In den letzten Wochen gab es vielfältige Aktivitäten gegen Zwangsräumungen. Es wurde blockiert und demonstriert, dabei zeigte sich der Senat auffallend nervös und es kam zu großen und brutalen Polizeieinsätzen. Nach der Blockade der Zwangsräumung der Familie Gülbol und dem Tod von Rosemarie im letzten Jahr war es etwas ruhiger um das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ geworden. Das Thema bleibt aber weiterhin hochaktuell und es wird auch in den nächsten Wochen wieder zu vielen Aktionen kommen.
Zwangsräumung in der Reichenberger Straße und Lärmdemonstration
Am 27.März kam es zu einer Blockade einer Zwangsräumung in der Reichenberger Straße. Die Familie hatte sich zu einem Umzug entschlossen, brauchte aber noch vier Tage mehr um die Wohnung auszuräumen. Der Vermieter und Burchenschaftler Brenning zeigte sich uneineinsichtig und ließ die Räumung durchführen. Ernst Brenning versucht alles um Mieter*innen loszuwerden und mehr Profite aus den Wohnungen zu schlagen. 120 Leute versammelten sich um die Räumung zu blockieren, die Gerichtsvollzieherin musste über ein Nachbarhaus in die Wohnung. Danach rastete die Polizei aus, sie nahm elf Menschen aus nicht nachvollziehbaren Gründen fest. Einige Leute wurden verletzt, auf den Kuchentisch geworfen, der für die Nachbar*innen aufgebaut worden war oder überwältigt und in Polizeiwannen verschleppt. Die Leute wurden dann weggebracht, mussten sich teilweise auf der Wache ausziehen und wurden vom Staatsschutz befragt und eingeschüchtert. Die Begründungen der Festnahmen sind hanebüchen. Das Signal war eindeutig: Der Staat sieht den Protest gegen Zwangsräumungen äußerst ungern und tut alles um die Nachbarschaften einzuschüchtern und die Leute in die Ohnmacht zurückzuprügeln.
Während bei Farbbeuteln an grauen Wänden durch die Berliner Presse ein Aufschrei geht und von Gewalt und Terror die Rede ist, ist Gewalt gegen Nachbar*innen offenbar völlig okay und normal, wenn sie von den staatlichen Prügeltruppen ausgeübt wird.
Die Polizeilinie setzte sich bei der folgenden Lärmdemonstration fort, die von Kotti und Co, Cafe Reiche und dem Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ durchgeführt wurde. Es kam zu ausgiebigen Polizeikontrollen und Personalienfeststellungen. Die Polizei positionierte sich am Auftaktort und hatte schon die Helme am Gürtel. Dieses Szenario hatte ein klares Ziel: Die Mieter*innen vom Kottbuser Tor an einer Teilnahme an der Demonstration abzuhalten und Zwischenfälle zu provozieren.
Diese Polizeitaktik setzte sich im Laufe der Demo fort. Trotz massiver Polizeieinschüchtern beteiligten sich 500 Leute an der Demo, welche vom Kottbuser Tor bis zur Reichenberger Straße führte. Die Polizei positionierte an einigen Straßenecken Greiftrupps, es war extra eine BFE-Einheit aus Sachsen-Anhalt angefordert worden um besonders brutale Übergriffe durchführen zu können. Diese wurden dann am Ende der Demonstration gestartet, auch hier wieder aus nicht ersichtlichen Gründen. Es wurde ein Wohnung gestürmt und verwüstet angeblich wegen „Ruhestörung“, es wurde eine Frau ins Krankenhaus geprügelt angeblich wegen „Beleidigung“ und eine Rollstuhlfahrerin musste von der Ambulanz behandelt werden. Die Polizei gab keine Pressemeldung zu den Vorkommnissen heraus und versuchte sie zu verschweigen. Auf Nachfrage gab sie bekannt die Demonstration sei ruhig verlaufen. Warum trotzdem die Prügeleinheiten losgeschickt wurden, ist klar: Die Nachbarschaft sollte mal wieder terrorisiert werden. Der Senat setzt darauf, die Wohnungsfrage nicht politisch zu lösen, sondern mit dem Polizeiknüppel. Das besonders aggressive und ungewöhnliche Vorgehen der Polizei an diesen beiden Tagen kann aber auch mit dem spezifischen Einsatzleiter zusammenhängen oder mit einer generellen Nervosität der Polizei vor dem ersten Mai. Repression ist bei linken Protesten ja keine Ausnahme, sondern leider seit Jahrzehnten Normalität.
Einschüchterung? Fehlanzeige
Sollte die Politik geglaubt haben, den Protest stoppen oder spalten zu können, lag sie weit daneben. Das Bündnis „Solidarische Stadt“ erklärte sich mit den Räumungsprotesten solidarisch und protestierte energisch gegen das Vorgehen der Polizei. Gegen die Repression setzen wir unsere Solidarität, wir unterstützen uns und versuchen uns in schwierigen Situationen zu helfen. Ansätze, welche auf eine Spaltung der Mietenproteste setzen, sind in der derzeitigen Situation glücklicherweise marginal. Es überwiegt der Wille gemeinsam gegen Mieten, rassistische Ausgrenzung und Verdrängung zu kämpfen.
Zwei Tage später gab es Proteste wegen einer angeblichen Zwangsräumung in Neukölln. Der Mieter in der Jahnstraße hatte allerdings seine Unterlagen nicht ganz genau gesichtet und wegen der kurzfristigen Mobilisierung hatte das Bündnis den Fehler nicht gemerkt: es war keine Zwangsräumung angesetzt, sondern nur eine Schlüsselübergabe. Das verwirrte die Polizei und sie behauptete, wir hätten vor dem falschen Haus gestanden. Wir standen vor dem richtigen Haus, aber es sollte keine Räumung geben. Wegen dieser spezifischen Situation war von Polizeieinschüchterung an diesem Tag gar nichts zu sehen, die 70 Leute hatten erfolgreich gegen Räumungen protestiert und die Nachbarschaft aufgeklärt. Weitere Mieter*innen aus dem Haus stehen ebenfalls vor einer Räumung und haben sich entschlossen sich gemeinsam zu wehren. Der Vermieter versucht offenbar gezielt mit Tricks Mieter*innen mit Migrationshintergrund gewaltsam aus seinem Haus zu räumen.
Wiederum nur vier Tage später war wieder eine Zwangsräumung in Neukölln angesetzt. Der Mieter sollte wegen der bescheuerten Sanktionspolitik des Jobcenters die Wohnung verlassen. Es konnte nur kurzfristig mobilisiert werden, trotzdem kamen immerhin 250 Menschen. Schon frühmorgens hatten 30 Menschen eine Sitzblockade im Hof begonnen, diese wurde geräumt. Dann versammelten sich an den Polizeisperren Menschen um die Gerichtsvollzieherin zu blockieren. Die Polizei setzte auf ein Finte und schickte ein Polizeiauto mit einer Person vor, welche wie ein Gerichtsvollzieherin wirkte. Die Demonstrant*innen blockierten entschlossen das Auto und riefen Parolen. Leider wurde daraufhin die andere Polizeisperre verlassen und die Gerichtsvollzieherin kam über diese Stelle ins Haus und räumte. Das war natürlich ärgerlich, aber zeigt auch, dass die Polizei immer wieder auf Finten setzen muss, um die Gerichtsvollzieherin ins Haus zu bekommen. Zwar werden die meisten blockierten Räumungen schlussendlich durchgezogen, aber es gibt noch viele Möglichkeiten Räumungen noch deutlich zu erschweren. Ein Ziel muss es sein, dass wir es schaffen in regelmäßigen Abständen noch mehr Menschen zu Blockaden zu mobilisieren. Unsere alltägliche Praxis zeigt, dass diese Blockaden sehr hilfreich sind um andere Räumungen im Vorfeld zu verhindern. Sie sind damit auch ganz konkret hilfreich und keine bloße Symbolpolitik.
Nach Ende der Blockaden kam es noch zu einer Spontandemonstration mit 150 Menschen, welche das erste Mal am Hermannplatz angegriffen wurde. Ein Teil der Demonstration ging dann aber ziemlich lange weiter durch den Reuterkiez weiter und endete an der Pannierstraße/Sonnenalle. Dort rasten Polizeiwannen in die spontane Demo.
Perspektiven
Am folgenden Wochenende fand der Berliner Ratschlag statt. Dort kamen viele verschiedene Initiativen und Einzelpersonen zusammen um gemeinsam zu überlegen, wie die Perspektive stadtpolitischer Proteste aussehen kann. Es wurde sich auf ein monatliches Treffen geeinigt um sich besser zu koordinieren und zu unterstützen. Dieses Treffen findet immer am letzten Sonntag im Monat statt. Es ist klar, dass es bei dem Kampf für ein Berlin von unten viele unterschiedliche Ansätze und Herangehensweisen geben wird und diese zueinander in einem solidarischen, kritischen und produktiven Verhältnis stehen sollten. Das versucht der Berliner Ratschlag. Er soll ein „Ermöglichungsraum“ und kein Bündnis sein, welches lange über Aufrufe und Formulierungen diskutiert.
Am Wochenende danach fand die Hochphase der Aktivität des Bündnis „Zwangsräumung Verhindern“ einen kleinen Abschluss. 500 Menschen kamen zu einer Kiezdemo im Gräfe- und Reuterkiez. Sie erinnerte an den Tod von Rosemarie und die Zerschlagung der Rosemarie-Gedenkdemo vor einem Jahr. Auch dieses Jahr zeigte die Polizei ihre Stärke. 500 Polizist*innen umgaben die Demo, 50 Wannen standen herum, sogar Einheiten aus Bremen waren angefordert worden um sich eine kraftvolle und laute Demo anzugucken. Die Demo mussten manchmal anhalten, weil die vielen Wannen und Polizist*innen sich im Kiez ineinander verkeilt hatten, ansonsten kam es aber zu keinen Übergriffen der Polizei.
Das Demokonzept hat aber weitgehend funktioniert: Keine Musik, keine Zwischenkundgebungen, keine Redebeiträge auf der Demostrecke, dafür aber laut, schnell und viel Information für die Nachbarschaft. Etwas mehr Beteiligung wäre schön gewesen, aber die Ereignissen um den Oranienplatz hatten in den Tagen davor viel Raum eingenommen. Die Nachbar*innen zeigten sich sehr interessiert und offen für das Anliegen der Demonstration.
Am 16. April kam es dann zur Räumung von Kalle in Köln. Dort versammelten sich 300 Menschen beim zweiten Räumungsversuch, der leider erfolgreich durchgesetzt wurde. Diese Räumung erhielt bundesweite Aufmerksamkeit und ein großes Medienecho. Proteste gegen Zwangsräumungen gibt es in vielen Städten und sie geben sich gegenseitig Kraft.
Außerdem gab es am 16. April den Prozess gegen Stan. Stan wurde auf der Rosemariedemonstration bewusstlos geschlagen und wurde daraufhin von der Polizei wegen Körperverletzung angeklagt. Die Polizei hatte ihre Lügenversion von den Geschehnissen und behauptete, andere Leute hätten Stan bewusstlos geschlagen. Aha.
Gleichzeitig fänden zwei Räumungsprozesse statt. Bei Dagmar gab es einen ersten Teilerfolg. Dort versucht der Vermieter das Haus leerzuräumen, sie ist die letzte verbliebene Mieterin.
Also ganz schön viel los. In den nächsten Tagen geht es mit den nächsten Aktivitäten weiter.
Am nächsten Samstag findet das erste monatliche Ratschlagtreffen statt (27.4 // 16 Uhr // Ex-Rotaprint Wedding)). Es geht weiter mit der antikapitalistischen Walpurgisnacht (30.4 // 19 Uhr // U-Bahnhof Seestraße) und der unangemeldeten stadtpolitischen Spontandemonstration (1.5 // 17 Uhr // Mariannenplatz – Kreuzberg). Am nächsten Wochenende folgt das Stadtspiel, welches an die Berliner Liste anknüpft (3.5 // 13 Uhr // Kottbuser Tor).
Leider drohen in nächster Zeit weitere Zwangsräumungen. Im Juni soll die Mieterin Mevla ihre Wohnung verlassen, hier ist mit großen Protesten und Blockaden zu rechnen.
Der Kampf gegen Zwangsräumung geht weiter und kämpft auf vielen Ebenen gegen Wohnungen als Ware und für eine solidarische Gesellschaft. Wichtig ist immer die vielfältige Unterstützung dieses Kampfes durch viele solidarische Menschen.