Sprengsätze in Göttingen als Reaktion auf Polizeigewalt

Erstveröffentlicht: 
01.01.2014

Rote Flora


In Göttingen fand die Polizei drei Sprengsätze. Eine linke Gruppe bekannte sich zu den versuchten Anschlägen. Sie seien eine Reaktion auf Polizeigewalt. von Reimar Paul

 

In Göttingen haben Unbekannte zum Jahreswechsel auch außerhalb des üblichen Silvesterfeuerwerks gezündelt. In den vergangen Tagen wurden im Stadtgebiet drei kombinierte Spreng- und Brandsätze entdeckt. Die Polizei vermutet einen politischen Hintergrund. Auch ein – zwischenzeitlich wieder gelöschtes – Bekennerschreiben im Internet legt diesen Verdacht nahe.

 

Alle drei Sprengsätze sollen mehr oder weniger baugleich unter anderem aus Gaskartuschen und einem Zünder zusammengebastelt und in Plastiktüten versteckt gewesen sein. Sie seien zwar entzündet worden, aber aus unbekannten Gründen nicht detoniert, sagte die Polizei auf Nachfrage.  

 

Die erste Tasche mit Explosivem war bereits am ersten Weihnachtstag an der Rückseite des Göttinger Bahnhofs gefunden worden – dort residiert auch die Bundespolizei. Weitere Sprengsätze entdeckten Beamte später im Eingangsbereich des Hauptzollamtes sowie in einem Mülleimer am örtlichen Verwaltungsgericht. Wann genau die anderen Sprengsätze gefunden wurden, gab die Polizei nicht bekannt. 

 

Zu den versuchten Anschlägen bekannte sich auf der Internetplattform Indymedia Linksunten eine Gruppe namens Flora und Fauna. Es habe sich um eine "Reaktion auf gewalttätige Übergriffe seitens der Bullen auf die Demo vom Samstag 21.12.2013 in Hamburg" gehandelt. An jenem Tag war es bei einer Demonstration gegen die drohende Räumung des Kulturzentrums Rote Flora in der Hansestadt zu schweren Straßenschlachten gekommen.

 

Gleichzeitig wollten die vermeintlichen Urheber der Göttinger Anschläge laut Bekennerschreiben "auf die spezielle Lage der Lampedusa Flüchtlinge in Hamburg, die Situation von in Deutschland lebenden Papierlosen und weltweit, die Beteiligung der Behörden und Institutionen an Abschiebe- und Kriegseinsätzen, die zunehmende Stadtumstrukturierung (Gentrifizierung) zum Nachteil für das Soziale" hinweisen. 

 

Brandsätze nach Internet-Bauanleitung

 

Die Verfasser bezeichnen die in Göttingen deponierten Sprengsätze als "Modell Gasaki". Unter diesem Begriff kursieren im Internet seit einigen Jahren Bauanleitungen für Brandsätze. Das Bekennerschreiben wurde nach anderthalb Tagen wieder gelöscht.

 

Die Polizei hat im Fachkommissariat Staatsschutz eine spezielle Ermittlungsgruppe eingerichtet und ein Verfahren gegen Unbekannt eingeleitet. Experten des niedersächsischen Landeskriminalamtes wollen die selbst gebauten Bomben kriminaltechnisch untersuchen. Die Täter hätten neben Sachschäden auch schwere Verletzungen Unbeteiligter billigend in Kauf genommen, sagte der Göttinger Kripochef Volker Warnecke. "Dass es dazu nicht gekommen ist, ist allein dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass keiner der Sprengsätze explodiert ist." 

 

Die Ermittler vermuten Parallelen zu einem Brandanschlag auf das Göttinger Amtsgericht vor zwei Jahren. Damals hatten Unbekannte zusammengebundene Butangasflaschen explodieren lassen und den Schriftzug "Nazis morden – der Staat schiebt ab!" an das Gerichtsgebäude gesprüht. Eine Organisation namens Revolutionäre Aktionszellen bekannte sich zu der Tat.

 

Zudem waren zwischen 2006 und 2008 in Göttingen insgesamt 19 Autos in Brand gesetzt worden, darunter auch Dienstwagen der Bundespolizei. Dabei entstand ein Sachschaden in Höhe von 350.000 Euro. Die Polizei machte damals eine nicht näher benannte "linksextremistische Gruppierung" für die Brandanschläge verantwortlich, sie konnte aber keine Verantwortlichen ermitteln.