Bastion gegen "Umvolkung"

Erstveröffentlicht: 
04.06.2012

(Eigener Bericht) - Ein erbitterter Machtkampf in einem bedeutenden deutschen Akademikerverband wirft ein Schlaglicht auf die Verbreitung extrem rechter Positionen in Teilen der deutschen Eliten. Am Wochenende ist ein Spitzenfunktionär der Deutschen Burschenschaft, eines Zusammenschlusses von knapp 10.000 Akademikern aus Deutschland und Österreich, trotz heftiger öffentlicher Kritik in seinem Amt bestätigt worden. Der Mann, einst führender Aktivist einer inzwischen verbotenen Neonazipartei, hatte geäußert, der NS-Mord an Dietrich Bonhoeffer, einem bekannten Widerstandskämpfer, sei "gerechtfertigt" gewesen. Aktuelle Recherchen zeigen, dass die neonazistische NPD spürbar Einfluss in der Deutschen Burschenschaft hat. Der Verband zählt Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer und den innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu seinen Mitgliedern. Wegen diverser extrem rechter Exzesse ist er nun von der Spaltung bedroht. Dabei werden auch auf demjenigen Verbandsflügel, der nicht mehr mit der NPD in Beziehung stehen und sich daher aus der Deutschen Burschenschaft lösen will, Konzepte diskutiert, die sich auf antidemokratische Ideologen der 1920er und 1930er Jahre beziehen.

 

Die Kriegsschuldfrage

 

Der aktuelle Machtkampf in der Deutschen Burschenschaft (DB) ist Ende letzter Woche beim diesjährigen "Burschentag", dem jährlichen Verbandstreffen der DB-Burschenschaften, eskaliert. Der DB gehören knapp 10.000 Akademiker aus Deutschland und Österreich an, die Mehrzahl von ihnen "Alte Herren", die das Studium abgeschlossen haben und im Berufsleben stehen, darunter einflussreiche Persönlichkeiten wie Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU, Münchener Burschenschaft Franco-Bavaria) sowie Hans-Peter Uhl (innenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Münchener Burschenschaft Arminia-Rhenania). Die DB ist seit je für krasse Rechtslastigkeit bekannt. In einer neueren Ausgabe der Verbandszeitschrift ("Burschenschaftliche Blätter") hatte beispielsweise ein Burschenschafter behauptet, bei der Betrachtung der Frage, wer die Schuld am Zweiten Weltkrieg trage, müsse berücksichtigt werden, dass in den 1920er und den 1930er Jahren Deutschland "das Hauptobjekt polnischen machtpolitischen Strebens" gewesen sei. Nach der "Garantie für die Unverletzlichkeit des polnischen Territoriums" durch Großbritannien, die am 31. März 1939 erfolgt sei, habe "die Entscheidung über Krieg oder Frieden in Europa" de facto "bei den Polen" gelegen. Derlei Behauptungen werden in der Deutschen Burschenschaft oft getätigt (german-foreign-policy.com berichtete [1]).

 

Bonhoeffer als "Landesverräter"

 

Dennoch haben in den letzten Monaten verschiedene Ereignisse sowie Rechercheergebnisse die Auseinandersetzungen in der DB eskalieren lassen. Hintergrund ist, dass dem konservativen Flügel des Verbandes manche Aktivitäten des Rechtsaußen-Flügels zu weit gehen. Zuletzt stand vor allem der Chefredakteur der "Burschenschaftlichen Blätter" im Mittelpunkt des Streits. Norbert Weidner, einst führender Aktivist mehrerer inzwischen verbotener Neonazi-Organisationen [2], hatte letztes Jahr in einem internen Mitteilungsblatt seines Bundes (Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn) geäußert, er halte den NS-Mord an dem Widerständler Dietrich Bonhoeffer für "juristisch (...) gerechtfertigt": "Bonhoeffer war zweifelsfrei ein Landesverräter."[3] In der Verbandszeitschrift selbst war unter Chefredakteur Weidner zu lesen, Otto Abetz - 1940 bis 1944 deutscher Botschafter im okkupierten Frankreich - sei eine "interessante Persönlichkeit" gewesen. Abetz hatte an der Deportation der französischen Juden in die deutschen Vernichtungslager mitgewirkt. Zuvor hatte in den "Burschenschaftlichen Blättern" ein NPD-Politiker mitgeteilt, er halte es für "ganz natürlich", dass der frühere Stellvertreter Adolf Hitlers, Rudolf Heß, "neben vielen Gegnern eben auch einige Bewunderer" habe.[4] Weidner ist auf dem diesjährigen Burschentag in seinem Amt bestätigt worden.

 

Obmann für Jugendarbeit

 

Diese Entscheidung provozierte den konservativen Flügel umso mehr, als Weidners Bund in der jüngsten Vergangenheit mit diversen Provokationen auf sich aufmerksam gemacht hat. Ein Mitglied der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn - ein Historiker, der unter anderem für die nordrhein-westfälische Landesverwaltung gearbeitet hat - hat im internen Raczeks-Mitteilungsblatt - unter der Überschrift "Burschenschaft und Judentum" - das angeblich "anmaßende Auftreten des Zentralrats der Juden" angeprangert, dem sich "die deutsche Politik widerstandslos unterworfen" habe.[5] Zudem ist bekannt geworden, dass ein anderes Mitglied des Bundes vor einigen Jahren im Garten einer Burschenschaft ein Holzkreuz aufgestellt und es unter "Heil White Power"-Rufen angezündet und verbrannt hat. Derlei soll im Ku-Klux-Klan verbreitet sein.[6] Der Vorfall verdient auch deshalb Beachtung, weil der "Heil White Power"-schreiende Burschenschafter in der DB als "Verbandsobmann für Jugendarbeit und Sport" fungiert.

 

Burschenschafter organisiert Neonazi-Aufmarsch

 

Zudem häufen sich die Belege dafür, dass die NPD ihren Einfluss in der DB ausweitet. Schon seit Jahren ist bekannt, dass zwei NPD-Abgeordnete im sächsischen Landtag einer Burschenschaft aus der DB angehören.[7] Jüngste Recherchen zeigen, dass ein Burschenschafter in seiner Eigenschaft als NPD-Funktionär einen Aufmarsch von rund 800 Neonazis aus der NPD und aus gewaltbereiten "Kameradschafts"-Strukturen am 1. Mai 2011 mit vorbereitet hat.[8] Andreas Wölfel (Aktivist der NPD in Wunsiedel/Bayern, Burschenschaft Thessalia zu Prag in Bayreuth) ist zudem als Autor für die von Norbert Weidner (Raczeks) gestalteten Burschenschaftlichen Blätter tätig gewesen. Er hat in einer internen DB-Debatte geäußert, es sei seine "feste Überzeugung", dass "die Angst vieler Verbandsbrüder vor Überfremdung" ernstgenommen werden müsse. Die DB solle auch in Zukunft "für die verbliebenen Deutschen (...) als Bastion gegen die Umvolkung" dienen.[9]

 

Bekenntnis zum Grundgesetz: "Nicht nötig"

 

Die Kampfabstimmung um das Amt des Chefredakteurs der Verbandszeitschrift, die Amtsinhaber Weidner Ende letzter Woche gewonnen hat, hat klargestellt, dass der Rechtsaußenflügel innerhalb des Elitenverbands über die Mehrheit verfügt. Mit dem Austritt einer Reihe von Burschenschaften wird nun gerechnet; Beobachter rechnen allerdings damit, dass rund 80 Burschenschaften der nun bestätigten ultrarechten Linie treu bleiben werden. Zu den Burschenschaften, von denen bis heute keinerlei Austrittsüberlegungen bekannt sind, gehört die Münchener Burschenschaft Arminia-Rhenania, der nicht nur der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sondern auch ein Wirtschaftsredakteur einer der einflussreichsten deutschen Tageszeitungen angehört.[10] Zu seiner Aktivenzeit schrieb der Redakteur gelegentlich für die Wochenzeitung "Junge Freiheit"; diese wiederum sehen Experten in der Tradition der "Konservativen Revolution" aus der Zeit der Weimarer Republik, deren Protagonisten als "Wegbereiter des Nationalsozialismus" eingestuft werden.[11] Ein Mitglied der Burschenschaft Arminia-Rhenania wird mit den Worten zitiert, "ein Bekenntnis zur Bundesrepublik und zum Grundgesetz" halte er "nicht für notwendige Bedingung des Burschenschafterseins". "Ein Stehen außerhalb der Verfassung (...) halte ich nicht für an sich verwerflich."[12]

 

Nicht auf die NPD beschränkt

 

Dabei werden auch auf demjenigen Verbandsflügel, der jetzt vor dem Austritt aus der DB steht, die Gedanken heutiger Epigonen der "Konservativen Revolution" diskutiert. Diesem Spektrum gehört neben der Wochenzeitung "Junge Freiheit" unter anderem auch das Internetportal "Blaue Narzisse" an. Dessen verantwortlicher Herausgeber, Felix Menzel, wurde von der Burschenschaft Alemannia Stuttgart für den 26. April als Referent angekündigt (Thema: "Skandalokratie"). Als die Alemannia deshalb öffentlich kritisiert wurde, entfernte sie den Namen des Referenten von ihrer Website - das Vortragsthema allerdings blieb. Kreise um die "Junge Freiheit", die "Blaue Narzisse" und ähnliche ultrarechte Organe finden heute nicht nur in Burschenschaften, sondern auch in anderen Verbänden elitärer Studentenverbindungen Zulauf, etwa im Coburger Convent (CC).[13] Die neue Beliebtheit dieser Kräfte, die auch in weiteren Teilen der deutschen Eliten festzustellen ist (german-foreign-policy.com berichtete [14]), lässt erkennen, dass sich die Rechtsbewegung in Deutschland keineswegs auf NPD-Milieus beschränkt.

 

 

[1] s. dazu Verbandsbrüder: Polnische Grenzen fraglich, Interessante Persönlichkeiten und "Im Osten geknebelt"
[2] Weidner war zeitweise Landesgeschäftsführer der 1995 verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) in Nordrhein-Westfalen und Vorstandsmitglied der 2011 verbotenen Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene (HNG).
[3] Norbert Weidner: Leserbrief zum Artikel "Dietrich Bonhöffer", Bundesbrief 143 der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn
[4] s. dazu Interessante Persönlichkeiten
[5] Kampfansage an die braunen Burschenschaften; www.zeit.de 25.05.2012
[6] Offiziell rechtsextrem; www.fr-online.de 01.06.2012
[7] Jürgen Gansel und Arne Schimmer (beide NPD) sind Alte Herren der Burschenschaft Dresdensia Rugia zu Gießen.
[8] Die NPD spielt mit; Neues Deutschland 01.06.2012
[9] Dies belegen geleakte interne Dokumente: Rassismus auf dem Burschentag 2009; linksunten.indymedia.org/de/node/50376
[10] Philipp Plickert ist Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
[11] Wolfgang Gessenharter, emeritierter Professor an der Hamburger Bundeswehr-Universität: "Zentraler Bezugspunkt sind die Gedanken der konservativen Revolution aus der Weimarer Republik" Zitiert nach: "Jeder müsste wissen, dass das eine rechte Postille ist"; www.taz.de 26.04.2008
[12] Rassismus auf dem Burschentag 2009; linksunten.indymedia.org/de/node/50376
[13] Der Coburger Convent (CC) ist ein Dachverband von rund 100 Turnerschaften und Landsmannschaften aus Deutschland und Österreich mit - nach Eigenangaben - insgesamt rund 13.000 Mitgliedern.
[14] s. dazu Der Militärberater der Kanzlerin, Ein klein wenig Diktatur, Eingeschränkte Demokratie und Weniger Demokratie wagen (II)