Grosser Aufwand, wenig Ertrag

Erstveröffentlicht: 
23.12.2013

Aufschlussreich beim NSU-Prozess war die Vernehmung von Elternteilen der toten Neonazis. Es wurde deutlich, in welchem familiären Umfeld sich die jungen Männer radikalisierten.


Joachim Riecker, München

 

Mit einem Fehlschlag ist der Prozess gegen Beate Zschäpe und vier mutmassliche Unterstützer der rechtsradikalen Terror-Gruppe «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU) in die Weihnachtspause gegangen. Per Video-Übertragung wollte das Gericht am Freitagmorgen von München aus in einem Zwickauer Pflegeheim eine 91-Jährige vernehmen. Die alte Dame war im November 2011 die Nachbarin von Zschäpe und deren beiden Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos. Doch ihre Vernehmung musste schon bei der Feststellung der Personalien abgebrochen werden, weil die hochbetagte Frau offensichtlich an einer Demenz leidet und weder ihr Alter noch ihre Adresse korrekt angeben konnte.

 

Gedächtnislücken

 

Der gleichermassen aufwendige wie aussichtslose Versuch, die pflegebedürftige Frau als Zeugin anzuhören, ist symptomatisch für den NSU-Prozess, der seit Mai vor dem 6. Strafsenat des Münchner Oberlandesgerichts geführt wird. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl scheut weder Mühen noch Kosten, um die Straftaten der rechtsradikalen Terrorzelle so umfassend wie möglich aufzuklären. Doch der Ertrag ist mager. Neue Erkenntnisse zum Kern des Geschehens hat der Prozess, dessen Ende nicht absehbar ist, nach mehr als 70 Verhandlungstagen und der Anhörung von rund 100 Zeugen kaum gebracht.

 

Das gilt auch für die Rolle Zschäpes bei den zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen, die der NSU zwischen 2000 und 2007 nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft aus rassistischen Motiven begangen hat. Die Hauptangeklagte schweigt und will dies nach Auskunft und auf Rat ihrer drei Anwälte weiterhin tun. Bestätigt wurde im Prozess aber, dass die mittlerweile 38-Jährige schon seit Mitte der neunziger Jahre in Jena sehr eng mit Böhnhardt und Mundlos befreundet war und deren rechtsradikale Ansichten in vollem Umfang teilte. Im Untergrund verwaltete sie nach Aussagen von Ferienbekanntschaften die Finanzen des Trios. Ob ihr aber nachgewiesen werden kann, dass sie von den Morden und Sprengstoffanschlägen wusste, ist weiterhin offen.

 

Alle Unterstützer des Trios, das nach der Entdeckung einer Bombenwerkstatt in Jena am 26. Januar 1998 in den Untergrund gegangen war, sagten vor Gericht, sie hätten von den schweren Verbrechen nichts geahnt. Viele Zeugen aus der rechtsradikalen Szene beriefen sich auf Gedächtnislücken, die allerdings weit weniger glaubwürdig wirkten als bei der 91-Jährigen im Zwickauer Pflegeheim.

 

Die alte Dame, deren Vernehmung am Freitag scheiterte, spielt für die Anklage eine wichtige Rolle, weil Zschäpe das Leben ihrer Nachbarin gefährdet haben soll, als sie am Nachmittag des 4. November 2011 ihre eigene Wohnung an der Zwickauer Frühlingsstrasse in Flammen aufgehen liess. Wenige Stunden zuvor hatten sich Böhnhardt und Mundlos in einem Wohnmobil in Eisenach das Leben genommen, als ihnen die Polizei nach einem Bankraub auf die Spur gekommen war. Erst durch diese Vorfälle wurden die NSU-Verbrechen aufgeklärt, was in Deutschland weithin als Schock empfunden wurde und in den folgenden Monaten zu einer beispiellosen Rücktrittswelle bei den Ämtern für Verfassungsschutz führte.

 

«Schuld ist der Westen»

 

Aufschlussreich waren im Prozess die Vernehmungen der Mutter Uwe Böhnhardts und des Vaters von Uwe Mundlos. Es wurde deutlich, vor welchem familiären Hintergrund sich die beiden späteren Mörder politisch radikalisierten. Sowohl Brigitte Böhnhardt (65), eine ehemalige Lehrerin für lernbehinderte Kinder, als auch der pensionierte Informatikprofessor Siegfried Mundlos (67) empfinden ein tiefes Misstrauen sowohl gegen das politische und gesellschaftliche System als auch die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik. Es entstand der Eindruck, als hätten die Söhne diese negative Grundhaltung übernommen, aber im Unterschied zu ihren Eltern als Rechtsextremisten vertreten.

 

Brigitte Böhnhardt machte ausschliesslich Einflüsse aus dem Westen dafür verantwortlich, dass ihr Sohn nach 1990 zum Neonazi wurde. Erst sei er durch das von der alten Bundesrepublik übernommene Schulsystem aus der Bahn geworfen worden und habe keine Arbeit gefunden. Schliesslich seien Rattenfänger gekommen, denen ihr Sohn alles nachgeplappert habe. Als weitere Hauptschuldige haben sowohl Mutter Böhnhardt als auch Vater Mundlos die Polizei und den Verfassungsschutz ausgemacht, die ihre Söhne immer wieder zu Unrecht verdächtigt, verfolgt und misshandelt hätten. Die rechtsradikalen Straftaten, die die beiden schon vor dem Untertauchen 1998 begangen hatten, stellten sie als harmlose «Spinnereien» da. Siegfried Mundlos leistete sich zudem noch heftige Wortwechsel mit Richter Götzl und beleidigte ihn.

 

Bei diesen beiden Vernehmungen trat auch eine merkwürdige Parallele in den Familien der toten Neonazis zutage. Ihre einzigen Geschwister, zwei ältere Brüder, waren von schweren Schicksalsschlägen betroffen. Der damals 17-jährige Bruder von Uwe Böhnhardt kam 1988 auf ungeklärte Weise ums Leben. Seine Leiche wurde offenbar von Unbekannten ohne weitere Erklärung nachts vor der Haustür abgelegt. Und der ältere Bruder von Uwe Mundlos ist von Geburt an gelähmt und ein Pflegefall.