Im Riegeler Neonaziprozess vor dem Landgericht Freiburg fühlen sich die Zeugen von der Polizei im Stich gelassen / Fortsetzung am Dienstag .
Von: Peter Sliwka
RIEGEL/FREIBURG. Kein Wort der Entschuldigung und des Bedauerns ist bislang über die Lippen des 31-jährigen Angeklagten aus der Ortenau während der Verhandlung vor der Dritten Großen Strafkammer des Landgerichts Freiburg bekommen. Der gelernte Versicherungskaufmann sitzt stattdessen still und mit unbewegtem Gesicht neben seinem Verteidiger und schweigt eisern zu dem Vorwurf der Staatsanwaltschaft, die ihm versuchten Totschlag in drei Fällen, gefährliche Körperverletzung, einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und eine Unfallflucht zur Last legt.
Dabei würde der Angeklagte mit einer Entschuldigung oder dem Zeigen von Reue keine Schuld im Sinne der Anklage eingestehen. Objektiv steht fest, dass er an jenem Abend von einem Parkplatz bei Riegel auf eine Gruppe junger Leute zufuhr, als diese über eine am Parkplatz vorbeiführende schmale Straße auf ihn zukamen. Es steht auch fest, dass sein Wagen damals frontal einen 21-Jährigen auflud und über das Auto auf den Asphalt schleuderte. Der 21-Jährige wurde schwer verletzt, musste ins Krankenhaus und danach vier Monate rehabilitiert werden. Auch zwei Jahre später sind seine Konzentrationsstörungen noch nicht vollständig verschwunden, ist seine Sprache verletzungsbedingt noch verwaschen. Dankbar ist der 21-Jährige seinem Ausbildungsbetrieb, der ihm, obwohl er im Oktober 2011 noch in der Probezeit war, dennoch nicht gekündigt hat.
Das Auto bewusst als Waffe eingesetzt?
Das Wort Unfall ist im Prozess bislang nur ein Mal gefallen. Es geht auch nicht einen Verkehrsunfall, sondern darum, ob der Angeklagte bewusst und den Tod von drei jungen Menschen aus der Fünfergruppe bei seinem Fahrmanöver billigend in Kauf und sein Auto zweckwidrig als Waffe eingesetzt hat. Es geht um die Frage, ob er damals im Rahmen von Notwehr so fahren durfte, weil er sich von der Gruppe Vermummter möglicherweise zu Recht bedroht gefühlt haben durfte.
Der Hintergrund des Geschehens ist politisch. Der 31-Jährige war zumindest bis Anfang Oktober 2011 ein bei den Antifaschisten bekannter Neonazi. Einer, der Demonstrationen für seine Gesinnungsgenossen anmeldete, der an jenem Tag an dem Parkplatz Kameraden zu einem geheim gehaltenen Fest bei Bahlingen lotsen sollte. Die Gruppe, die dies verhindern wollte, bestand aus einem losen Zusammenschluss von acht jungen Menschen, die sich gegen rechtes, nationalsozialistisches und faschistisches Gedankengut engagieren. Deshalb wollten sie, den 31- Jährigen damals von dem Parkplatz vertreiben. Drei blieben bei den Autos, fünf vermummten sich und zogen los.
Eine Studentin, ihr damals schwer verletzter Freund und ein weiterer junger Mann haben sich als Nebenkläger dem Prozess angeschlossen. Sie haben ausgesagt und dabei ihrer Empörung Ausdruck gegeben, dass just zwei Beamte vom Staatsschutz und die Polizei sie nach dem Ereignis im Stich gelassen hätten. Da habe der 21-Jährige krampfend mit weit aufgerissenen Augen auf der Straße gelegen und die Staatsschutzbeamten hätten nichts anderes im Sinn gehabt, als die Personalien aufzunehmen.
Nebenkläger empört über Verhalten der Polizei
Auch seien zwei uniformierte Polizisten von der Situation am Ort völlig überfordert gewesen. Anstatt ihnen zu helfen und sie vor den immer mehr werdenden Neonazis zu schützen, hätten sie ihre Gruppe als die Bösen behandelt.
Die Aussagen der fünf unmittelbar betroffenen Zeugen belasten den Angeklagten nicht über Gebühr. Er wird zwar in sachlichem Ton als Faschist und Neonazi bezeichnet, aber nicht beschimpft. Den jungen Zeugen ist anzumerken, dass sie damit zu kämpfen haben, dass da überhaupt ein Mensch in der Lage war, in eine Gruppe anderer Menschen hineinzufahren. Einer sagte aus, dass er bei aller politischen Gegensätzlichkeit auch bei einem Faschisten auf ein Fünkchen Menschlichkeit gehofft habe.
Mitgefühl, Bedauern, Reue, Betroffenheit, all das haben diese Zeugen bei dem 31-Jährigen, der nach wenigen Minuten zum Parkplatz zurückgekehrt war, vermisst. Im Gegenteil: Er habe mit grinsendem Gesicht rauchend bei seinen Kumpanen an der Leitplanke gestanden, habe gestikulierend mit den Armen den Flug des Angefahrenen über sein Auto demonstriert und mit dem Handy die kaputte Windschutzscheibe seines Autos fotografiert. Und das alles angesichts des von ihm angefahrenen und am Boden liegenden jungen Menschen, von dem seine Freunde damals nicht wussten, ob er den Abend überleben werde.
Morgen, Dienstag, wird der Prozess in Freiburg fortgesetzt.