Sachsen-Anhalt: kritische Öffentlichkeit ist wichtig

Plakat

Am 15.2. wird es eine Demonstration in Magdeburg geben, die dazu aufruft, einen kommenden Prozess nach einem rassistischen Übergriff in Bernburg kritisch zu begleiten. Weshalb dies notwendig ist, soll anhand anderer Prozesse in Sachsen-Anhalt deutlich gemacht werden.

 

Am 21.9.2013 griffen neun Neonazis einen Menschen in Bernburg aus rassistischen Motiven an. Der Mann wurde beim abschließen seiner Gaststätte rassistisch beschimpft, danach mit Bierflaschen zu Boden geprügelt. Er erlitt lebensbedrohliche Schädelbrüche und lag lange Zeit auf der Intensivstation im künstlichen Koma. Die Verletzungen sind so stark, dass der Betroffene, nach Auskunft der Ärzte, bleibende Schäden davon getragen hat. Am 18. Februar 2014 wird der Prozess gegen die Täter eröffnet. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg tut sich wie so oft schwer damit ein rassistisches Tatmotiv zu erkennen – zum Nachteil des Betroffenen und im Sinne der Täter.

 

Öffentlichkeit ist wichtig

Wie Prozesse nach rassistischen Übergriffen verlaufen können (hier zwei Fälle aus Sachsen-Anhalt) zeigen die Berichte der "Mobilen Beratung von Opfern rechter Gewalt": 

 

"TÄTER-OPFER-UMKEHR" am Amtsgericht Stendal 

 

Ende Juli 2013 verhandelte das Jugendgericht am Amtsgericht Stendal gegen zwei weiße, zur Tatzeit 18- und 30-Jährige, denen die Staatsanwaltschaft Beleidigung und gefährliche Körperverletzung vorwarf. Bei dem Angriff im August 2012 auf fünf nichtweiße Jugendliche in Stendal war ein damals 16-jähriger Schüler erheblich verletzt worden. Nachdem die Staatsanwaltschaft eine Zulassung der Nebenklage abgelehnt hatte und der Richter den Antrag des Betroffenen bis kurz vor Prozessbeginn nicht bearbeitete, konnte der Schüler erst nach Intervention seiner Anwältin als Nebenkläger an der Verhandlung teilnehmen.

 

Rassistische Hetzjagd durch die Stadt

 

Dem Angriff in den Abendstunden des 30. August 2012 unmittelbar vorausgegangen war eine lautstarke Beschimpfungstirade durch einen 30-jährigen Deutschen am Marktplatz. Nachdem die fünf die rassistischen Parolen und Aufforderungen, Deutschland zu verlassen ignorierten, folgte der Mann ihnen und rief Beleidigungen gegen die Mütter der Jugendlichen, wogegen diese sich deutlich verbal zur Wehr setzten.

 

Währenddessen bemerkten die Jugendlichen, dass etwa 15 weiße junge Männer, die die Auseinandersetzung augenscheinlich beobachtet hatten, zügig und bedrohlich auf sie zukamen. Sie flüchteten, wurden jedoch von der Gruppe verfolgt. Der 16-Jährige wurde schließlich mit einem Auto eingeholt. Der Beifahrer sprang heraus, packte den Schüler von hinten an der Jacke, zog sie ihm über den Kopf und versetzte ihm einen heftigen Fußtritt ins Gesicht. Dann gelang es dem Betroffenen, zum nahegelegenen Polizeirevier zu flüchten, wo er auf seine unverletzten Freunde traf. Er verlor durch den Angriff einen Frontzahn, erlitt einen Nasenbruch, Prellungen sowie eine Gehirnerschütterung und musste zehn Tage im Krankenhaus behandelt werden.

 

„Ausländische Kultur“ und „Gesellschaftskonformität“

 

Während der Vernehmung des Betroffenen stand für den Richter und die Staatsanwältin zunächst die Frage im Mittelpunkt, ob er und seine Freunde sich gesellschaftskonform“, so der Richter, gegen die rassistischen und anderweitigen Beleidigungen gewehrt oder dabei die falschen Worte“ gewählt hatten. Interesse von Seiten des Gerichts gab es auch daran, ob die Jugendlichen wie es sich gehört“ den Bürgersteig benutzt hätten.

 

Der Richter bezweifelte zudem aufgrund des vorrangigen Stellenwerts der Mutter in der ausländischen Kultur“, dass Beleidigungen gegen die Mütter der Jugendlichen gefallen seien, ohne dass dieses in der Vernehmung dokumentiert worden sei obwohl die“, wie er der Nebenklageanwältin erklärte, doch immer auf das Leben ihrer Mutter schwören“. Während er den Nebenkläger, den er irrtümlicherweise für einen gerichtsbekannten Schulschwänzer hielt, kritisch zu dessen Lebensgestaltung befragte, tat er frühere Delikte des Angreifers unter anderem Brandstiftung als Kleinkram“ ab.

 

Der bei Prozessbeginn 19-Jährige wurde wegen Körperverletzung an dem Schüler zu 600 Euro Geldstrafe zugunsten des Nebenklägers verurteilt. Der mittlerweile 31-Jährige erhielt für die auch laut Richter inakzeptablen, rassistischen Beleidigungen eine Einstellung gegen eine Geldstrafe von 300 Euro. In seiner anschließenden Urteilsbegründung stellte der Richter mit Blick auf das Plädoyer der Nebenklage fest, es sei unangemessen, bezüglich der Körperverletzung eine politische Motivation zu unterstellen. Zudem sei Gewalt von Ausländern gegen Deutsche“ in Stendal nahezu alltäglich und ebenso schlimm. Wenn fünf Ausländer in Stendal über den Marktplatz gehen, dann reiche das schon, um so etwas auszulösen. Der Grund dafür sei jedoch einfach Testosteron“.

 


 

Freispruch nach Überfall auf Imbissbetreiber in Mücheln

 

Ende Oktober, Amtsgericht Merseburg: Die heute 21-, 25- und 56-jährigen Angeklagten sollen laut Staatsanwaltschaft Halle am Nachmittag des 25. Februar 2012 einen Imbissbetreiber geschlagen und später die Scheibe der Eingangstür zertrümmert haben, sodass auch seine Partnerin verletzt worden sei. Der 56-Jährige habe zudem gedroht, wenn der Imbissbetreiber den Laden nicht bis zu Führers Geburtstag“ schließe, werde er brennen. Und dass er in Anspielung auf die rassistische Mordserie des NSU der Elfte sei, der in der Zeitung stehe. Es ist der Prozessauftakt zum rassistischen Überfall in Mücheln, der nach Kritik an der Arbeit der Polizei bundesweit für Schlagzeilen sorgte.

 

Den Betroffenen ist die Anspannung deutlich anzumerken: Die heute 34-jährige Zelal B.* schildert, wie sie mit ihrer Tochter im Gastraum saß, als vier Männer und zwei Frauen hereinkamen. Nach dem Hinweis ihres Freundes, im Laden dürfe nicht geraucht werden, habe der Älteste gesagt, Wo ich hingehe, gelten meine Gesetze“ und sie gefragt, ob sie Nazis kenne. Das habe ihr Angst gemacht. Später berichtet sie unter Tränen, wie sie verzweifelt versuchte zu intervenieren. Der 27-jährige Yasar N. erzählt, wie er von einem der Angeklagten von hinten attackiert wurde, ein zweiter dazukam und sie auf ihn einschlugen und traten. Und sich später noch der dritte daran beteiligte. Ihre Tochter, sie selbst und auch ihr Freund hätten bis heute Angst, so Zelal B.. Yasar N. Berichtet, dass er den Laden schließen musste, weil die Kundschaft ausblieb und die Polizei sagte, sie könnte ihn nicht ewig schützen.

 

Mauernde Zugen

 

In der Folge sagt ein Ehepaar aus, das an dem Tag in den Imbiss ausgegangen“ war. Wer wen geschlagen habe oder ob jemand verletzt worden sei, könne die 62-Jährige nicht sagen, da sie darauf nicht geachtet habe: Wir wollten ja mit der Sache nichts zu tun haben“. Allerdings bejaht sie die Frage, ob sich Yasar N. gegen die Angreifer zur Wehr gesetzt habe. Ihr Mann stellt gleich klar, dass ihn andere Leute nicht interessierten und antwortet konsequent mit Ich kann mich nicht erinnern“ oder Ich weiß nicht“. Auch eine 17-jährige Schülerin, die auf Bitten Zelal B.s die Polizei alarmiert hatte, beruft sich auf Gedächtnislücken. Auf Vorhalt bestätigt sie aber die Drohung, ebenso wie Schläge gegen Yasar N.

 

In seinem Plädoyer bewertet der Staatsanwalt die Aussagen der Betroffenen als plausibel und konsistent, während ihm die Einlassungen der Angeklagten nicht realistisch erschienen. Zudem hätte die 17-Jährige keinen Grund gehabt, sie zu belasten. Dass die Zeug_innen aus Furcht gemauert hätten sei nachvollziehbar, weil sie aus der Gegend kämen. Zudem benennt er die rechte Einstellung der Angeklagten, die hier zum Ausdruck gekommen sei und fordert Haft- und Bewährungsstrafen von bis zu dreißig Monaten sowie Schmerzensgeld.

 

Unsägliche Verharmlosung

 

Dem folgte das Jugendschöffengericht unter Vorsitz von Richter Hans Seidl nicht: Am vierten Verhandlungstag verurteilte es Ende November lediglich den 21-Jährigen wegen Sachbeschädigung in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu zwei Freizeitarresten sowie der Zahlung von 100 Euro Schmerzensgeld.

Von den übrigen Vorwürfen sprach ihn das Gericht frei, ebenso wie die beiden anderen Angeklagten. Das Gericht sähe sich nicht in der Lage, das Urteil auf die Aussagen der Betroffenen zu stützen, die keineswegs frei von Widersprüchen“ gewesen seien, so Seidl. Die Aussage der Schülerin bezeichnete er als unbrauchbar.

Die Betroffenen reagierten geschockt auf das Urteil, das den rassistischen Hintergrund der Tat komplett ignoriert und den Angriff unsäglich verharmlost. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Nebenklage haben Rechtsmittel eingelegt.

 


 

Weshalb eine Prozessbeobachtung wichtig ist, kann im Aufruf zur Demonstration am 15.2. in Magdeburg nachgelesen werden:

Kein Freispruch für Nazis und Justiz – Rassismus und Faschismus bekämpfen, auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!

 

Radiointerview zur Demonstration bei Radio Blau:

HIER

 

Zugtreffpunkte zur gemeinsamen Fahrt nach Magdeburg:

 

Leipzip
12:15 Uhr Leipzig HBF in der Nähe des Infopoints

Berlin
13:00 Berlin Hbf Gleis 14. Abfahrt 13.11

 

http://rassismus-toetet.de