einfach weil Mühsam viel Richtiges, Schönes und auch Witziges zu sagen hatte.

 

Der Aufruf legt den Schwerpunkt auf das Leben und Wirken von Mühsam; Bezüge auf die heutige Zeit und die aktuell stattfindenden Konflikte und Kämpfe tauchen nicht – bzw. nur indirekt – auf. Wollt ihr bewusst den Fokus auf die historische Person Mühsam legen, oder werdet ihr auch den Bezug zu aktuellen Themen herstellen?


Bei historischen Personen und Ereignissen ist das natürlich immer so eine Sache. Mit Sicherheit ließen sich Verbindungen herstellen, Parallelen ziehen oder Vergleiche anstellen. Bezogen auf Konflikte und Kämpfe stellt sich tatsächlich die Frage inwieweit das für die Gegenwart zweckdienlich wäre. Meist klingen derlei Aufrufe ziemlich gestelzt: Zwei Absätze zu Nazistrukturen, einer zu Alltagsrassismus und globaler Krise, eine halber Absatz gegen Alle Ismen die Linke so ablehnen…Wir wollen die Person Mühsam auch nicht überinterpretieren. Wir finden es eher bereichernd Erich Mühsams Leben und Werk als Folie anzusehen, an der die Leute abchecken können, welche Aspekte sie gut finden und inwiefern sie diese in ihren Alltag oder ihr politisches Handeln mitnehmen

Wenn wir allerdings schonmal in Oranienburg sind wird es auch einen Antifa-Schwerpunkt geben. Da gibt es seit Jahren gravierende Nazi-Probleme und eine Polizei die zu Nazistrukturen schweigt aber alles darangesetzt hat die letzte aktive Antifa-Struktur vor Ort zu zermürben.

 

Liegt der Fokus eurer Mobilisierung auf – mehr oder weniger explizit – anarchistischen Gruppen und Projekten, oder bemüht ihr euch auch Menschen darüber hinaus zu erreichen; sowohl aus anderen linken Strömungen, als auch die unpolitisierte Mehrheit? Und wenn ja, wie? Konkret: Wieso sollten diese Menschen an einer solchen Gedenkdemo teilnehmen?


Eine spezielle Zielgruppe haben wir uns nicht gesetzt. Wer sich von unserem Aufruf angesprochen fühlt, wer Mühsam gut und antifaschistisches Gedenken wichtig findet, wem autonome Selbstbespaßung in Kreuzberg zu langweilig ist, wer Support im Brandenburger “Outback” für sinnvoll hält und für wen der Anarchismus noch ne Möglichkeit ist, sollte auf jeden Fall vorbeischauen.

 

Was wird uns bei der Demo erwarten? Konkret: Wo lang wird sie laufen, welchen Charakter soll sie haben, sind irgendwelche Besonderheiten geplant?


Gespickt von thematisch passenden Redebeiträgen und vertonten Texten von Mühsam wird die Demo durch Oranienburg vorbei am Standort des ehemaligen “wilden” KZ-Oranienburg, an dessen Stelle heute ein Lidl steht, und am Mühsam Gedenkmal vorbeiführen. Dabei wünschen wir uns eine Mischung aus Gedenkspaziergang und aktivistischer Demo. Auf der Abschlusskundgebung wird es von Kleinkünstlern noch musikalische Live-Interpretationen von Mühsam-Texten geben.

Wollt ihr es bei der einmaligen Demo belassen, oder habt ihr noch Pläne für die Zeit davor & danach? Konkret: Wird es im Vorfeld, oder danach zusätzliche Veranstaltungen, Aktionen oder Publikationen geben? Gibt es Bestrebungen, dass Bündnis in irgendeiner Form weiter zu führen?


Teile von uns haben anlässlich des 70. Todestages von Erich Mühsam eine kleine Broschüre mit biographischen Texten, Gedichten und Bildern von ihm herausgebracht. Wir sind dabei diese wieder zu aktualisieren, zu erweitern und aufzufrischen. Wenn alles klappt wird sie zum Gedenken fertig gedruckt sein.

Wir wollen es bei der einmaligen Demo belassen. Da wir uns persönlich kennen werden wir sicher wieder aktiv werden wenn ein passendes Thema anliegt.

Wir unterstützen natürlich die anderen Veranstaltungen um den 10.Juli, wie das Mühsamfest am Nachmittag des 12.Juli, also im Anschluss des Gedenkens, am Ostkreuz und den Kleinkunstabend in der Regenbogenfabrik in Kreuzberg am 11.Juli. Mit Sicherheit werden auch noch weitere interessante Veranstaltungen auch bundesweit stattfinden, bei denen sich Mühsam entdecken lässt.

 

Im Anschluss an die Demonstration findet das Erich-Mühsam-Fest statt. Dieses gibt es nun schon seit einigen Jahren. Gibt es – abgesehen vom Thema natürlich – Verbindungen zwischen den beiden Projekten? Und was erwartet mich auf diesem Fest?


Vom Mühsam-Fest haben wir lustigerweise erst erfahren, als wir schon mitten in der Orga waren. Aber wir stehen in Kontakt und unterstützen uns beidseitig. Anwesend sind unteranderem Chris Hirte, der Herausgeber der Mühsam-Tagebücher und Uschi Otten, die zum Leben von Erich Mühsams Frau Zenzl referieren wird. Zenzl Mühsam saß ja nach dem Tod ihres Mannes noch lange in sowjetischen Lagern und wurde erst 1955 entlassen. Besonders sehenswert ist auch die musikalischen Einlagen vom Singende Tresen und Outsourced Underground. Letztere sind ein neues Rap-Core-Projekt mit Lena Stöhrfaktor und Tapete am Mikro. Wir werden dort abends mit Sicherheit anzutreffen sein.

 

Habt ihr sonst noch etwas, dass ihr mitteilen wollt?


Mühsam war ein stabiler Typ, ein Punk und weil wir Punks sind und weil ihr Punks seid, müsst ihr kommen.
<3 Alerta und Viva la viva la anarquía <3