Göppingen - Für die Göppinger Polizei ist der 6. Oktober der arbeitsreichste Tag des Jahres gewesen. Und auch jetzt, zweieinhalb Monate danach, macht der damalige Aufmarsch von Neonazis und die damit verbundene Gegendemonstration bei der zuständigen Abteilung für Staatsschutz der Göppinger Polizeidirektion noch viel Arbeit. Insgesamt 200 Ermittlungsverfahren würden bei der Polizei geführt, erklärte Ayfer Kaplan-Pirl von der Ulmer Staatsanwaltschaft auf Anfrage. Erst eines sei abgeschlossen und der Anklagebehörde vorgelegt worden. Doch auch in diesem Fall werde die Entscheidung über eine Anklageerhebung noch einige Zeit auf sich warten lassen. „Es ist nicht sinnvoll, ein Verfahren isoliert voranzutreiben“, sagte die Staatsanwältin. Schließlich komme es bei der juristischen Beurteilung auch auf das Gesamtbild an.
Die ermittelnden Beamten hätten in den vergangenen Wochen umfangreiches Bildmaterial analysiert. Die Sichtung sei allerdings noch nicht vollständig abgeschlossen. Demnach könnten weitere Ermittlungsverfahren hinzukommen, sagte Kaplan-Pirl. Unter den Tatvorwürfen finde sich die gesamte Palette – von Widerstand gegen die Staatsgewalt, Beleidigung, Sachbeschädigung bis zur versuchten und gefährlichen Körperverletzung. Daneben werde auch wegen Demonstrationsdelikten wie Landfriedensbruch, Zusammenrottung und wegen Verstößen gegen das Vermummungsverbot ermittelt.
In sieben Fällen wird auch gegen Polizisten ermittelt
Der Großteil der Beschuldigten sei dem Lager gewaltbereiter Gegendemonstranten zuzurechnen, sagte Kaplan-Pirl. Es werde aber auch gegen sechs namentlich bekannte Neonazis ermittelt. Am 6. Oktober waren 150 sogenannte Nationale Sozialisten, streng beschützt von 2000 Polizisten, durch Göppingen marschiert. Dagegen hatten 2000 Menschen zunächst friedlich demonstriert. Später kam es dann zu Ausschreitungen, als laut der Polizei rund 600 teils vermummte Gegendemonstranten versuchten, die Polizeisperren zu durchbrechen. Elf Personen wurden gleich festgenommen. Weitere konnten mittlerweile offenbar anhand von Videomitschnitten identifiziert werden.
Allerdings bestätigte die Staatsanwaltschaft, dass in sieben Fällen auch gegen Polizisten ermittelt werde. Ihnen werde Beleidigung und Körperverletzung vorgeworfen. Aus den Reihen der Gegendemonstranten wurde der Polizei ebenfalls ein Video vorgelegt, das die Vorwürfe bestätigen soll. Es sei noch nicht ausgewertet.
Weitere Verfahren vor Amtsgericht und Landgericht
Derweil verurteilte das Amtsgericht in dieser Woche einen 21-jährigen Mann, der bei einem kleineren Aufmarsch im April Eier auf die rechtsradikalen Demonstranten geworfen hatte, zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu 15 Euro. Der arbeitslose Göppinger akzeptierte das Urteil, nachdem die Tagessatzhöhe mit Rücksicht auf seine Finanzen halbiert worden war.
In zwei anderen Fällen wird es jedoch zu Berufungsverhandlungen vor dem Ulmer Landgericht kommen. Zwei Männer, die jeweils einen der Naziaufmärsche im Frühjahr organisiert haben, wollen ihre Verurteilungen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz nicht akzeptieren. Auch auf der Straße geben die Neonazis nicht auf. Bei der Göppinger Waldweihnacht verteilten sie, als Nikoläuse verkleidet, Süßigkeiten und Flugblätter.