Am heutigen Freitag, den 24.02.2012 versammelten sich etwa 80 Personen am Frankfurter Börsenplatz, um gegen den Besuch des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán in der IHK zu protestieren. Unter dem Motto „Orbán stoppen – Die Autoritarisierung Europas solidarisch bekämpfen“ kritisierte ein Bündnis antifaschistischer Gruppen angesichts des autoritären Politikstils und der völkischen Stimmungsmache die Einladung des ungarischen Ministerpräsidenten durch die IHK.
Hierzu Soraya Quani, eine der Organisatorinnen der Proteste: „Orbán
treibt mit seiner Politik den Antiziganismus, Antisemitismus und
völkischen Nationalismus in Ungarn massiv voran und installiert durch
verschiedenste Maßnahmen, wie etwa die Mediengesetze, ein autoritäres
Regime. Für uns ist klar, dass hiergegen ein Grenzen übergreifender,
antifaschistischer Protest organisiert werden muss.“.
Wohin
diese politische und ideologische Linie Orbáns führt, konnten die
Organisator_innen der Kundgebung selbst feststellen: Im Vorfeld
erhielten sie mehrfach Morddrohungen von in Frankfurt ansässigen
faschistischen Orbán-Anhängern, die sich als „Ungarische Garde“
vorstellten.
In den Redebeiträgen wurden jedoch nicht bloß die
Entwicklungen in Ungarn kritisiert. Auch die Entscheidung der IHK Orbán
einzuladen sorgte für Unverständnis. Geriert sie sich sonst stets als
„stabiles Standbein einer toleranten und demokratischen Gesellschaft“,
machte sie mit ihrer Entscheidung deutlich, dass sie primär daran
interessiert ist, ihre Kapitalinteressen zu verfolgen.
Während
der Protest in den ungarischen Medien mit großem Interesse verfolgt
wurde, fand die Kritik an den Entwicklungen in Ungarn in den deutschen
Medien kaum Resonanz. „Uns überrascht das geringe Interesse der
deutschen Presse an Orbáns Staatsbesuch, stießen die von Orbán
durchgesetzten Mediengesetze doch auch hier auf Kritik“, so Markus
Bergmann, ein weiterer Organisator der Proteste.
weitere Infos:
orbanstoppen.blogsport.de
campusantifa.blogsport.de
Hier die verlesenen Redebeiträge:
Rede Börsenplatz 24.6.2012, Besuch Orban in der Industrie- und Handelskammer Ffm., 14.00 Uhr Förderverein Roma e. V.
Offener Rassismus, der Hass gegenüber Roma und Antisemitismus sind in letzter Zeit in den Mittelpunkt gerückt, wenn man über Ungarn redet. Tatsache ist allerdings, dass bereits seit über zehn Jahren latent, zum Teil offen und brutal gegen Minderheiten, insbesondere gegen Roma, Sinti und Juden gehetzt wird, dass Treffen von nationalen und internationalen Neonazis, menschenverachtende Propaganda und Gewaltakte zum Alltag gehörten.
Fidez, die nationalistische Regierungspartei unter Orban, in Koalition mit der rechtskonservativen Christlich-Demokratischen Volkspartei; Jobbik, mit 17 % im Parlament, explizit rassistisch und antisemitisch, mit einem paramilitärischen Arm, den ungarischen Garden, trafen auf fruchtbaren Boden, als ihre Politik mehrheitlich von der Bevölkerung gewählt wurde. Jeder, der seine Stimme für diese Parteien gab, wusste genau, was er tat – er votierte für ein Konglomerat aus Hass, Verachtung, Gewalt, Blut- und Bodenideologie. Die Bemühung, für wirtschaftliche Ausbeutung einerseits und Verarmung und Perspektivlosigkeit andererseits, Sündenböcke zu präsentieren, die - wie so oft – letztlich Juden, Roma und Sinti sind, ist die Versinnbildlichung dieser Politik.
Für die betroffenen Roma und Sinti sieht das im Konkreten folgendermaßen aus: Die ungarischen Garden marschieren noch vor den Wahlen in Roma-Siedlungen
auf. Jobbik verlangt die Aberkennung der Staatsbürgerschaft für straffällige Roma, deren Internierung in Lagern und Zwangsarbeit.
Juli 2008 - drei Häuser werden beschossen
August 2008 – Brandanschlag auf ein Haus, in dem Kinder schlafen, Schüsse treffen eine alte Frau
September 2008 – ein weiteres Haus, in dem eine Familie lebt wird beschossen, weitere Schüsse und Brandanschläge auf andere Häuser
November 2008 – Brandanschlag auf ein Haus, als zwei Roma flüchten, werden sie erschossen
Dezember 2008 – gezielte Schüsse auf einen Roma, der bis heute gehbehindert ist
Februar 2009 – Brandanschlag auf ein Haus, als Vater und Sohn flüchten, werden sie erschossen
April 2009 – eine Romni wird auf dem Weg zur Arbeit erschossen
August 2009 – eine Romni wird erschossen, ihr Kind überlebt schwer verletzt
Mindestens 48 Gewaltakte gab es zwischen 2008 und 2010.
Sechs Tote, kaltblütig und vorsätzlich ermordet und die erste Reaktion: Verhaftungen von drei Roma, die elf Monate in Untersuchungshaft bleiben, eine Presse, die den Hass schürt, von „Zigeunerkriminalität“ redet und Opfer zu Tätern macht. Daneben werden der israelische Geheimdienst und ungarnfeindliche Slowaken verdächtigt. Erst im September 2009 erfolgt mit internationaler Hilfe die Festnahme von vier Männern; rechtsradikal, unter ihnen ein KFOR-Soldat, der 1995 am Brandanschlag auf die Synagoge im ostungarischen Debrecen beteiligt war und eine Person mit angeblichen Kontakten zum Nachrichtendienst.
Diejenigen, die im Blick der ungarischen Mehrheitsbevölkerung neben den Juden für wirtschaftliche Verfehlungen Schuld tragen, nämlich die Roma, leben zu über 50 % in Armut, haben keine Schulabschlüsse, sterben 10 Jahre früher als der Durchschnitt und müssen größtenteils in Ghettos hausen. Die Vorlage für Rassismus und Antisemitismus ist immer dieselbe und funktioniert erschreckend perfekt – in allen Ländern, auch in Ungarn mit gesellschaftlich akzeptierter tödlicher Gewalt.
Die Blaupause erinnert an die hiesigen aktuellen Morde des nationalsozialistischen Untergrunds an Türken und einer deutschen Polizistin. Die betroffenen Familien wurden über Jahre hinweg selbst für die Taten verantwortlich gemacht und obskure Geheimdienstverflechtungen spielen zunehmend eine Rolle. Was weniger bekannt ist, nicht zuletzt auch Sinti und Roma standen im Fadenkreuz der gezielt rechtsblinden Fahnder. Darunter ältere Menschen und Angehörige, denen die Erfahrung der NS-Lager gegenwärtig war und die sich demütigenden Untersuchungen unterziehen mussten.
Das aktuelle Verfassungsgerichtsurteil, wonach die Bezeichnung des Holocaust als Zwecklüge und die Morde in der Gaskammer als Geschichtslüge straffrei bleiben, signalisieren vor dem Hintergrund neonazistischer Morde, der Unfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden und einem gesellschaftlichen Konsens, der Antiziganismus und Antisemitismus wieder hoffähig macht, das genau falsche Zeichen.
Die Chance, dass ein aus Ungarn vor strukturelle Gewalt gegenüber einer ethnischen Minderheit geflohener Roma hier Asyl bekäme, ist gleich null. Er würde nicht anerkannt, zumal er als EU-Bürger kein Recht dazu hätte, Schutz zu erhalten. Roma Migranten aus Osteuropa, aber auch deutsche Sinti und Roma, sind nach wie vor überproportional von Armut, mangelnden adäquaten schulischen Angeboten und Arbeitslosigkeit bedroht. Insbesondere die Gefahr der Obdachlosigkeit von Familien, die damit oft verbundene Konsequenz, für das Wohl der Kinder nicht mehr adäquat sorgen zu können und somit den Kindesentzug zu riskieren, bezeichnet einen ebenso aktuellen wie brutalen Teufelskreis.
Von Abschiebungen sind derzeit insbesondere Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien, vor allem dem Kosovo, betroffen. Fast täglich werden Roma-Familien, die vor 10 oder 15 Jahren vor dem Bürgerkrieg geflohen sind, in Armut, Perspektivlosigkeit und Gewalt an Leib und Leben ausgewiesen. Dass die Vorsitzende des baden-württembergischen Petitionsausschusses, eine Grüne, bei ihrer Fahrt ins Kosovo, zur zweifelhaften Ansicht gelangte, dass dieser Akt von Unmenschlichkeit durchaus angebracht und rechtmäßig wäre, lässt entweder auf Dummheit oder auf machtverliebten Prakmatismus schließen und hat nichts mehr mit der ablehnenden Haltung zu tun, die vor der Amtsübernahme vertreten wurde.
Die gesellschaftliche Situation für Sinti und Roma, vor allem für Roma-Flüchtlinge und Migranten wird zunehmend schwieriger – sie erfordert von uns allen mehr Aufmerksamkeit, mehr Engagement, aktives Einschreiten und konkrete Hilfestellung.
Vielen Dank
Rede der campusantifa frankfurt am 24.02.12 auf der Kundgebung gegen den Besuch Viktor Orbáns zu deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen
Wenn die Industrie- und Handelskammer den ungarischen Ministerpräsidenten einlädt, geht es ihr dabei primär um eins: Wirtschaftsbeziehungen. Das Thema, zu dem Orbán der IHK nach reden soll, ist die „Erneuerung der europäischen Wirtschaft“. Wie aber kommt es, dass eine Figur, die immer wieder die nationalen Interessen Ungarns gegen die EU ausspielt, bei der IHK zur Erneuerung der europäischen Wirtschaft sprechen soll?
Die Antwort ist einfach: Es geht um die Planungssicherheit für deutsche Investoren. Die Exporte von Deutschland nach Ungarn summierten sich 2010 auf etwa 14,3 Mio. Euro. Mit 25% Anteil an den gesamten ungarischen Importen und Exporten ist Deutschland mit Abstand wichtigster Handelspartner Ungarns. Der hohe Anteil an deutschen Direktinvestitionen in Ungarn lässt sich vor allem durch das niedrige Lohnniveau bei gleichzeitig relativ hoher Produktivität und Qualifikation der Arbeitskräfte erklären. Der Buttodurchschnittslohn in Ungarn betrug 2010 188.101 Forint im Monat – das sind umgerechnet etwa 670 Euro. Zum Vergleich: der Bruttodurchschnittslohn in Deutschland betrug 2010 etwa 2570 Euro.
Vor diesem Hintergrund will die IHK sich auf die Eventualitäten vorbereiten, die durch das autoritäre Regime Orbáns auf sie zukommen könnten. Denn zum einen betreibt der Autokrat eine Politik, die dem deutschen Interesse an einem niedrigen Lohnniveau entspricht. Zu denken ist hier vor allem an den „Ungarischen Arbeitsplan“, der in Teilen durchaus mit der deutschen Hartz-IV-Gesetzgebung zu vergleichen ist und vorsieht, dass Arbeitslose zu vermeintlich gemeinnütziger Arbeit gezwungen, aber auch an private Unternehmen – wie es heißt – „ausgeliehen“ werden können. Diese für die deutschen Investoren hilfreiche lohndrückerische
Politik wird jedoch begleitet von Maßnahmen, die ihr gar nicht
gefallen, wie etwa die 2010 eingeführte Sondersteuer für ausländische
Investoren.
Angesichts dieser Situation will die IHK wissen woran sie ist, und zwar, wie der Geschäftsführer der IHK meinte: „aus erster Hand“. Die autoritäre Politik, die sich zuspitzende Diskriminierung der Sinti und Roma und der um sich greifende Antisemitismus, all dies interessiert die IHK herzlich wenig, zumindest solange, bis handfeste deutsche Wirtschaftsinteressen durchkreuzt werden. Natürlich versucht die IHK nebenher immer wieder sich als stabiles Standbein einer toleranten und demokratischen Gesellschaft darzustellen.
Wollte sie dieses Image jedoch glaubhaft vertreten, hätte sie sich die
Einladung Viktor Orbáns verkneifen sollen. Dass sie dies nicht tat,
führt uns erneut vor Augen, dass die kapitalistische Produktionsweise
keineswegs primär dem Wohlbefinden und den Bedürfnissen der Menschen
dient, sondern diese ignoriert solange der Profit nicht in Gefahr gerät.
Diese Ignoranz gegenüber dem Wohl der Menschen setzt sich fort in den
europäischen Regierungen und der EU, die einerseits eine autoritäre
Krisen- und Sparpolitik durchdrücken und andererseits zu den
antiziganistischen und antisemitischen Zuständen in Ungarn und anderswo
geflissentlich schweigen.
Deshalb:
Reaktionäre und autoritäre Strukturen bekämpfen! Gegen eine Welt von Staat und Kapital! Für ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung!
Für den Antifaschismus!
Rede von [a2b] - Autonome Antifa Berlin
Victor
Orban ist zu Besuch? Da ist doch einiges los in Ungarn, da ist eine
Partei an der Regierung, die so lange auf der Straße gegen Roma gehetzt
hat, bis eine ganze Siedlung vom Roten Kreuz evakuiert wurde. Und in
Deutschland? Wurde erst letztens wieder hochoffiziell ein Zaun gebaut,
um ein paar Roma von Wutdeutschen fernzuhalten, oder vor zwanzig Jahren
ein Flüchtlingsheim angezündet...ach und vor sechzig Jahren gar ein
Völkermord begangen, jaja...
Antiziganismus muss im Wesentlichen als die Feinschaft gegenüber Sinti und Roma, wie die Sammlung aller Vorurteile über vermeintliche „Zigeuner“ verstanden werden.
Orban
ist der Präsident einer Koalition aus Rechtskonservativen und
Nationalfaschisten. Wegen ebenjener Regierung hat Ungarn nun eine neue
Verfassung, welche das Land als „ethnische Kulturnation“ bezeichnet.
Schon in der Präambel wird zwischen ethnischen Ungarn und anderen, in Ungarn lebenden Nationalitäten
unterschieden. In einem weiteren Artikel wird dann die Diskriminierung
aufgrund von Rasse oder nationaler Herkunft ausgeschlossen, nachdem die
Präambel genau diese Diskriminierung schon zementiert hat. Während –
laut neuer Verfassung – das höchste Gut die angeblich unermesslichen
kulturellen Reichtümer der Ungarn sind, verrotten von Roma geschaffene
Kunst- und Kulturgüter in deren staatlichen Lagerräumen.
Andererseits
werden Roma- wie andere Minderheiten in Ungarn nun per Verfassung
verpflichtet, sich dem nationalen Kollektiv zu unterwerfen und zur
Arbeit wie allgemein zur Mehrung der Gemeinschaft angehalten.
Der Alltag sieht anders aus: Die Hälfte aller Roma Haushalte in Ungarn haben gar keinen klassischen
Arbeitsplatz; sie müssen tagtäglich um ein Auskommen kämpfen. In den
letzten Jahren kam es auch in Ungarn zu Antiziganistischen Aufmärschen
und Gewaltakten, bis hin zu einer Mordserie 2008/9.
Einige Roma versuchen dieser Situation zu entkommen, indem sie in andere europäische Länder wie Frankreich, Italien, oder Deutschland gehen. Durch das europäische Freizügigkeitsabkommen dürfen sie eigentlich nicht einfach wieder abgeschoben werden, jedoch ist beispielsweise auch in Deutschland die Ablehnung gegen Roma so stark, dass es immer wieder und manchmal erfolgreich versucht wird. In den Medien als Bettel-Roma oder Nerv-Wischer beschimpft, geben Zweidrittel der Deutschen an, keine Sinti und Roma als ihre Nachbarn haben zu wollen. Der in vielen deutschen Köpfen steckende Rassismus wird durch nur von einem dünnen und löchrigen Schleier verhüllt. Und das in einem Land, in welchem Antiziganismus tief verwurzelt ist und im Nazi-Völkermord an einer halben Millionen Sinti und Roma gipfelte, um anschließend in der Bundesrepublik totgeschwiegen zu werden. Erst der Sinti und Roma Bürgerrechtsbewegung der achtziger Jahre gelang es, dieses Schweigen zu brechen.
Bis heute ist Verfolgungen und Ausschluss aus der Gesellschaft von Sinti und Roma in Deutschland ein allgegenwärtiges Problem. Fast 80 % der in Deutschland Lebenden werden regelmäßig diskriminiert. Nicht wenige verheimlichen ihre Minderheitenzugehörigkeit, um ihr Leben erträglicher zu machen und legen ihren Kindern nahe, es weder ihren Freund_innen noch in der Schule zu erzählen.
Doch in letzter Zeit bildet sich immer häufiger Widerstand von selbstorganisierten Sinti und Roma Gruppen, mit Öffentlichkeits- und Medienkampagnen, im Alltag, auch zusammen mit Anderen: So wird es am 3. März eine Demo in Berlin geben, die sich gegen eine rassistische Kampagne wendet, und nach Jahrzehnten ein Ort des Gedenkens für den Pojarramos.