Koalitionsvertrag: Schwarz-Rot plant schärfere EU-Grenzkontrollen

Erstveröffentlicht: 
04.12.2013

Im Koalitionsvertrag machen sich Union und SPD für ein zentrales europäisches Grenzregister stark. Damit stützen sie Pläne aus Brüssel: Die EU-Kommission will sogar die Fingerabdrücke von Millionen einreisender Ausländer sammeln und monatelang speichern. Datenschützer sind entsetzt.

 

Von Claus Hecking, Veit Medick und Severin Weiland.

 

Berlin - Es ist nur ein Satz, versteckt in den Tiefen des Koalitionsvertrags. Aber diese 13 Worte bereiten Europas Datenschützern Kummer: "Weitere Einreiseerleichterungen nach Europa", schreiben Union und SPD auf Seite 150 "setzen ein Ein- und Ausreiseregister im europäischen Verbund voraus."

 

Die schwarz-rote Bundesregierung ist noch nicht im Amt, da offenbart sie sich schon als Anhängerin eines der umstrittensten Datensammelprojekte Europas: des EES (Entry/Exit System). Mit diesem zentralen elektronischen Grenzregister nach US-Vorbild will EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström Daten von Millionen Reisenden erfassen. Schon drei Jahre nach dem Start von EES sollen sämtliche Ausländer, die nicht dauerhaft im Schengen-Raum leben, bei der Einreise alle zehn Fingerabdrücke hinterlassen müssen. Egal, ob sie eines Verbrechens verdächtigt werden oder nicht. Die biometrischen Daten sollen mindestens sechs Monate gespeichert werden. Gerade beraten der Rat der EU-Mitgliedstaaten und das Europaparlament den Entwurf der Schwedin.

 

Mit dem Programm, einem Teil ihrer "Smart Borders"-Initiative, will Malmström irreguläre Migration eindämmen. Die meisten illegalen Zuwanderer kommen nicht per Boot über das Mittelmeer, sondern reisen offiziell in den Schengen-Raum ein - und überziehen ihren Aufenthalt. Solche Fälle würde das System automatisch den Grenzbehörden melden. Wo in Europa sich die "Overstayers" aufhalten, zeigt das EES allerdings nicht an. Daher sei "unklar, welchen konkreten Beitrag das System überhaupt erbringen könnte", sagt der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar. Schaar kritisierte das Vorhaben bereits in der Vergangenheit als "lückenlose Vorratsdatenspeicherung", auch die Gruppe der europäischen Datenschutzbeauftragten ist gegen "eine neue, sehr umfangreiche Datenbank".

 

SPD will "Datensparsamkeit"


Hans-Peter Friedrich, Bundesinnenminister, macht sich seit längerem für ein elektronisches EU-Grenzregister nach dem Vorbild der USA stark. Langfristig sei er auch für eine Aufnahme von biometrischen Daten, "insbesondere mit Fingerabdrücken", so der CSU-Politiker im Februar. Doch das ist Zukunftsmusik; auch Friedrich will sich zunächst auf das Machbare konzentrieren - auf das elektronische Einreiseregister mit Personaldaten. Bislang scheiterte das an der FDP.

 

In Europa dürfte eine flexiblere Haltung einer Großen Koalition auf Zustimmung stoßen. Alle EU-Staaten außer Deutschland und Schweden haben gefordert, nicht nur Grenzschützern Zugriff auf Daten zu gewähren, sondern auch Strafverfolgern. "Ich fürchte, dass die Polizei künftig mit mobilen Fingerabdruckscannern herumläuft und alle kontrolliert, die ausländisch aussehen", sagt Ska Keller, migrationspolitische Sprecherin der Grünen im Europaparlament. Die SPD hat weniger Bedenken: "Es gibt ein Grunderfordernis für ein Ein- und Ausreiseregister", sagt Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Die Visavergabe sei in Europa uneinheitlich geregelt: "Wir müssen wissen, wer wann und warum nach Europa kommt, wer wieder geht und eventuell auch nicht geht. Das Register muss aber unter dem Gebot der Datensparsamkeit stehen."

 

2007, in der vergangenen Großen Koalition, verhinderte die SPD bei der Einführung des E-Passes, dass Fingerabdrücke bei Behörden oder in zentralen Datenbanken gespeichert werden. Nun sagt Hartmann beim Thema Fingerprints: "Das Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Wir werden uns alles anhören, was Datenschützer dazu zu sagen haben."

 

CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl, an den Koalitionsverhandlungen beteiligt, verteidigt das Vorhaben: "Biometrische Merkmale haben sich beim Reisepass bewährt. Es stellt sich dann die Frage, ob wir dieses zusätzliche Sicherheitsmerkmal nicht auch für den Personalausweis verpflichtend machen sollten." Das Register werde dazu beitragen, den mit der Visa-Liberalisierung einhergehenden Kontrollverlust zu kompensieren, und könne eine Möglichkeit sein, weitere Staaten von der Visumpflicht zu befreien. "Es dient damit gleichzeitig den legitimen Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten wie auch den Interessen der Reisenden nach einer schnellen Grenzkontrolle", so der Christsoziale.

 

Die Technik ist offensichtlich nicht einsatzreif


Deutschlands oberster Datenschützer hält nichts von EES. "Weder die geschäftsführende noch eine neue Bundesregierung sollte diese Pläne unterstützen", so Schaar. Ihm sei "nicht ersichtlich, wie die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer Datenbank dieses Ausmaßes begründet werden kann" - zumal angesichts Hunderter Grenzposten des Schengen-Raums eine fehlerhafte und unvollständige Erfassung kaum vermeidbar sei. Auch die Technik ist offenbar nicht einsatzreif. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok (CDU), äußerte "Besorgnis", wenn alle Ausländer ihre Fingerabdrücke erfassen lassen müssten. Dieser Vorgang könne selbst mit der besten Technologie drei Minuten pro Person dauern. Wer nur 20 Leute vor sich in der Schlange hat, muss also bis zu eine Stunde länger warten.

 

Und die Kosten? Die EU-Kommission kalkuliert mit eigenen Ausgaben von knapp 800 Millionen Euro für das gesamte "Smart Borders"-Paket. Kritiker halten das für weit untertrieben. Wie derartige Projekte aus dem Ruder laufen können, hat die Erweiterung der europäischen Fahndungs-Datenbank SIS um Fingerabdrücke und Lichtbilder gezeigt: Statt veranschlagter 15 Millionen Euro kommt das System den Steuerzahler nun elfmal so teuer.