Artikel aus der STUTTGARTER ZEITUNG vom 04.08.2009
Stuttgart, Region & Land
Linke sehen Bloßstellung von Nazis als Notwehr
Freiburg Die Enthüllungsmethoden von autonomen Antifaschisten sind heftig umstritten.
Von Heinz Siebold
Darf man öffentlich machen, dass der nette Nachbar von nebenan ein Neonazi ist? Ohne ihn zu fragen, wohlgemerkt. Darüber gibt es eine Kontroverse in Freiburg. Denn eine Gruppe, die sich Autonome Antifa nennt, hat dies unlängst getan: Sie hat Namen, Adresse und Fotos des NPD-Kreisvorsitzenden, seines Wohnhauses und seines Autos, dazu Angaben über Arbeitgeber und Arbeitsplatz der Ehefrau und anzügliche Details über sexuelle Vorlieben im Internet veröffentlicht.
"Ja, man darf das nicht nur, man muss das, denn diese Leute bauen insgeheim Strukturen für eine menschenfeindliche und gewaltsame Politik auf", sagt einer der Autonomen. "Es ist Notwehr, denn der Staat tut nichts, um die Neonazis zu bekämpfen", sagt Bernd, aber das ist nicht sein richtiger Name. Er will sich, wie die ganze Gruppe, nicht zu erkennen geben, weil er fürchtet, von den Nazis verfolgt zu werden. Außerdem droht auch ein Besuch der Polizei, denn die Staatsanwaltschaft Freiburg hat Ermittlungen aufgenommen wegen Verstoßes gegen den Datenschutz und anderer Rechtsvorschriften.
Zwei Jahre lang haben die klandestinen Antifaschisten Informationen über den 39-Jährigen gesammelt, der in einem gut-bürgerlichen Stadtteil unauffällig wohnt und Arbeiter in einem Pharmaunternehmen ist, ein geringes Gehalt bezieht und seit 2002 insgeheim NPD-Kreisvorsitzender in einer Stadt ist, die offenes Auftreten der Neonazis mit starken Gegendemonstrationen regelmäßig verhindert. Die autonomen Antifas sehen sich als recherchierende Speerspitze der Bewegung, die dazu beiträgt, dass es dabei bleibt.
Sie hat bereits mehrfach geheime Versammlungen ausgespäht und aufgedeckt und Versuche von militanten Neonazis, Kameradschaften zu bilden durch Enthüllungen unterbunden. "Das sind Leute, die den Antifaschismus sehr ernst nehmen", räumt Michael Moos, Stadtrat der Linken Liste in Freiburg, ein. Auch er ist für Aufklärung. "Aber es muss sich auf die politischen Funktionen beziehen", betont der Rechtsanwalt. Den Enthüllungsstil der Antifa findet Moos dagegen "fragwürdig und politisch schädlich". Auf diese Art und Weise lasse sich der Neofaschismus nicht bekämpfen. Dass der Staat zu wenig unternehme, könne nicht als Rechtfertigung dienen. "Es besteht immer die Gefahr, dass sich solche Methoden verselbständigen", gibt Moos zu bedenken. Die Antifas sollten lieber mit offenem Visier politisch agieren.
"Die Aufklärung und Enthüllung ist wichtig und wertvoll", sagt dagegen Stadtrat Coineach McCabe, Stadtrat der Grün-Alternativen Gruppe (GAF) im Freiburger Gemeinderat. "Ein NPD-Kreisvorsitzender ist eine öffentliche Person." Dessen Offenlegung sei gerechtfertigt, doch glaubt auch McCabe, dass die Antifas mit den persönlichen Details "ein wenig über das Ziel hinausgeschossen" seien. Wer sich darüber aufrege, solle aber zunächst fragen, ob die Staatsorgane selbst genügend tun, um den Rechtsextremismus zu bekämpfen. Diesen Eindruck hat McCabe nicht. Die Polizei habe auf eine Anfrage geantwortet, es gebe in Freiburg keine neonazistischen Strukturen. Der Anlass für die Anfrage war eine Messerattacke von betrunkenen Neonazis auf Jugendliche. Man müsse, sagt McCabe, den Satz "Wehret den Anfängen" wörtlich nehmen und nicht warten, bis Neonazis salonfähig geworden seien wie in einigen Regionen Ostdeutschlands.
Gewirkt hat das Outing auf jeden Fall: der Freiburger NPD-Kreisvorstand ist nach der Enthüllung aufgelöst worden, damit vermutlich auch die Neonazigruppe überhaupt. Der geoutete Kreisvorsitzende hat kapituliert. Die Kameraden schwören im Internet Rache. Das macht Unbehagen. Schaukeln sich beide Seiten hoch? Dafür gibt es historische Vorbilder. Die Parole "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!" hat in der Weimarer Republik zu Straßenschlachten geführt. "Wir wollen keine Gewalt", wenden die Antifas ein, "wir wollen Neonazis gesellschaftlich ächten und isolieren, bevor sie gewalttätig werden können."