Etwa 500 Menschen beteiligten sich am Samstag dem 9.11. an der
antirassistischen/antifaschistischen Demonstration "Pogrome verhindern,
bevor sie entstehen" in Greiz. Im Hinblick auf die kurze
Mobilisierungszeit von wenigen Wochen kann diese Zahl als Erfolg
gewertet werden. Zur Demo aufgerufen hatten neben den Antifaschistischen
Gruppen des Vogtlandes (AGV) eine Vielzahl antifaschistischer,
antirassistischer und gewerkschaftlicher Gruppen aus ganz Thüringen und
dem Vogtland. Doch damit ist es nicht getan - seit Wochen mobilisieren
Rassist*innen für den 23.11. zu einer angeblich "bundesweiten Großdemo",
mit dem Ziel, in Greiz ein "zweites Schneeberg" möglich zu machen.
Ein rassistischer Konsens?
Die Demonstration "Pogrome verhindern, bevor sie entstehen" hatte das Ziel, auf die rassistischen Zustände in der ostthüringischen Kreisstadt Greiz aufmerksam zu machen. Seit September macht eine sogenannte "Bürgerinitiative" gegen ein neu eröffnetes Asylbewerber*innenheim im Plattenbaustadtteil Pohlitz mobil. Die führenden Köpfe dahinter sind organisierte Nazis aus dem Kameradschaftsspektrum. (AGV berichtete) Anfangs trugen über 150 Bürger*innen und Nazis gemeinsam ihre rassistischen Ressentiments auf die Straßen von Greiz, jedoch nahm die Beteiligung der Bürger*innen bald ab, so dass zur vorerst letzten Kundgebung am 11.10.2013 etwa 90 Nazis aus dem Ostthüringer Raum fast unter sich blieben.
Jetzt kündigt die "Bürgerinitiative", um ihren rassistischen Forderungen Nachdruck zu verleihen, ein "zweites Schneeberg" an. Nicht einmal 50 Kilometer entfernt von Greiz fanden in den letzten Wochen bereits drei sogenannte "Lichtelläufe", angeleitet von NPD-Mitglied Stefan Hartung, statt. Bis zu 1.800 Nazis und Bürger*innen gingen dort gemeinsam auf die Straße, um im Fackelschein ein ethnisch reines, von Migrant*innen gesäubertes Erzgebirge zu propagieren. Antifaschist*innen mobilisieren daher seit dieser Woche zu Gegenaktionen für kommenden Samstag (Vgl. Aufruf für den 23.11.)
Es ist fraglich, ob die rassistische Propaganda á la "das Boot ist voll", die Angstmache vor angeblicher Kriminalität und Islamisierung in Greiz auf ähnlich fruchtbaren Boden fällt wie in Schneeberg. Bisher war die Beteiligung an den Kundgebungen der rassistischen Bürgerinitiative sehr verhalten, vor allem nachdem die Presse negativ berichtete. Dennoch sind Ansatzpunkte vorhanden, schließlich gibt es Ressentiments gegenüber Migrant*innen, gegenüber Geflüchteten, ungeachtet des Ortes in allen Bevölkerungsschichten. Dies unterstreicht die Studie "Thüringen Monitor" - etwa 49 Prozent der Bevölkerung Thüringens hält Deutschland für "überfremdet", etwa 44 Prozent gehen davon aus, die deutschen Sozialsysteme würden von Migrant*innen "ausgenutzt". Fremdenfeindliche und nationalistische Einstellungen sind also in der sogenannten "Mitte" der Bevölkerung weit verbreitet. Nun heißt es dem entschlossen entgegenzutreten, bevor die Rassist*innen die bislang schweigende Mehrheit unwidersprochen hinter sich versammeln können.
Jedoch bestehen für uns die rassistischen Zustände in Greiz nur zum Teil aus den Umtrieben von Köckert, Pahnke und deren "Bürgerinitiative". Vielmehr gibt es seit Jahren ein System der Diskriminierung und Ausgrenzung von Geflüchteten mit teils perfiden Methoden. Der Fokus der Demonstration vom 9.11. lag daher vor allem darauf, die seit Jahren schweigend akzeptierten Zustände in den Greizer Flüchtlingsunterkünften, das Handeln von Landrätin Schweinsburg und ihrer rassistischen Erfüllungsgehilf*innen in die Öffentlichkeit zu rücken. Was das angeht, ist die Liste der wissentlichen und bewussten Diskriminierung von Refugees in Greiz lang: Von der begrenzten Ausgabe sogenannter "Duschmarken" über das Gutscheinsystem, das willkürliche Vergabesystem von Kleidung bis hin zur Verweigerung von Dolmetscher*innen. Stadt und Landkreis Greiz zeigen seit Jahren, dass Nicht-Deutsche ohne Pass unerwünscht sind, dass sie nicht mit menschenwürdiger Behandlung rechnen dürfen. (AGV berichtete) Erst diese Woche wurde durch Weisung von Landrätin Schweinsburg Menschen in der Gemeinschaftsunterkunft in Pohlitz Hausverbot erteilt, die den dort lebenden Geflüchteten Kleidung spenden wollten!
Tatsächlich berichteten einige Medien im Zuge der Demonstration auch von den Zuständen in den Greizer Gemeinschaftsunterkünften. (Vgl. Artikel in der Jungle World) Und scheinbar verfielen Schweinsburg und Co. nun tatsächlich in Panik. Die lokale Politik versuchte vor dem 9.11. mit allen Mitteln, eine Thematisierung des eigenen von Ressentiments und Diskriminierung geprägten Handelns zu verhindern. (Siehe folgender Abschnitt)
Die Redebeiträge am 9.11. setzten sich passend zum Thema "Pogrome verhindern, bevor sie entstehen" nicht nur mit der spezifischen Situation in Greiz auseinander, sondern generell mit dem rassistischen Alltag in Deutschland bzw. der "Festung Europa". Gastredebeiträge von "Rassismus tötet", JURI-Linke Gruppe und anderen beschäftigten sich mit verschiedenen Formen institutioneller Gewalt gegenüber Geflüchteten, z.B. der Praxis rassistischer Personenkontrollen an Bahnhöfen ("Racial Profiling") und riefen dazu auf, praktische Solidarität mit Geflüchteten zu üben und kein zweites Rostock oder Hoyerswerda zuzulassen.
Eine kleine Lehrstunde: Ostthüringer Demokratieverständnis
Bereits im Vorfeld des 09.11.13 wurde versucht, die Demonstration „Pogrome verhindern, bevor sie entstehen“ zu verhindern. Die zuständige Ordnungsbehörde forderte indirekt von der Anmelderin, die Demo abzusagen, und versuchte mit dem Erlassen eines rechtswidrigen Auflagenbescheides die Demonstration zu behindern. Die regionale Presse in Greiz berichtete einseitig negativ über die bevorstehende Veranstaltung. Höhepunkt war eine Mitteilung in der OTZ vom 07.11.13, in der suggeriert wurde, dass die Anmelderin gegen ein erlassenes Alkoholverbot klagt. Hintergrund war eine Klage gegen die versammlungswidrigen Auflagen - die durch die OTZ natürlich ansonsten mit keinem Wort erwähnt wurden. Es ist kritikwürdig, dass sich eine angeblich überparteiische und unabhängige Tageszeitung vor den Karren des Greizer Landratsamtes spannen lässt. Dieses Verhalten lässt tief blicken mit welchem Demokratieverständnis man es in Greiz zu tun hat. Vor Gericht gewann die Anmelderin der Demonstration vom 9.11. schließlich in allen Punkten gegen das Greizer Landratsamt. (Vgl. Pressemitteilung HASKALA)
Wir doch nicht! Oder: das Bellen getroffener Hunde
Bereits im Oktober ließ Landrätin Martina Schweinsburg einen „Offenen Brief“ an fast alle Greizer Haushalte verteilen. In diesem Brief wird der Thüringer Flüchtlingsrat als machtpolitisches Instrument verunglimpft, dessen einziges Ziel es ist, der Stadt Greiz Schaden zuzufügen. Desweitern wurde klandestin versucht dem Thüringer Flüchtlingsrat, den bereits am Tag nach der Eröffnung der Flüchtlingsunterkunft beginnenden rassistischen Protest in die Schuhe zu schieben. Angeblich würden auswärtige Extremist*innen "beider Lager" Greiz als politische Bühne missbrauchen. Dass ausgerechnet CDU-Landrätin Martina Schweinsburg gegenüber Menschen, die sich mit Geflüchteten solidarisieren, zum Mittel der Diffamierung greift und diese in einem Atemzug mit Rassist*innen nennt, spricht Bände über das Politikverständnis des Greizer Establishments.
Ob aus Angst vor Negativschlagzeilen, vor auswärtigen Extremist*innen oder schlicht aus politischem Kalkül - schließlich müsse damit das lokale politische Establishment sowohl die Zügel als auch die Deutungshoheit des politischen Engagements aus der Hand geben - entsolidarisierte sich auch fast die gesamte Initiative "Solidarität mit den Flüchtlingen in Greiz" gegenüber der Antifademo vom 9.11. Bei näherer Betrachtung ist dies kein Wunder: Die dubiose Bürgerinitiative "Weil wir Greiz lieben" unter Führung Martina Höggers hat mittlerweile die Solidaritätsinitiative an sich gerissen und kritische Engagierte aus der Gruppe verdrängt.
In diesem Punkt sind sich Landrätin Schweinsburg, die rassistische "Bürgerinitiative gegen das Asylheim am Zaschberg" und die Bürgerinitiative "Weil wir Greiz lieben" einig: Unter allen Umständen muss jegliches negatives Bild von Greiz ferngehalten werden. Ihr dumpfer Lokalpatriotismus einigt alle von CDU über Nazis bis hin zu den angeblich zivilgesellschaftlich engagierten Greizliebhaber*innen. Dass es dabei schon längst nicht mehr um die Solidarisierung mit den Refugees von Greiz geht, liegt auf der Hand.
Die Hetze gegen die Demo ging so auch nach dem 9.11. weiter. Zwei abstruse "offene Briefe" auf einem Greizer Onlineportal diffamierten die Demoteilnehmer*innen und die Anmelderin als auswärtige Störenfriede und Extremist*innen. Die OTZ stimmt da gerne mit ein und wünscht sich, dass endlich "normale Bürger" von Greiz gegen Rechtsextremismus auf die Straße gehen. Am besten aber auch gegen sogenannten "Linksextremismus". Einmal mehr wird damit versucht, die Proteste gegen Rassismus in Greiz in "gute" und "böse" Demonstrant*innen zu spalten - also in jene, die das Bild der sauberen Residenzstadt nicht beschmutzen und sich an die vorgegebenen Regeln halten, und jene, die es ganz "extremistisch" wagen, die Verhältnisse als solche zu kritisieren. Von welcher Seite, welchen Ressentiments, welchen Ideologien die Pogromstimmung in Greiz-Pohlitz ausgehen, haben OTZ, Högger, Schweinsburg und all die anderen, die Nazis mit Antirassist*innen in einen Topf schmeißen, scheinbar längst vergessen.
Solidarisierung statt Imagepolitik!
Der 9.11. war nicht die erste und nicht die letzte Aktion, mit der sich Antifaschist*Innen und Antirassist*Innen gegen den schweigenden rassistischen Konsens der Greizer Behörden stellten. Die teils aggressiven Reaktionen von Lokalpolitik und -presse gegenüber dem Vorbereitungskreis der Demonstration zeigen nur eins: dass die Kritik der Greizer Zustände nicht beim fackeltragenden Mob auf den Straßen von Pohlitz aufhören darf! Sie muss stattdessen die schweigenden und leugnenden Schreibtischtäter*Innen, welche für die Flüchtlinge keine Kultur des Willkommens, sondern seit Jahren eine Atmosphäre der Stigmatisierung und Demütigung schufen, in den Blickpunkt rücken - und damit ebenso all jene, die dies nun gerne unter den Teppich kehren würden. Mit dem Verweis darauf, der weltoffene Lack von Greiz dürfe um Himmels willen keinen Schaden nehmen.
Imagepolitik, die sich das Label "antirassistisch" gibt, ist im Falle Greiz nunmehr eine Imagepolitik auf dem Rücken der Geflüchteten. Sie ändert nichts, sondern wäscht menschenunwürdige Zustände rein, indem sie den Blick gezielt weg von den Betroffenen, ihren Lebensumständen und der Bedrohung durch marschierende Rassist*innen lenkt - und im gleichen Atemzug die Schuld an katastrophalen Zuständen von sich weist, diese katastrophalen Zustände sogar leugnet. Kurz: Wenn Greiz auf Grund der Ereignisse der vergangenen Monate schlechte Presse erhalten hat, dann hat es sich diese schlechte Presse mehr als redlich verdient.
Was zu tun bleibt, ist eine bedingungslose Solidarisierung mit den Geflüchteten in Greiz und überall. Greiz muss - ebenso wie alle anderen Orte mit vergleichbaren Zuständen - so lange ein Ort antifaschistischer und antirassistischer Intervention sein, bis Geflüchete nicht mehr zur Zielscheibe diskriminierenden Verhaltens ob seitens des Staates oder der Meute auf den Straßen werden. Bis es ein bedingungsloses Bleiberecht für alle gibt, bis die Festung Europa fällt.
Gegen den Rassismus auf den Straßen und in den Amtsstuben! Am 23.11. auf nach Greiz! REFUGEES WELCOME!
Treffpunkt: 15 Uhr Kundgebung in der Gerhardt-Hauptman-Straße vor dem Rewe (nahe Flüchtlingsheim am Zaschberg)
die Antifaschistischen Gruppen des Vogtlandes (AGV)