Dritte Demo gegen Zwangspsychiatrie in Gießen (13.5.2014)

Transpi: Zwangsanstalten abschaffen

Zum dritten Mal in diesem Jahr zogen eine kleine Demonstration auf das Gelände der Zwangspsychiatrie in Gießen (Vitosklinik, Licher Straße), um dort lautstark gegen solches Einsperren und die folterähnliche Praxis von Zwangsmedikamentierung, Fixierung usw. zu protestieren. Anlass war das Ende des Prozesses gegen Dennis Stephan, der zwangspsychiatrisiert wurde, aber aufgrund öffentlichen Drucks wieder freigelassen wurde - einer der bisher sehr wenigen Erfolge dieser Art gegen den Moloch Zwangspsychiatrie. Die Demoroute führte vorbei an weiteren Formen der Ein- und Ausgrenzung in einer autoritären Welt.

 

Freispruch für Dennis Stephan - mit Schönheitsfehlern

 

Der Fall "Dennis Stephan" ist vorläufig beendet. Die Repressionsapparate schafften es nicht, den unbequemen Linkenpolitiker geräuschlos in die Psychiatrie zu entsorgen. Am 13.5.2014 endete das Gerichtsverfahren mit einem Freispruch. Die Junge Welt schrieb am Folgetag: "Der Linken-Politiker Dennis Stephan ist am Dienstag vom Landgericht Gießen vom Verdacht der schweren Brandstiftung freigesprochen worden. Stephan, Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Kreistag Gießen, war monatelang in die Psychiatrie gesperrt und mit Kontaktverbot belegt worden (jW berichtete). Für diese Zeit wird er nun entschädigt werden. Die Höhe der Entschädigung soll in einem separaten Verfahren geregelt werden. Das Urteil ist rechtskräftig." Am 15.5.2014 folgte dann ein umfangreicher Rückblick auf den Prozess und das Urteil.

 

Auch in anderen Zeitungen wurde über den Freispruch berichtet, z.B. im Gießener Anzeiger:

 

Dennis Stephan, Kreistagsmitglied der Partei „Die Linke“, wurde gestern von der Zweiten Strafkammer des Landgerichts Gießen freigesprochen. Zusätzlich entschied das Gericht, dass Stephan für den erlittenen Schaden durch „die vorläufige Unterbringung“ in einem psychiatrischen Krankenhaus entschädigt werden muss. Stephan war vorgeworfen worden am 30. Juni vergangenen Jahres im Badezimmer seiner damaligen Wohnung in Beuern einen Brand gelegt zu haben. Dabei verkokelten einige „persönliche Dinge“, die aber keinen größeren Schaden im restlichen Badezimmer anrichteten. Gewertet hatte das Gericht diesen Vorfall jedoch nicht als vollendete oder versuchte Brandstiftung, sondern lediglich als Sachbeschädigung, die „einen anderen Straftatbestand als angeklagt darstellt“, so das Gericht.

 

Allerdings ist nicht alles befriedigend. Denn trotz Freispruch ließ sich das Gericht nicht nehmen, noch einmal einen Menschen für krank zu erklären. Das berichtet die Gießener Allgemeine dann auch gleich zu Beginn:

 

Dennis Stephan ist ein freier Mann, kein Brandstifter. Und er leidet an einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, ist deshalb schuldunfähig. So sieht es die Zweite Große Strafkammer des Gießener Landgerichts, die am Dienstag ihr Urteil verkündete.

 

Höhepunkt des Prozesstages war wieder einmal ein Beitrag von Dennis selbst. Über sein Schlusswort berichtet tv-orange:

 

Um 15:20 Uhr beginnt Dennis Stephan seine Schlussworte. Eigentlich hätte er gar nicht mehr das Wort ergreifen wollen, aber die Vorlage des Staatsanwaltes in dessen Plädoyer verlange nach einer Richtigstellung. “Herr Staatsanwalt, Sie suchen die Bühne! Sie machen mich von einem ganz normalen Bürger zu einem Monster!” Aufgrund einer veröffentlichten Nachricht in einer Zeitung, die von Seiten des Staatsanwaltes von einer nichtöffentlichen Sitzung an die Presse herausgegeben worden sei, verlangte Dennis Stephan vom Staatsanwalt gleich zu Beginn des Prozesses eine Stellungnahme. Diese verweigerte der Staatsanwalt mit dem Hinweis und Blick in den Zuschauerraum, dass er diese Erklärung hier im Gerichtssaal nicht abgeben werde, da der Angeklagte nur eine Bühne suche, um sich darzustellen. In seinen Schlussworten trat Dennis Stephan genauso wortgewandt und energetisch stark auf wie in allen Verhandlungstagen zuvor. Präzise und auf den Punkt gebracht konterte er alle Vorwürfe und überzeugte in der Sache. Die Retourkutsche mit der Selbstdarstellung in Richtung Staatsanwalt jedenfall saß. Zum Vorwurf der schweren Brandstiftung hätte der Staatsanwalt ihm bislang noch kein Motiv nachgewiesen und somit sei “Ihr Bild von einem Wilden, der irre lacht” zunichte gemacht worden. Stephan stellte die Zwangspsychiatrisierung und den Prozess gegen ihn als eine “Form der öffentlichen Hinrichtung” dar. Der Angeklagte richtete ein inbrünstiges Plädoyer an den Staatsanwalt, dass dieser die Angeklagten, die nach ihm auf diesem Stuhl im Gerichtssaal sitzen würden, mit anderen Augen ansehen solle. So stellte er noch Inhalte zur Zwangspsychiatrisierung und zu den Gutachtern klar und nochmals an den Staatsanwalt gerichtet beteuerte Dennis Stephan, dass wenn er die Medikamente eingenommen hätte, die ihm verabreicht hätten werden sollen, dann wäre er “mit stumpfem Blick” und teilnahmlos im Gerichtssaal gesessen. Mit seinem entschiedenen Kampf durch die unzähligen Gerichtstage hat sich Stephan einer mentalen Stärke bedienen dürfen, die vermutlich nur wenige in dieser Form und in dieser Lebenslage an den Tag legen können. “Wenn wir das erreicht haben, dann hätte das hier etwas genutzt!”, so der Angeklagte zum Staatsanwalt und zu seinem inneren Auftrag als Vorkämpfer für weitere betroffene Falschbeschuldigte. Stephan und seine Mitstreiter haben als Whistleblower eine Schneise durch die Vorverurteilungsmechanismen der deutschen Gesellschaft und der Justiz geschlagen. Denn wer hätte früher schon geglaubt, dass Menschen in solch fatale Maschinerien geraten können? Spätestens seit Gustl Mollath wurde der Blick der Gesellschaft in Richtung Gerichte, unheilvolle Zwangspsychiatrisierung und Unrecht-Sprechung geschärft.

 

Demonstration: Von Zäunen und Mauern, die ein- oder ausgrenzen

 

Der Protestzug begann unmittelbar nach Urteilsverkündung vor dem Landgericht. Die ersten Redebeiträge galten der Kritik an einer Justiz, die ja in Gießen jahrelang genau analysiert wurde, so das die Skandale dort gut dokumentiert sind (www.fiese-tricks.de.vu). Wenige Meter entfernt liegen die beiden Gießener Gefängnisse - der geschlossene und offene Vollzug. Redebeiträge ließen keinen Zweifel, dass solche Einrichtungen für Menschen niemals gut sein können und nur den Allmachtsphantasien des Staates dienen (www.welt-ohne-strafe.de.vu). Redner Jörg Bergstedt, selbst mehrfach hier eingesperrt, erntete für seine deutlichen Worte lautstarkes Echo und Unterstützung aus den Zellen des Knastes.

 

Am Ende der Gutfleischstraße, wo die Gießener Justizgebäude und die Knäste liegen, stieß die Demo auf den Eingangsbereich der gerade laufenden Landesgartenschau. Auch hier gab es Redebeiträge vor dem für mehrere Monate eingezäunten, größten Park von Gießen. Hier dienen die Zäune der Ausgrenzung. Arme und unerwünschte Menschen würde über hohe Eintrittspreise draußen gehalten, während sie bei den anderen Zäunen vor allem drinnen dominieren. Beides seien die Folgen der gleichen Politik.

 

Nach einem anschließenden längeren Marsch ging es dann zur Forensik der Vitosklinik, wo mit lauten Ansprachen und Musik sowohl die Gefangenen angesprochen wie auch die Klinikverwaltung kritisiert wurde. Wieder ließen alle Redner_innen keinen Zweifel: Es geht kurzfristig um deutliche Verbesserungen und das sofortige Ende aller Unterdrückungsmaßnahmen. Das eigentliche Ziel sei aber, Zwangspsychiatrien ganz abzuschaffen. Die Idee, die 12 Sofortforderungen mit Kreide überall auf das Gelände zu malen, musste wegen Regens verschoben werden. Nächstes Mal ...

 

Wie weiter?

 

Die nächste Demonstration gegen Zwangspsychiatrie

  • Sa, 7.6., 17 Uhr, diesmal Treffpunkt direkt am Eingang der Vitos-Klinik Gießen (Licher Straße) und dann über das Gelände:

Zwei passende thematische Veranstaltungen in den nächsten Tagen in Baden-Württemberg:

  • Sa, 17.5. um 17 Uhr in Offenburg (Alevitisches Zentrum, Otto-Hahnstr. 9A): Workshop zu "Alternativen zu zu Knast und Strafe"
    Strafe soll gewaltförmiges Verhalten von Menschen stoppen. Tatsächlich tut sie genau das Gegenteil. Wie jede andere autoritäre Struktur treten unter Kontrolle, Strafjustiz und Knast deutlich mehr Gewalttätigkeiten auf. Gerichtsverfahren und Urteile verhindern nicht Straftaten, sondern tragen zur Kriminalisierung bei. Das zeigt selbst eine Studie der Bundesregierung - und dennoch wird immer härter bestraft, mehr Überwachung, mehr Kontrolle und neue Knäste gefordert. Wenn es um Nazis geht, stimmen auch linke Gruppen in den Chor des Bestrafungs-„Fanblocks“ ein.
    Der Wegfall von Atomkraft ist für viele noch vorstellbar, ohne grundsätzlich an den Rahmenbedingungen dieser Republik zu rütteln. In der Forderung nach Abschaffung von Strafe und Repression wird unmittelbar die grundsätzliche Herrschaftsfrage gestellt. Denn ohne Polizei, Knast und Gerichte ist kein Staat zu machen. Mit dieser Veranstaltung ist daher die Hoffnung verknüpft, spannende Debatten über eine Welt ohne Herrschaft zu führen, ohne Widersprüche auszublenden. Was sind die Alternativen zu Strafe, Knast und Kontrolle? Wie gehen Menschen in einer herrschaftsfreien Gesellschaft mit gewaltförmigen Verhalten um?
  • Mi, 21.5. um 19 Uhr in Stuttgart (Parkschützerbüro in der Urbanstraße49 A Hinterhofgebäude im Keller, Haltestelle "Staatsgalerie"): Ton-Bilder-Schau "Fiese Tricks von Polizei und Justiz"
    "Die Vorwürfe klingen ungeheuerlich: Polizisten basteln einen Brandsatz oder fertigen Gipsabdrücke selbst an, um Beweismittel zu haben. Beweisvideos und -fotos verschwinden, Falschaussagen werden gedeckt, Observationen verschwiegen, um Straftaten erfinden zu können. Alles Hirngespinste von Verschwörungstheoretikern? Offenbar nicht." (ddp am 22.11.2007, 10.26 Uhr)
    Aus erster Hand: Ein erschreckender, zuweilen witziger und immer spannender Vortrag mit konkreten Fällen mit Originalauszügen aus Polizei- und Gerichtsakten. Ein tiefer Blick hinter das Grauen im Polizei- und Justizalltag bis zur Vertuschung, wenn die Operationen schief gehen: Ein Innenminister (heute Ministerpräsident in Hessen) wird gedeckt, StraftäterInnen in Robe und Uniform geschont, Ermittlungsergebnisse manipuliert. Dieser Abend ist eine Mischung aus Enthüllung, Kriminalroman, Kino und Kabarett. Staunen über die Dreistigkeit der Staatsmacht. Kopfschütteln über uniformierte Dummheit. Lachen über die kreative Gegenwehr!

 

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