// An einem zweitägigen Streik in Berlin beteiligten sich 2500 LehrerInnen und 200 SchülerInnen – am zweiten Tag sind auch 500 Beschäftigte aus dem Einzelhandel dabei. //
Die Berliner Polizei zählte am Mittwoch 2.600 Menschen, als streikende LehrerInnen zum Abschluss ihrer Demonstration einmal um den Ernst-Reuter-Platz herumliefen. Es war der 16. Streiktag der angestellten LehrerInnen seit Dezember letzten Jahres, und trotz niedriger Temperaturen war die Menge deutlich größer als beim letzten Streik im Oktober. "Die Streikfront steht", kommentierte ein Lehrer. Tausende angestellte PädagogInnen setzen ihren Kampf für die Gleichstellung mit ihren verbeamteten KollegInnen fort, obwohl der Berliner Senat bisher jegliche Verhandlung über einen Tarifvertrag verweigert.
Zum Auftakt der Protestaktionen am Mittwoch haben sich rund 150 SchülerInnen am Nollendorfplatz für einen Solidaritätsstreik versammelt. "Wir haben unsere Lehrer in der U-Bahn getroffen", erzählte Antonia (17) von der Albert-Einstein-Oberschule in Neukölln. "Ein Lehrer meinte, er hat die Fehlstunden vom letzten Schulstreik gar nicht eingetragen." Als ihr Demonstrationszug am Bahnhof Zoo auf mehrere tausend LehrerInnen trifft, rufen die Jugendlichen lautstark: "Schüler und Lehrer, gemeinsam voran!" Elisa (14) hatte am Vortag einen Flyer vor der Schule bekommen, aber sie wußte schon, worum es geht: "Unser Lehrer erzählt viel davon, wie der Streik funktioniert, zum Beispiel über die unterschiedliche Bezahlung von Angestellten und Beamten."
Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) verweist auf die Tarifgemeinschaft der Länder als einzigen Ansprechpartner für die Forderungen. Doch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) will den Arbeitgeber nicht aus der Pflicht lassen. Im letzten Jahr hat der Senat die Arbeitszeit der LehrerInnen bei gleichbleibendem Lohn um sieben Tage pro Jahr erhöht – ohne einen Tarifvertrag sind solche Diktate möglich.
Die LehrerInnen betonen, daß es ihnen nicht in erster Linie um das Geld geht. "Das Gehalt finde ich in Ordnung", so Alexander Fröhlich, der seit zwei Jahren Physik am Rheingau-Gymnasium in Friedenau unterrichtet. Aber vor allem gegen die hohe Arbeitsbelastung wegen großer Klassen möchte er protestieren: "Bei Experimenten habe ich dann 32 Siebtklässler mit kochendem Wasser vor mir", erzählt der Pädagoge und lacht. Die Motivation leide außerdem darunter, wenn in einem LehrerInnenkollegium unterschiedliche Löhne bezahlt werden.
Am Oberstufenzentrum Lotis in Tempelhof haben aktive LehrerInnen vor Monaten einen Aktionstag vor der Schule veranstaltet, damit BeamtInnen und auch SchülerInnen über die Forderungen diskutieren konnten. Verbeamtete LehrerInnen wurden später gemahnt, weil sie mit ihren Klassen Exkursionen zum Aktionstag gemacht hatten. Zwei LehrerInnen bekamen auch Bußgelder von jeweils 500 Euro. "Wir haben einen Solidaritätsfonds geschaffen", so der Lehrer Sebastian Riks, "und zusammen mit der GEW haben wir diese Strafen bezahlt".
Nach der Demonstration am Mittwoch versammelten sich über 50 SchülerInnen und LehrerInnen im AStA der TU, um weitere gemeinsame Aktionen zu besprechen. In der Diskussion ging es viel um Rechte: Dürfen SchülerInnen streiken? Dürfen LehrerInnen dazu aufrufen? "Das Streikrecht muss man sich nehmen", meinte ein verbeamteter Lehrer und bekam viel Zustimmung. „Ich war echt begeistert, als ihr angekommen seid“, so eine Lehrerin zu den SchülerInnen, „denn der Senat versucht, einen Keil zwischen Lehrern und Schülern zu treiben.“ Bei zukünftigen Streiks soll es an den einzelnen Schulen gemeinsame Mobilisierungen geben.
Am zweiten Streiktag hatten die LehrerInnen Nikolausmützen und Glühwein. Der 17. Streiktag der LehrerInnen am Donnerstag war gleichzeitig auch der 29. Streiktag der Beschäftigten im Einzelhandel in Berlin-Brandenburg. Vor der Senatsfinanzverwaltung in der Klosterstraße hielten 500 Beschäftigte aus dem Einzelhandel in neongelben ver.di-Streikwesten gemeinsam mit 2.500 LehrerInnen in roten GEW-Westen eine gemeinsame Abschlusskundgebung ab. Jan Richter, Betriebsratsvorsitzender von H&M in der Friedrichstraße, sprach auf der Bühne über die große Freude, als beide Demonstrationszüge sich vereint haben:: "Wir sitzen alle in einem Boot und müssen zusammenhalten!"
von Wladek Flakin, Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO)
eine kürzere Version des Artikels erschien in der jungen Welt vom 6. Dezember