Wir möchten mit dieser Nachbereitung den Bericht des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart & Region und von den Beobachter News mit dem Schwerpunkt einer politischen Analyse, sowie einem Diskussionsbeitrag über die Aktionsformen und Mittel des antifaschistischen Widerstandes ergänzen.
Beginnen wir mit einem kurzen Bericht.
Ab 12 Uhr begann die antifaschistische Gegenkundgebung auf dem Stauffenbergplatz. Zu dieser Zeit waren bereits alle Zugänge zum Marktplatz mit Hamburger Gittern und Bereitschaftspolizei besetzt. In der Innenstadt fuhren unzählige Einsatzwägen umher.
Das Kundgebungsmaterial wurde von der Polizei nach einer etwa 45 minütigen Kontrolle nicht zum Kundgebungsort gelassen. In der Innenstadt gab es überall Personenkontrollen. Aus den Personenkontrollen wurden in mehreren Fällen direkte Festnahmen.Wegen Kleinstanzeigen bei den Protesten gegen den Zusammenschluss verschiedener rechter und konservativer Kräfte einen Monat zuvor wurden sie verhaftet und den Tag über in Zellen gesteckt. Darunter der Pressesprecher, welcher mit dem ZDF zu einem Interview verabredet war. Zudem wurden willkürlich Platzverweise für fast die gesamte Innenstadt verteilt.
Auf der Kundgebung wurde die Zeit genutzt um mit Reden und Flugblättern über das neue politische Phänomen einer neuen gefährlichen rechten Allianz mit den gemeinsamen öffentlichen Nennern der Homophobie und eines reaktionären Familienbildes, aufzuklären. Zudem wurden solidarische Grüße an die AntifaschistInnen verlesen, welche zur selben Zeit in Sinsheim gegen einen Naziaufmarsch protestierten.
Die Rechten wurden teilweise mit Bussen angekarrt und unter Polizeischutz zur Kundgebung gebracht.
Schnell wurde klar, dass die in der Stuttgarter Zeitung veröffentlichte Route, am Stauffenbergplatz vorbei, so nicht stattfinden würde. Als die rechte Demo in Richtung Eberhardtstraße losmarschieren wollte, wurde diese durch eine auf die Straße gezogene Baustellenabsperrungen blockiert. Die Homophoben zogen auf die viel befahrene, aber menschenleere Hauptstätterstraße. Von dort aus wollten sie in Richtung Rotebühlplatz weiter laufen, wurden dabei aber von einer Sitzblockade blockiert. Die „gefährliche Allianz“ musste unter massivem Polizeischutz um die Innenstadt herum weiter zur Theodor-Heuss-Straße ziehen. Dort wurden sie erneut wegen Blockaden gestoppt. Zwischenzeitlich musste der Demo noch vor der ersten Reihe mit mehreren Polizeipferden, BFE-Trupps, einem Kamerawagen und Bereitschaftspolizei der Weg frei gemacht werden.
Die bürgerliche Maske und die Öffentlichkeit der „besorgten Eltern“ schwanden mehr und mehr.
Nachdem die erste Demo im Februar erfolgreich blockiert worden war, wurde die zweite Demo im März nach politischem Druck von Rechts von der Polizei durchgeprügelt. Bei der dritten rechten Demo nahm die TeilnehmerInnenzahl von über 1000 auf deutlich unter 1000 stark ab. Die Organisation war im Hinblick auf das corporate-design Material deutlich professionalisiert worden. Trotz prominenteren rechten RednerInnen wie z.B. der Antifeministin Gabriele Kuby und Grußwörtern aus CDU- und FDP-Landesebene distanzierten sich nach drei Monaten langsam andere bürgerliche politische Akteure und Medien.
Die Fassade eines „Bürgerprotests“ und eine positive Außenwirkung waren durch entschlossene Gegenproteste, Gespräche unter verschiedenen Akteuren der Gegenproteste und einem martialischem Polizeiaufgebot nicht mehr aufrecht zu erhalten.
Die NPD rief jedes Mal zur Beteiligung bzw. Unterstützung der Demo auf. Rechtspopulistische bis hin zu extrem rechten Kräften aus Pi-News, Identitären und ähnlichem waren jedes Mal präsent.
Die rechtspopulistische „Alternative für Deutschland“ (AfD) versuchte immer mehr und offener die Demo zu unterstützen und zu beeinflussen.
Evangelikale, christliche Sekten und süd-ost- und ost-europäische Homophobe waren konstant präsent.
Die Forderungen der Schilder und Banner der rechten Allianz übertrafen mit populistischen Phrasen das Thema Heteronormativität. Viele dieser Schriften waren neben politisch reaktionären, sexistischen und rechtspopulistischen Inhalten als schlichtweg falsch bis völlig irrsinnig zu bewerten. Warnungen vor „Sado-Maso“ und Pornos und einer angeblichen Omnipräsenz von Sex in der Grundschule können inhaltlich schlichtweg nicht ernst genommen werden.
Die Gleichsetzung von sexueller Vielfalt und Pädophilie, sowie das propagierte Bild von Sexualität, Liebe und das damit verkörperte Rollenbild überschreitet den gesellschaftlichen Konservatismus mit reaktionärem Gedankengut um Vielfaches.
Die demographische Ansicht, dass durch Homosexualität keine Nachkommen entstehen und damit „das Volk“ aussterbe, ist ein Nährboden vom „Volkstod“ Gedanken der Faschisten.
Warum sprechen wir von einer gefährlichen rechten Allianz?
Bei den homophoben Protesten versammeln sich verschiedene offen rechte, rechtspopulistische, christlich-fundamentalistische und faschistische Gruppierungen zusammen und bilden zu einem bestimmten Thema eine Allianz. Erstmalig werden offen auftretende Faschisten bei Demonstrationen in Stuttgart bewusst akzeptiert. Verschiedene Parteien nutzen die Proteste um für die am 25. Mai anstehenden Kommunal- und Europawahlen auf Stimmfang zu gehen. Der Grund der Proteste, die Homophobie vor dem Bildungsplan 2015 ist sicherlich ein wichtiger Aspekt für die TeilnehmerInnen der rechten Proteste, ist allerdings wohl nicht die einzige politische Forderung, welche aus der Allianz hervorgeht. Vielmehr geht es um die Bündelung verschiedener rechter und konservativer Kräfte um gemeinsam reaktionäre Forderungen und Druck gegen die vermeintlich „grün-linke“ Landesregierung aufzubauen. Eine gefährliche Dynamik, welche verschiedenes reaktionäres Potential bündelt, welches ansonsten kaum gemeinsame Berührungspunkte noch Zusammenarbeit hinbekommt. Denn diese rechte Allianz ist keineswegs homogen.
Das Konzept der rechten, homophoben Proteste ist in Frankreich abgeguckt. Das Konzept „Demo für Alle“ brachte dort hunderttausende Rechte und christliche Fundamentalisten gemeinsam mit Faschisten auf die Straße. Nach der „Demo für Alle“ folgten die „Tage des Zorns“ bei dem es zu gewalttätigen Übergriffen auf LSBTTIQ (lesbisch-schwul-bisexuell-transsexuell-transgender-intersexuell und queer) und Linke kam. Die extrem rechte Partei „Front National“ kam daraus gestärkt hervor.
Eine weitere politische Gefahr sehen wir in der schnellen Reaktion von Medien und Politik auf die rechte Allianz. So schaffte es schon die erste Demo Politiker landesweit und Medien bundesweit unter Druck zu setzen sich zu dem Thema Bildungsplan und sexuelle Vielfalt zu äußern.
Die Mittel der Gegenproteste
Nachdem die Polizei vor allem bei der zweiten Demo (stehende) Menschenblockaden brutal angriff und verjagte konnten Sitzblockaden am 5.April im Zusammenspiel mit Materialblockaden und Protesten um den Marsch die Demoroute deutlich beeinträchtigen und die öffentliche Wahrnehmung beeinflussen.
Sitzblockaden erschweren der Polizei durch eine gewisse öffentliche Akzeptanz brutale Übergriffe zu rechtfertigen. Sitzblockaden sind zudem eine Aktionsform die nach Außen gut vermittelbar ist und auch in breite Kreise Partizipationsmöglichkeiten bietet. Da bei den Demos der „gefährlichen Allianz“ nicht die gesamte Route weiträumig abgeriegelt war, waren Sitzblockaden praktisch möglich und umsetzbar.
Die Notwendigkeit des direkten Widerstandes gegen die „Demo für Alle“ und damit die Blockade bzw. Verhinderung ergibt sich aus der politischen Analyse. Lediglich symbolische und aufklärerische Arbeit reicht nicht aus.
Direkte militante Angriffe auf die Demo sind aufgrund deren heterogenen Zusammensetzung schwer vermittelbar und tragen die Gefahr, beispielsweise Kinder zu verletzen.
Wie geht es weiter?
Für den 3. Mai kündigte die rechte Allianz eine nächste Demonstration durch Stuttgart an. Hierfür gilt es noch politisch breiteren Widerstand dagegen zu organisieren und sich besser zu vernetzen. Notwendig hierfür ist es auch politische Aufklärungsarbeit zu machen, um die Hintergründe zu den rechten Protesten zu erklären und die Legitimität der rechten Allianz völlig abzuerkennen. Es gilt dabei die Allianz der verschiedenen reaktionären Kräfte aufzubrechen.
Auf der anderen Seite müssen wir unsere Proteste gut planen, uns neue Gedanken über eine Taktik vor Ort machen und ganz konkret und Mittel zur Verhinderung der nächsten Demo überlegen, diskutieren und vorbereiten. Es ist ein neues politisches Phänomen, welches wir gut analysieren und einen richtigen Umgang damit finden müssen.
Einen konkreten wichtigen und richtigen Schritt für eine Aufklärung und Vernetzung wird mit der Info- und Aktionskonferenz vom AABS gegangen. Wir rufen alle Interessierten dazu auf, daran teilzunehmen. Sonntag, 27.April 17 Uhr Linkes Zentrum Lilo Herrmann, Böblingerstraße 105 in Stuttgart.
Ein Blick auf die vergangenen Proteste ist auch ein Blick auf die Repression.
Die Proteste gegen die letzten drei Aufmärsche der rechten Allianz brachten uns neue Erfahrungen und einige politische Teilerfolge. Doch wo immer wir im antifaschistischen Kampf erfolgreich sind, wird uns auch die Repression begleiten. Einige AktivistInnen sind mit Anzeigen konfrontiert. Wenn wir gemeinsam auf der Straße kämpfen, heißt das im Nachhinein auch gemeinsam der Repression entgegen zu treten.
Solltet Ihr Post von Polizei oder Staatsanwaltschaft bekommen meldet euch bei der Roten Hilfe Stuttgart, oder kommt zu den offenen Treffen des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region (AABS). Dort kann man gemeinsam überlegen, wie damit ein Umgang gefunden werden kann, wie wir kollektiv reagieren und uns gegenseitig unterstützen können. Auf polizeiliche Post müsst ihr nicht reagieren. Allgemein gilt, keine Aussage bei Polizei und Staatsanwaltschaft. Lasst euch durch die Repressionsbehörden nicht verunsichern oder gar einschüchtern. Niemand ist alleine!
Einen interessanten Text mit Hintergrundinformationen findet ihr unter:
www.queer.de/detail.php?article_id=21320
14. April
Antifaschistische Aktion (Aufbau) Stuttgart