In seiner Geburtsstadt Heidenheim errichteten sie ihm 1961 ein Denkmal. 50 Jahre später wird diskutiert: Darf man Erwin Rommel, Hitlers Lieblingsfeldherren, ein Opfer der Gewaltherrschaft nennen?
Vorne am „L“ klebt noch Farbe. Ein blauer Punkt nur, man muss sich weit vorbeugen, um ihn zu sehen. Vermutlich der Rest einer Sprühaktion, sagt Wolfgang Proske. Die gibt es hier öfter, manchmal schlagen Unbekannte auch ganze Brocken aus dem Muschelkalk raus. Geht Proske dann einmal um das Stück Mauer herum, findet er auf der anderen Seite keine Farbspuren, bloß lauter eingemeißelte Wörter der Inschrift, die ihn aufregen. Ritterlich zum Beispiel oder tapfer. Am meisten ärgert ihn: Opfer der Gewaltherrschaft. Wer diesen Unsinn lese, sagt der Historiker, errate doch nie, wer hier geehrt wird.
Vor 50 Jahren, am 12. November 1961, brauchte man Geduld, um sich dem Denkmal für Erwin Rommel zu nähern.
Mehrere tausend Menschen drängten auf die abschüssige Wiese am Zanger Berg. Ganz vorn die Witwe und Sohn Manfred, dahinter ehemalige Wehrmachtssoldaten, die in Nordafrika unter Rommel gekämpft hatten. Die Bundeswehr schickte zur Einweihung das Musikkorps der Mittenwalder Gebirgsjäger. Sie stimmten einen Chorgesang an: „Ich bete an die Macht der Liebe“, alle fünf Strophen. Dann sprach Baden-Württembergs Innenminister, Hans Filbinger, der später selbst wegen seiner Vergangenheit als Nazi-Richter in Verruf kommen sollte. Er erinnerte an einen Mann, der „seine ganze Kraft für das deutsche Volk“ eingesetzt habe. Künftige Generationen müssten Rommel danken, sein Andenken ehren.
Heute steht Wolfgang Proske ganz allein vor dem Mauerstück, über das in Heidenheim gerade heftig diskutiert wird. Am Boden liegt Laub, die alte Buche nebenan hat es abgeworfen. Vorhin kam eine Frau vorbei, aber die wollte nicht Erwin Rommel gedenken, die wollte bloß ihren Hund ausführen. Wenn Wolfgang Proske Richtung Süden ins Tal blickt, sieht er die Wahrzeichen Heidenheims, das Schloss und den Turm der Pauluskirche. Er lebt jetzt seit drei Jahren im Landkreis, er unterrichtet Geschichte am Gymnasium, er liebt die Ostalb. Bloß über ein Thema könne man mit den Menschen nicht reden, sagt Proske. Er versucht es trotzdem.
Der Historiker hat ein Buch veröffentlicht, es porträtiert 16 NS-Täter, Helfer und Trittbrettfahrer aus der Region. Einer ist Rommel: Hitlers Lieblingsgeneral, Befehlshaber der deutschen Truppen in Nordafrika, geboren in Heidenheim. Bei der Einweihung des Denkmals 1961 würdigten Festredner Rommel als „großen Sohn der Stadt“, als „gewissenhaften Soldaten“, der sinnlose Opfer ablehnte und Hitler Widerstand leistete. Wolfgang Proske nennt Rommel einen „gewöhnlichen Kriegsverbrecher“ und einen „aus tiefstem Herzen überzeugten Nationalsozialisten“. Seit Proske fordert, Heidenheim dürfe so einen nicht länger ehren, gilt er bei manchen als Störenfried.
Es gibt nicht viel, was ein Historiker heute über Erwin Rommel sagen kann, ohne dass ihm ein anderer widerspricht. Das wird auch deutlich bei dem Streit, der gerade um die Rommel-Verfilmung mit Ulrich Tukur in der Hauptrolle tobt. Sicher ist: Er war ein heftiger Bewunderer Hitlers und hat den Aufstieg der Nationalsozialisten ausdrücklich begrüßt. Er befehligte eine Panzerdivison beim Angriffskrieg gegen Frankreich, ab Februar 1941 bekämpfte er in Libyen und Ägypten die britischen Truppen, zeitweise mit Erfolg. Hitler protegierte Rommel, innerhalb von nur elf Jahren stieg dieser vom Major zum Generalfeldmarschall auf. Hitlers Vertrauen dankte Rommel mit Ergebenheit.
Sicher ist auch, dass Rommel kein Antisemit war. Er hat allerdings nie öffentlich gegen judenfeindliche NS-Politik protestiert. Als er sich – spätestens im Frühsommer 1944 nach der erfolgreichen Invasion der Alliierten in der Normandie – zumindest innerlich von Hitler distanzierte, tat er das keinesfalls aus moralischen Gründen. Ihn störte nicht der Diktator, sondern dessen Erfolglosigkeit.
Wolfgang Proske hat bereits Unterstützer für seinen geplanten Denkmalsturz. Menschen wie Alfred Hoffmann, auch ein Geschichtslehrer, seine Schule liegt 300 Meter von der Gedenkstätte entfernt. Hoffmanns Vater diente Rommel als Unteroffizier an der Front, er war bei der verlustreichen zweiten Schlacht um die Kleinstadt el-Alamein dabei. Seinem Sohn hat er später nichts von Tapferkeit oder Heldenmut erzählt, nur von den Granatsplittern in seinem Körper und der Kriegsgefangenschaft, als die deutschen Nordafrika-Truppen im Mai 1943 kapitulierten. Rommel war kurz zuvor von seinem Posten abgezogen worden. Hitler wollte seinen populären General nicht beschädigen.
Man muss das Denkmal ja nicht unbedingt abreißen, sagt Alfred Hoffmann und grinst. Man könnte es auch so weit eingraben, dass es sich als Sitzgelegenheit eigne. Wolfgang Proske hofft, dass der Zoff um den neuen Rommel-Film der Diskussion in Heidenheim hilft. Er hat die örtlichen Parteien angeschrieben, auch die SPD. „Ich dachte, die müssten sich dafür interessieren.“ Auf eine Antwort wartet Proske bis heute.
Der Mann, der die Fraktion der Sozialdemokraten im Heidenheimer Gemeinderat anführt, heißt Rudi Neidlein. Er trifft sich gerne auf einen Milchkaffee im La Gondola, dem Eiscafé neben dem Rathaus. Aber klar, sagt er, sie hätten das Thema kurz auf einer Fraktionssitzung angesprochen, doch keiner habe das Denkmal „für einen Aufreger gehalten“. Neidlein ist in den vergangenen Jahren oft daran vorbeispaziert. „Mich stört es nicht“, sagt er, und seine Begründung überrascht: Er deutet das Mauerstück gar nicht als Denkmal für Rommel. „Ich sehe es, ganz für mich persönlich, als Mahnmal gegen Diktatur und Krieg.“ Dabei sei es ihm egal, welche Wörter vorne oder hinten oder sonstwo in den Kalk gemeißelt sind. Das Buch von Proske hat er nicht gelesen, aber er findet gut, dass mal einer nachgeforscht hat. Und wenn Linke nachts Sprüche an die Mauer sprühten, „Nazis raus“ etwa, störe ihn das im Grunde auch nicht. Beseitigt werden müssten sie trotzdem. Sonst kämen sicher Rechtsextreme auf die Idee, ihrerseits das Denkmal zu verzieren.
Heidenheim ist nicht die einzige deutsche Stadt, die noch an Erwin Rommel erinnert. 22 Straßen und Wege tragen seinen Namen, 15 davon in Baden-Württemberg, dazu zwei Kasernen der Bundeswehr. Das liegt ganz wesentlich an zwei Mythen. Der erste lautet: Rommel führte einen sauberen, ritterlichen Krieg, verhielt sich auch dem Feind gegenüber anständig. Der zweite besagt, Rommel habe mit dem Widerstand sympathisiert, sei gar in die Pläne der Attentäter um Claus Schenk Graf von Stauffenberg involviert gewesen. Beides muss heute stark bezweifelt werden.
Neben dem Denkmal erinnert noch ein weiterer Ort in Heidenheim an den Generalfeldmarschall. In der Bahnhofstraße 5 steht das Geburtshaus, Rommel hat hier nur sieben Jahre gelebt, dann zog die Familie ins 20 Kilometer entfernte Aalen, der Vater wurde dort Schulrektor. An der Fassade hängt eine Tafel der Stadtverwaltung. Darauf steht nichts von Regimetreue oder Führernähe, sondern:
Am 14.10.1944 wurde Rommel als Verschwörer gegen Hitler zum Selbstmord gezwungen.
Ganz falsch ist das nicht, bloß irreführend. Tatsächlich fuhren an besagtem Tag zwei hochrangige Generäle zu Rommels Anwesen. Sie konfrontierten ihn mit Aussagen verhörter Widerstandskämpfer, die seinen Namen genannt hatten. Rommel bestritt jede Beteiligung, wurde aber vor die Wahl gestellt: Suizid oder Anklage vor dem Volksgerichtshof. Er entschied sich für die Zyankalikapsel. Dass er wirklich von dem Bombenanschlag vom 20. Juli wusste, gilt heute als unwahrscheinlich. Auch die Witwe und Sohn Manfred, später Oberbürgermeister von Stuttgart, haben das nach Kriegsende bezeugt. Die gängigen Widerstands-Lexika führen Rommel nicht auf, das Bundesverteidigungsministerium stellte bereits 1999 klar, Rommel sei nicht dem Widerstand zuzurechnen. Plausibler ist die Theorie, die von renommierten Rommel-Biografen vertreten wird: Die Verschwörer des 20. Juli versuchten, den General auf ihre Seite zu ziehen. Er hat sich geweigert.
Wie kann es sein, fragt der Geschichtslehrer Wolfgang Proske, dass so ein Mann trotz des heutigen Forschungsstands noch als Opfer einer Gewaltherrschaft geehrt wird, obwohl er doch offensichtlich vor allem Täter und Profiteur eben dieser war?
Die Stadtverwaltung hat inzwischen reagiert. Der Oberbürgermeister ließ einen Text ausarbeiten, der nun auf eine Tafel gedruckt und auf ein Podest neben das Denkmal geschraubt wird. Er soll zwischen Fürsprechern und Gegnern vermitteln. Die Tafel hängt noch nicht, doch schon jetzt ist klar, dass sie ihren Zweck nicht erfüllen wird. Der Text lautet:
50 Jahre nach seiner Einweihung steht eine Generation vor dieser Gedenkstätte, die in einem einigen und friedlichen Europa ihre Heimat gefunden hat. Tapferkeit und Heldenmut, Schuld und Verbrechen liegen im Krieg eng zusammen. Möge das Schicksal Erwin Rommels und seiner Soldaten eine bleibende Mahnung sein, unsere Jugend in eine friedliche Zukunft zu führen.
Wolfgang Proske und seine Mitstreiter sind entsetzt. Peter Steinbach, Geschichtsprofessor an der Universität Mannheim und wissenschaftlicher Leiter der „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ in Berlin, nennt die Sätze einen „betulichen Text, der Angst hat, sich mit der Komplexität der Person auseinanderzusetzen“. Die Formulierungen seien aus der Zeit gefallen, bei Erwin Rommel von „Heldenmut“ zu sprechen, sei völlig verfehlt.
Der Oberbürgermeister fühlt sich zu Unrecht angegangen: Bernhard Ilg, CDU, Diplom-Verwaltungswirt, seit elf Jahren regiert er das Rathaus. Ob bei Rommel nun Tapferkeit oder Schuld überwiege, sollten bitte Historiker entscheiden. „Uns war in einer kleinen Übung daran gelegen, die heutige Sichtweise darzustellen“, sagt er. „Sollte das in letzter Semantik nicht gelungen sein, würde ich da nicht widersprechen – aber das können wir auch nicht leisten.“ Mit Proskes Buch hat er sich nicht beschäftigt, sein Pressesprecher hat es quergelesen. Von ihm stammt auch der Tafeltext. Zum Beweis, dass er so falsch nicht liegen könne, legt der Sprecher den Brief einer 87-Jährigen auf den Tisch, der gerade im Rathaus eingegangen sei – diese Frau schreibe ja ebenfalls von „Heldenmut“. Seine drei Sätze wurden im Gemeinderat vorgelegt, sie fanden breite Zustimmung, auch SPD und Grüne widersprachen nicht. Der Mann von der DKP war gerade im Urlaub.
Oberbürgermeister Ilg sagt, es habe die Forderung gegeben, das Denkmal wenigstens in ein Mahnmal umzuwidmen. „Aber das wäre dann anderen wieder nicht recht gewesen.“ Außerdem lebe der Künstler noch, der die Mauer gestaltet hat. Auf den müsse man Rücksicht nehmen.
Franklin Pühn ist 86 und hat sein Atelier in der Kastorstraße, genau Luftlinie zwischen Rommel-Denkmal und Schloss. Reporter will er nicht empfangen, zum Thema sei alles gesagt. Am Telefon gibt er dann doch Auskunft. Die Idee mit der Hinweistafel findet er gar nicht gut, dann solle man den Stein doch gleich ganz abreißen, sagt er. Pühn versteht nicht, warum jetzt wieder diskutiert wird. Das Denkmal stehe doch schon so lange: „Die jungen Leute brauchen wahrscheinlich etwas, über das sie sich aufregen können.“
Der Einweihungsfeier vor 50 Jahren ist Franklin Pühn fern geblieben. Er hatte sich vorher mit den Veteranen überworfen, die ihn zwangen, vorne neben dem Namen auch Rommels Dienstgrad einzumeißeln. Pühn legt Wert darauf, selbst kein Militarist zu sein. Er behauptet, er habe sich damals um die Auftragsarbeit beworben, um Schlimmeres zu verhindern: Hätte ein anderer den Auftrag bekommen, stünde neben der alten Buche jetzt vielleicht ein steinerner Panzer.