In Stuttgart versucht die Deutsche Burschenschaft krampfhaft, sich heimlich zu streiten. Das klappt nicht so ganz - nicht einmal vor der Presse können sie ihren Ärger verbergen.
Eines ist Burschenschaftern immer wichtig gewesen: Konflikte tragen sie hinter verschlossenen Türen aus, nach außen zeigen sie sich geschlossen. Doch derzeit können sie ihren Zwist selbst vor laufenden Fernsehkameras nicht verbergen.
Freitagmorgen in Stuttgart, ein Restaurant im dunstverhüllten Neckarpark, Pressekonferenz der Deutschen Burschenschaft (DB): Christoph Basedow, Sprecher des Verbands, sitzt neben Pressereferent Walter Tributsch, als Amtsträger sind beide zur Neutralität verpflichtet. Doch Basedow gehört einem eher liberalen Bund aus Rostock an, Tributsch der weit rechts verorteten Wiener Teutonia. Und diese Distanz wird deutlich. Etwa als es um den desaströsen Burschentag im Juni geht, als die Abwahl Norbert Weidners als "Schriftleiter" der Verbandszeitung "Burschenschaftliche Blätter" knapp scheiterte. Weidner hatte den Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer als "Landesverräter" bezeichnet. Korrigiert die DB diesen Beschluss nun? Muss Weidner doch gehen?
Sprecher Basedow wählt jedes Wort sorgfältig: "Es ist richtig, dass sich seine Personalie im Streit befindet, seit seinem Text über Dietrich Bonhoeffer", sagt Basedow, "es war in Eisenach sehr knapp. Schwer zu sagen, ich möchte dazu keine Prognose abgeben." Dann spricht Pressereferent Tributsch, Mitbegründer der deutschnationalen Wochenzeitung "Zur Zeit". Er redet frei heraus, ohne Basedow eines Blicks zu würdigen: "Die Entscheidung für Weidner ist auf einer demokratischen Basis gefällt worden. Und es gehört auch zu den demokratischen Gepflogenheiten, Entscheidungen nicht so lange neu abzustimmen, bis es passt. Ich gehe davon aus, dass die Entscheidung bestätigt wird."
Die Flügel beschuldigen einander der burschenschaftlichen Ruhestörung
Da verwundert es nicht, dass der außerordentliche Burschentag in Stuttgart unter striktem Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet. Noch nicht einmal zur Eröffnung sind Medien zugelassen. Und eine Pressekonferenz nach Abschluss der Veranstaltung am Sonntag wird es auch nicht geben - der Tagungsort dürfe am Totensonntag für öffentliche Veranstaltungen nicht genutzt werden, heißt es.
Verschiedene linke Gruppen hatten im Vorfeld Flyer verteilt: "Burschis? Nein, danke!" Auf einschlägigen Webseiten schrieben sie: "Wir dulden keine 'Burschentage' von Reaktionären und Faschisten. Es liegt an uns zu handeln!" Linke aus ganz Deutschland sollten anreisen, um gegen den Burschentag zu protestieren.
Die "Sängerhalle Untertürkheim" liegt am Neckar, ganz in der Nähe der Daimler-Zentrale, gegenüber einer Schule. Mannschaftswagen der Polizei fahren Streife, Beamte beobachten aufmerksam Passanten. In Griffweite steht ein Rollwagen mit gut einem Dutzend Absperrgittern. Vor der Tür steht der Wagen einer Glaserei. In der Nacht hatten Unbekannte Scheiben im Eingangsbereich eingeworfen, teilte die Polizei mit.
Angriffe von links sind Burschenschafter gewohnt. Das dürfte sie derzeit weniger stören als der interne Ärger. Der Verband steckt in einer existentiellen Krise. "Die Deutsche Burschenschaft ist derzeit in einem Richtungsstreit, wir brauchen Ruhe, um uns neu auszurichten", sagt Sprecher Basedow. "Es ist unerträglich für uns, dass ein Verband mit zehntausend Mitgliedern immer wieder schlecht dasteht, weil zehn davon aus der Reihe tanzen."
Dabei bezichtigen sich beide Flügel gegenseitig der burschenschaftlichen Ruhestörung. Die Rechten echauffieren sich über liberalere Burschenschafter, die mit Interna an die Öffentlichkeit gegangen seien. Zudem glauben sie, Weidners Bonhoeffer-Äußerungen seien durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Liberalere Burschenschafter hingegen werfen der Gegenseite vor, mit rechten Statements das Ansehen der Deutschen Burschenschaft zu beschädigen.
"Alle Kaninchen starren auf die Schlange"
Deutlich wird das auf der morgendlichen Pressekonferenz, als Tributsch, auf den Fall Weidner angesprochen, zu einem Referat über Demokratie und Meinungsfreiheit ansetzt. Selbst der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen habe in Bezug auf die französischen Äußerungen zum Genozid an den Armeniern festgestellt, dass Meinungen zu politischen Themen frei seien, unabhängig von historischen Beweisen. Das müsse doch auch für die Deutsche Burschenschaft gelten. Basedow sitzt daneben und ringt mit sich, noch nicht einmal mit den Augenbrauen einen Kommentar abzugeben.
Auch kaum einer der etwa 500 bis 600 angereisten Burschenschafter will an diesem Freitag reden - von "Kein Kommentar" oder "Wir sind spät dran" einmal abgesehen. Im Wirtshaus des Tagungsorts finden hinter gelben Glasscheiben schon vor Beginn des Burschentages erste Treffen statt. Als einer der Burschenschafter Mithörer auf der Straße vermutet, wird es kurz hektisch. Dann wird das Fenster mit einem Knall geschlossen.
Wenig später kursieren Gerüchte, drei Bünde des rechten Flügels würden sich gemeinsam um den Vorsitz der Deutschen Burschenschaft für das nächste Jahr bewerben. Sollte es so kommen, könnte die letzte Chance auf eine friedliche Einigung von liberaleren und rechten Burschenschaften bald dahin sein. Dabei hatten einige Abgesandte noch darauf gehofft.
Es herrsche eine aufgeladene Atmosphäre, viel Unsicherheit, sagt ein norddeutscher Burschenschafter, aber es gebe auch noch den Willen, eine gemeinsame Zukunft zu gestalten. "Die Stimmung ist eher so: Alle Kaninchen starren gerade auf die Schlange."